Wertbeitrag statt Vision

Es geht ums E-Business

04.11.2002 von Christoph Lixenfeld
Einst wurden eigene Abteilungen mit jungen Machern geschaffen, um das Thema E-Business voranzutreiben. Jetzt löst man die Think-Tanks auf oder versetzt die Mitarbeiter in die verschiedenen Fachabteilungen. Aus gutem Grund.

Ludo H. Vandervelden ist ernüchtert: "Vor drei Jahren habe ich einen Manager engagiert, der nur für E-Business-Solutions zuständig war - ein Fehler", sagt der IT- und Fahrzeuglogistikchef der Europazentrale von Toyota in Brüssel. "Ich wollte mehr Dynamik in diese Entwicklung bringen, und zunächst klappte das auch. Aber an irgendeinem Punkt rannte der Mann nur noch vor Mauern - weil er die internen IT-Prozesse nicht kannte." Mit dieser Erfahrung steht Vandervelden nicht allein da.

Der E-Commerce-Traum, durch bunte Websites neue Käuferschichten zu erobern und zugleich den Service für den Kundenstamm zu revolutionieren, ist ausgeträumt. Immer mehr Unternehmen verändern ihre ehemaligen Think-Tanks: Siemens löste das E-Business-Zentrum auf, General Motors gliederte die ausgelagerte E-Business-Sparte EGM wieder ein, D-Logistics wickelte den Bereich E-Commerce gleich komplett ab. Ein Grund für das Scheitern sind besagte "Mauern": Eine Website, die Zusatznutzen schaffen soll, lebt von der Anbindung der unternehmensinternen IT-Prozesse. Und die kann nur funktionieren, wenn die E-Projekt-Mitarbeiter diese Prozesse kennen.

Das sieht auch Matthias Braun so: "E-Business ist zu 80 Prozent Prozessarbeit. Wenn das eine Abteilung leisten soll, die nur aus 22-Jährigen besteht und in London sitzt, funktioniert das nicht", so der Senior Vice President E-Business bei Audi. Er hat diese Erkenntnis in seinem Haus bereits umgesetzt: Die etwa 40 Mitarbeiter kamen nicht von außen; man habe "die besten Leute aus allen Abteilungen zusammengezogen". Dabei wurde auf Experten mit langjähriger Prozesserfahrung gebaut.

Die E-Business-Projekte bei Audi orientieren sich zudem nicht an den Möglichkeiten der Web-Technik, sondern an den internen Prozessen. Als Konsequenz stand bei Gründung der Abteilung Anfang 2001 deren Auflösung fünf Jahre später bereits fest. "2006 wollen wir mit dem Thema durch sein", sagt Braun. Die Mitarbeiter der Stabsstelle werden in die einzelnen Bereiche zurückkehren und ihre Kenntnisse mitnehmen.

Bei Toyota vollzog sich die Auflösung der autarken E-Abteilung nach den negativen Erfahrungen bereits vor eineinhalb Jahren - und das nicht, weil alle Arbeiten auf diesem Gebiet erledigt waren. Nach seinen Zielen befragt, schwärmt E-Commerce-Manager Vandervelden von einem Serviceparadies für Toyota-Corolla-Fahrer: Diesen fällt drei Tage vor der Urlaubsreise um sieben Uhr abends ein, dass die Inspektion ansteht und noch ein Gepäckträger fürs Surfbrett fehlt. Auf der Website bietet ein Händler alles zur Bestellung an. Die Daten landen automatisch im System, das Toyota mit seinen Händlern vernetzt. Die Technik checkt, was wo wann verfügbar ist, nennt dem Kunden Preis, Ort und Zeit für die Inspektion.

Allerdings beschäftigen sich die augenblicklich erfolgreichsten E-Commerce-Projekte ohnehin nicht mit der direkten Ansprache des Endverbrauchers. Wesentlich mehr Dynamik entwickeln Web-basierte Beschaffungsplattformen, selbst wenn nach einigen Pleiten auchderen Zukunftsfähigkeit zeitweise angezweifelt wurde. Henning Hinderer, Marktplatzfachmann vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), geht trotzdem davon aus, "dass hier die Umsätze explodieren werden - aber auf wenige Plattformen konzentriert".

E-Business ist nicht Teil der IT-Strategie

Zu den Siegern gehören vor allem die von Branchengrößen initiierten Portale. Und selbst diese Marktplatzbetreiber verzichten auf Dauer auf eigene E-Business-Abteilungen. Der Chemieriese Bayer etwa, der mit CC-Chemplorer, Chematch, Elemica und Omnexus gleich an vier Marktplätzen als Investor beteiligt ist, hatte mit dem Konzernstab E-Business eine Art Inkubator geschaffen, der Initiativen anstoßen sollte. Seit dem 1. Juli sind fast alle Mitarbeiter - ihre Zahl schwankte zwischen 7 und 20 - in die verschiedenen Konzernteile zurückgekehrt. Dadurch sei das Thema E-Business wieder näher an die anwendenden Abteilungen gebunden. Zudem gibt es innerhalb der IT-Abteilung ein E-Business-Departement, dass sich mit Internet-Technologien beschäftigt.

Der elektronische Handel sei bei Bayer nicht Teil der IT-Strategie, sondern der gesamten Geschäftsstrategie, so Hans-Jochen Meuer, Vice President E-Commerce beim Chemieunternehmen. "Wir sind vorneweg marschiert und gehörten zu den Pionieren, aber wir haben das Geld noch nicht zurück", muss er zugeben. Trotzdem seien die E-Business-Aktivitäten ein Erfolg: "Allein schon durch die interne Prozessoptimierung - bei der Web-gestützten Beschaffung, der papierlosen Rechungsanerkennung und der Online-Auftragsverfolgung. Aber solche Erfolge sind eben nicht sexy für Medien und Börse."