Paper-to-ERP bei Dunlop

Faxe direkt ins SAP fahren

05.07.2004 von Holger Eriksdotter
Trotz zunehmend digitalisierter Lieferketten spielt das gute alte Fax bei B2B-Bestellungen nach wie vor eine herausragende Rolle. Mit einem vollautomatisierten Order-Entry-System verabschiedete sich der Reifenhersteller Dunlop im August 2003 von der fehlerträchtigen manuellen Erfassung. Das Call-Center spart 70 Prozent Zeit bei der Erfassung, die Kosten halbierten sich.

Zwar heisst die Lösung Paper-to-ERP, aber Papier kommt bei den automatisierten Bestellungen im Hanauer Call-Center überhaupt nicht mehr vor. "Die meisten unserer Kunden benutzen zum Erzeugen der Bestellfaxe ein Warenwirtschaftssystem. Die Bestellungen laufen bei uns in einen Fax-Server; wir drucken sie nicht aus, sondern das System verarbeitet die eingehenden Fax-Dateien direkt", sagt Jürgen Sievers, Projektleiter und Koordinator Kommunikationstechnologien beim Reifenhersteller Dunlop. "Es sind vor allem Werkstätten und kleinere Reifenhändler, die bei uns per Fax bestellen", sagt Sievers. "Mit den großen Autoherstellern sind wir dagegen in digitalen Supply-Chains verknüpft."

Im Mittelpunkt der Lösung steht der "Business Integration Server" (BIS) des Brettener Anbieters Seeburger AG, der dem ERP-System von SAP vorgeschaltet ist. Während Telefonbestellungen nach wie vor direkt im SAP-System erfasst werden, laufen Faxe in den BIS. Das Modul "Paper-to-ERP erkennt die für die Bestellaufnahme wichtigen Felder wie Kunden- und Bestellnummer, Strichcode, Artikelnummer und Menge automatisch. Auf einem geteilten Bildschirm werden dem Call-Center-Agent gleichzeitig das Originalfax und die Eingabemaske mit den erkannten Daten angezeigt. Erst nach manueller Bestätigung des Mitarbeiters fließt die Bestellung in das SAP-System.

Die hohe Trefferquote von gut 80 Prozent erreicht das System mit einer datenbankgestützten Erkennung. "Die Software gleicht alle erkannten Felder eines eingehenden Faxes mit einer Datenbank ab. Diese Datenbank speist sich aus unseren SAP-Systemen und enthält zum Beispiel Strichcode-Nummern, Kunden- und Artikelstammdaten", erklärt Sievers. Wenn die erkannten Daten mit den Einträgen der Datenbank korrespondieren, kann von einer erfolgreichen Erkennung ausgegangen werden. Deshalb seien wesentlich bessere Erkennungsraten möglich als bei der reinen Schrifterkennung (OCR - Optical Character Recognition) ohne Vergleichsdaten. Auf die manuelle Überprüfung will der Projektleiter aber auf gar keinen Fall verzichten. Besonders bei der Erkennung der Mengenangaben würden gelegentlich Ziffern - wie etwa eins und sieben - verwechselt. Auch ließe sich nur durch Augenschein sicherstellen, dass etwa zusätzliche Anmerkungen in den Faxen nicht verloren gehen.

Obwohl sich die Call-Center-Mitarbeiter letztlich noch jedes Bestellfax anschauen, steht für den Projektleiter außer Frage, dass sich die Lösung rechnet: "Bei der Bestellverarbeitung erreichen wir eine durchschnittliche Zeitersparnis von etwa 70 Prozent". Schon in der Planungsphase spielte der RoI eine entscheidende Rolle. Ausgehend von der Frage "Was kostet uns die Verarbeitung einer eingehenden Faxbestellung?" hat Sievers die Kosten-Nutzen-Relation ermittelt. Eine veranschlagte Einsparung von rund 50 Prozent der Bearbeitungskosten hat er erreicht, die Investition soll sich schon nach einem Jahr amortisieren. "Wir haben aber deshalb keine Leute entlassen, sondern mit den frei gewordenen Kapazitäten die Service-Levels verbessert", sagt Sievers. Konkrete Zahlen möchte er für das System aber nicht nennen.

50 bis 100 Tausend Euro Einstandskosten

"Eine Einsparung wie beim Dunlop-System ist fast immer erreichbar", sagt Martin Bernhard, Bereichsleiter Produktmanagement bei Seeburger. Nach seinen Erfahrungen aus vielen Projekten rechnet er für die manuelle Erfassung eines Bestellfaxes im Schnitt mit rund fünf Euro. Diese Kosten ließen sich mit der Paper-to-ERP-Lösung deutlich absenken. Voraussetzung: Mindestens 100 Bestellungen täglich müsste das System verarbeiten, damit sich die Einstandskosten von 50 000 bis 100 000 Euro rechnen. Mit etwa 70 000 Faxbestellungen, die die 50 Mitarbeiter jährlich erfassen, liegt das Dunlop-Call-Center weit jenseits dieser Grenze.

Seit August 2003 ist das System bei Dunlop in Betrieb. Etwa drei Monate hat die Implementierung gedauert. Kernaufgabe in der Startphase war die Erfassung der Templates der verschiedenen Bestellfaxe. Weil die Kunden unterschiedliche oder unterschiedlich konfigurierte ERP- oder Bestellsysteme benutzen, mussten anfänglich erst einmal alle Bestellformulare erfasst werden. Produktmanager Bernhard spricht von "Umsetzungs-Regelsätzen" und "Schlüsselwort-basierter Freiform-Technologie". Soll heißen: Das System kann nicht nur spezielle Positionen auf dem Formular auslesen, sondern Schlüsselwörter finden und mit hinterlegten Regeln den Eingabefeldern des ERP-System zuordnen. "Eine solche Regel könnte etwa lauten: Finde das Wort Bestellnummer, suche rechts davon oder darunter nach einer Zeichenfolge und übernimm diese in das Feld Bestellnummer", erklärt Bernhard.

Zudem ist die Technologie lernfähig: "Wenn ein Sachbearbeiter bei einem Kunden immer wieder dieselbe Korrektur macht, erkennt das System das und führt in Zukunft automatisch die Änderung aus", hat Dunlop-Manager Sievers beobachtet. Lediglich wenn ein Kunde ein völlig neues Faxformular verwendet, ist eine Änderung am Template erforderlich. "Aber das ist in den vergangenen sechs Monaten nur zwei oder drei Mal vorgekommen", sagt Sievers. Ursprünglich ist das System mit 15 ausgewählten Kunden gestartet; heute sind es 350 Besteller, die automatisch verarbeitet werden. Und auch die Call-Center-Mitarbeiter sind zufrieden: "Es war zu Anfang einer gewisse Überzeugungsarbeit notwendig - aber die Leute sehen natürlich, dass sich ihre Arbeit vereinfacht hat und das System Freiräume schafft", sagt Sievers.