Titelgeschichte

Gemeinsam Kurs halten

11.06.2004 von Heinrich Seeger
IT und Business existieren häufig nebeneinander her, anstatt dieselben strategischen Ziele zu verfolgen. Experten sagen, warum das so ist und wie sich die Situation verbessern lässt.

Für Diethelm G.* war immer klar, dass die IT- der Geschäftsstrategie folgen muss. Zu seinen ersten Aktivitäten als CIO eines namhaften deutschen Produktionsunternehmens - das zuvor keinen CIO hatte - gehörte daher der Versuch, aus der Geschäftsstrategie Vorgaben für die IT abzuleiten.

Strategische Unternehmensziele wie Kundennähe und Preis- oder Technologieführerschaft lassen sich nur mit einer effizienten IT erreichen. "Der CIO ist Motor beim Gestalten von Geschäftsprozessen. Wenn er dieser Aufgabe nicht nachkommt, droht der Strukturkollaps", warnt Axel Jacobs, Berater und Analyst bei der Meta Group. Eine IT-Strategie müsse sich aus zwei Teildisziplinen zusammensetzen: ArchitekturManagement und Investitionsmanagement. Jacobs: "Der Wert der IT ist nur vom Fundament der Architektur aus zu erklären." Für das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner gehören zu einer IT-Strategie Mitarbeiter, Architektur, Anwendungen, deren Betrieb, Controlling - und die übergreifende Geschäftsstrategie ("Bausteine für die IT-Strategie").

Wie auch immer: IT-Entscheider, Vorstände und Steuerungs-Komitees arbeiten daran, IT-Architektur, -Governance und -Prozesse so aufzustellen, dass sie die Geschäfte optimal unterstützen. "Alignment" lautet das Zauberwort: die Ausrichtung von IT und Business an gemeinsamen Zielen.

CIOs agieren dabei mit unterschiedlichem Erfolg. Ann Senn, Strategie-Expertin beim Beratungsunternehmen Deloitte & Touche, hält der Mehrheit von ihnen vor, sie verwechselten Wunsch und Realität, wenn es um die Bewertung der Rolle der IT für das Business gehe.

Diese Realität schätzt der US-Strategieberater, Hochschullehrer, Konferenzredner und Buchautor Gary Hamel nüchtern ein: "Strategieänderungen sind häufig die Reaktion auf andauernde Krisen anstatt die rechtzeitige Reaktion auf äußere Veränderungen."

Krisenreaktion statt strategischer Weitsicht

Peter Dück, Sourcing- und Strategie-Experte bei Gartner, stimmt hier zu: "Eine Strategie sollte nicht von der kurzfristigen Finanzierbarkeit abhängig sein; in der Realität ist sie es aber häufig." Das werfe die Frage auf, "ob es überhaupt noch Unternehmertum bei uns gibt." Die pessimistische Antwort: "Viele Unternehmen werden eher getrieben, als einer Vision zu folgen." Über Strategie werde freilich dennoch geredet - auch wenn nur taktische Maßnahmen gemeint seien. Zur populären IT-Sparmaßnahme mit strategischem Anstrich entwickelt sich auch hierzulande, nach anfänglichem Zögern, das Outsourcing. Wilfried Krüger, Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmungsführung und Organisation an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hat damit kein Problem - solange es sich um administrative Prozesse wie die Personalverwaltung oder standardisierte Funktionen wie den Zahlungsverkehr im Bankwesen handelt. Hier seien keine Wettbewerbsvorteile zu holen, konstatiert der Wissenschaftler. "Fatal" wäre eine rein kostengetriebene Strategie dagegen in Bereichen, wo es darum gehe, "sich durch individuelle Beratung und andere Qualitätsmerkmale vom Wettbewerb abzuheben". Privat- und Investment-Banking zählen für ihn dazu. "Individuelle Qualitätsprozesse erfordern eine differenzierte Strategie - auch für die IT."

Eine unternehmensstrategische Rolle kann die IT nur spielen, wenn bei jedem Geschäftsprozess-Design die Verantwortlichen für Technologie und IT-Ressourcen zu den Treibern zählen. Tatsächlich sitzen CIOs jedoch bei der Prozessplanung oft nur am Katzentisch. "Wir kommen oft nur dann ins Spiel", klagt eine IT-Managerin, die nicht genannt werden möchte, "wenn bei Bereichs-Meetings jemandem einfällt, uns dazuzuholen." Das Selbstverständnis als "Chief Innovation Officer", das Hamel den CIOs nahe bringen will, lässt sich mit solchen Notfalleinsätzen sicher nicht realisieren.

Diplomatische Knochenarbeit erforderlich

Zumindest ein Grund für die Misere ist einfach zu erklären - dafür umso schwieriger auszuräumen: IT und Business finden oft nicht zusammen, weil die Verantwortlichen sich nicht verstehen, konstatiert Krüger. Das Business sehe IT meist als Werkzeug für Spezialisten an. Dass sie eine "strategische Waffe sein kann, sei im Bewusstsein vieler Entscheidungsträger "kaum entwickelt. Umgekehrt hätten IT-Manager zu wenig mit Geschäftsstrategien am Hut. Diagnose des Forschers: "Die gedanklichen Schnittstellen sind nicht ausgeprägt."

