Bisher keine Nachfrage für Zertifizierung nach neuem Standard

EuroSox: Verband der ECM-Anbieter VOI bei MoReq2 skeptisch

23.06.2008 von Christiane Pütter
MoReq2 nennt sich ein Standard zum Record Management, den diverse Zertifizierungsdienstleister im Kielwasser von Euro-Sox an den Mann bringen wollen. Der Verband Organisations- und Informations-Systeme (VOI) ist jedoch skeptisch - es sei nicht klar, welchen Zusatznutzen die Spezifikation bringe. Und bindend ist MoReq laut der Europäischen Kommission sowieso nicht.

Technisch zu wenig konkret, von unklarem Nutzwert und eher Reklame-Gag als echter Bedarf - der Standard MoReq2 ruft skeptische Kommentare hervor. Der Branchenverband VOI, in dem nach eigener Aussage die Mehrheit der Enterprise Content Management und Dokumenten-Management-Anbieter organisiert sind, hat den Standard auf seiner Mitgliederversammlung diskutiert und stellt fest, dass der Anforderungskatalog in einigen Bereichen dem ISO Standard DIS/ISO 15489 (Schriftgut-Management) entspricht. Beide Standards gäben zwar Orientierung, eigneten sich aber kaum für die konkrete Umsetzung.

Bernhard Zöller, stellvertretender Vorsitzender des VOI, sagt über MoReq2: "Die Testszenarien, die vom Anbieter zu absolvieren sind, sind mit 1.200 Seiten so umfangreich, dass mancher kleiner Anbieter schlicht aus Aufwandgründen davor zurückschrecken wird." Zöller sieht nicht ein, warum die nicht-zertifizierten Anbieter in Misskredit geraten sollten, bloß, weil sie nicht bereit sind, "viel Geld für eine Zertifizierung auszugeben, für die es derzeit noch keine Nachfrage gibt".

Unternehmensberater Ulrich Kampffmeyer plädiert für mehr Sorgfalt bei der Dokumentationspflicht.

Ob sich die so schnell einstellt, ist offen. Laut Aussagen der Europäischen Kommission ist der Standard, der von einem Zusammenschluss aus Firmen, Wissenschaftlern und Entwicklern herausgebracht wurde, für Mitgliedstaaten und Unternehmen unverbindlich. Nichtsdestoweniger wird MoReq2 im Zuge der EU-Richtlinie 2006/43/EG ("Euro-Sox") als "die wichtigste Spezifikation für elektronisches Dokumenten- und Records-Management in Europa" feilgeboten. So sieht es zumindest Ulrich Kampffmeyer. Der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Project Consult sitzt im Herausgeberbeirat für MoReq2.

Fest steht offenbar nur, dass ein Orientierungspfad in den Compliance-Dschungel und die sich anschließenden Wucherungen geschlagen werden muss. Und so will der VOI in den kommenden Monaten einen Überblick zu Standards und Normen herausgeben, die für das Enterprise Content Management (ECM) relevant sind. Diese Übersicht soll rund hundert unterschiedliche Spezifikationen - darunter auch MoReq1 und 2, DOMEA, ISO 15489, ISO 19005-1 (PDF/A) - unter die Lupe nehmen und bewerten.

Dabei scheint sich die Branche schon mit der Definition von Records Management schwer zu tun. So moniert Ulrich Kampffmeyer, das Gleichsetzen von Records Management mit virtuellen Akten, elektronischer Archivierung, Dokumenten-Management, Vorgangsbearbeitung oder Schriftgutverwaltung sei häufig, aber nicht richtig.

Kampffmeyer bezieht den Begriff Records Management - oder Electronic Records Management (ERM) - auf die Strukturierungs-, Verwaltungs- und Organisationskomponente zur Handhabung von Aufzeichnungen. ERM sei nicht mit elektronischer Archivierung deutscher Prägung gleichzusetzen, obwohl viele Ansätze sich hier wiederfänden. ERM bilde auch eine wichtige Komponente von Enterprise Content Management und sei besonders zur Erfüllung von Information Management Compliance notwengig. Dabei geht es um das Umsetzen rechtlicher und regulativer Anforderungen an die Dokumentation von Unternehmensprozessen und Dokumenten.

Skandale wie bei Siemens und VW müssen nicht sein

Der Unternehmensberater geht gar davon aus, Skandale wie die um Siemens, VW oder andere deutsche Dickschiffe müssten doch gar nicht sein, wenn nur mehr Transparenz und Sorgfalt bei der Dokumentationspflicht herrschte.

Dem würde der Verband Organisations- und Informations-Systeme wahrscheinlich auch gar nicht widersprechen. In Sachen MoReq2 bleibt er jedoch bei der Einschätzung, man sähe den Sinn nicht. "Zumindest solange nicht, wie der Nutzen primär bei den Zertifizierungsdienstleistern zu liegen scheint und ohne deren Marketing-Aktivitäten keine konkrete Nachfrage am Markt zu diesem Thema herrscht", wie Bernhard Zöller sagt.