Auch Gartner-Mann Dück hält die Beziehungen zwischen IT und Business für stark verbesserungsbedürftig. "Selbst wenn der CIO Rückendeckung vom Vorstand hat, kann es sein, dass ihm das im täglichen Leben nichts hilft", warnt der Berater mit Erfahrung aus diversen DAX-Unternehmen. CIOs müssten ihre Strategie allein durchsetzen und hätten dabei oft die Bereichsverantwortlichen gegen sich. Dück: "Im politischen Kampf geht es ans Eingemachte. Das erfordert diplomatische Knochenarbeit."

Im Top-Management fehlen Generalisten

Hinter den Problemen steckt anscheinend auch eine deutsche Eigenart, die nach der Beobachtung von Krüger in den hierzulande üblichen "funktionsgetriebenen Karrieremustern" begründet ist: Manager wüchsen aus Marketing, Vertrieb oder IT hoch bis in den Vorstand, ohne ihre Perspektive wesentlich zu erweitern. "Es gibt in Deutschland keine Tradition des General Management", klagt der Gießener Wissenschaftler. Die Folge: jede Menge erstklassige Funktionsspezialisten, aber wenige Generalisten im Top-Management.

Beim Strategie-Alignment in Großunternehmen kommt nach Einschätzung von Meta-Analyst Jacobs noch ein Problem hinzu: Die Vorstände orientierten ihre Strategien an den Investoren; typische Ziele seien Shareholder Value und Kundennähe. Das Problem: "Solche Vorgaben sind zu unspezifisch, um daraus eine IT-Strategie ableiten zu können", so Jacobs. CIOs müssten eine Strategie entwerfen und verantworten, die generisch auf Konzernebene zu sein habe, gleichzeitig aber spezifisch auf der Ebene der Bereiche.

Das ist eine Aufgabe mit politischen Dimensionen, urteilt Jacobs. "Der CIO muss in die Strategie föderale Elemente einbauen. Er benötigt Governance-Strukturen in Form von Gremien, die besetzt sind mit Repräsentanten von der Ebene der Process Owner." Die Integration von Corporate- und IT-Governance hält Jacobs für das "Missing Link" bei fast allen Unternehmen. Optimismus zieht er ausgerechnet aus den lästigen gesetzlichen Vorgaben, die auf IT-Strukturen abzielen - etwa dem amerikanischen Sarbanes Oxley Act. "Compliance" zwischen IT und Business werde dadurch zwingend erforderlich. Jacobs: "Manchmal sind so hässliche Sachen auch ganz nützlich."

Das Risiko der schlanken Unternehmen

Nicht jede Strategie muss indes in allen Konsequenzen richtig sein. Beispiel Siemens: Das ehemals breit aufgestellte Unternehmen hat unter Heinrich von Pierer Ballast abgeworfen. Die Ausgründungen von Infineon und Epcos, die Fusion mit Fujitsu bei der Computerproduktion und die Positionierung von Siemens Business Services am Outsourcing-Markt haben das Portfolio verschlankt, den Shareholder Value zumindest zeitweise erhöht, den Konzern jedoch womöglich anfälliger gemacht. "Mit aller Vorsicht" argwöhnt Dück, solche Schlankheitskuren enthielten das Risiko, "dass das Unternehmen bei einem konjunkturellen Huster plötzlich Schnupfen bekommt". Genau das ist jetzt der Fall. "Der Sparkurs in der IT ist eine Notwendigkeit, die sich daraus ergibt", verdeutlicht der Gartner-Mann den effektiv wohl engsten Zusammenhang zwischen Konzern- und IT-Strategie. Die Folgen hat der Siemens-CIO zu spüren bekommen: Er scheiterte an den Sparzielen und wird nun durch einen Revisor ersetzt.

"Sparen geht meistens schief, wenn es als strategische Maßnahme bezeichnet wird", warnt der ExPolitiker Lothar Späth, seit seinem Sanierungserfolg bei Jenoptik ein gefragter Strategie-Experte. Sparpläne müssten deutlich machen, wofür man spart: "Sonst kommt der Konkursverwalter und macht es besser."

Eine Strategie muss anders sein

Selbst wenn dieser Super-GAU nicht eintritt: Die Visionen der Management-Gurus lassen sich mit einer reinen Sparstrategie kaum realisieren. "An einer Strategie zählt nur, wie anders sie ist", so Gary Hamel in einem Interview, das er 2000 zum Erscheinen seines Bestsellers "Leading the Revolution" ("Das revolutionäre Unternehmen") dem US-CIO-Magazin gab. "IT-Entscheider müssen sich fragen, wie viel ihrer Investitionen Wettbewerbsvorteile erzeugen und nicht nur dazu dienen, im Technologie-Wettrüsten mitzuhalten."

Diethelm G. musste bei seinen Alignment-Bemühungen damit zurechtkommen, dass eine schriftliche Geschäftsstrategie, an der er die IT-Ziele hätte orientieren können, in dem - durchaus erfolgreichen - Multimilliarden-Euro-Unternehmen nicht existierte. Am Ende war es der CIO selbst, der nach vielen Diskussionen mit den Geschäftsbereichs-Verantwortlichen deren strategische Fundamente in Formulierungen goss, mit der alle leben konnten.

Nicht nur, dass er daraus die IT-Strategie ableiten konnte: Ohne die Initiative des IT-Managers gäbe es wohl immer noch keine transparente Unternehmensstrategie.

*Name der Redaktion bekannt