Spezialisten in der IT richtig führen

HR entdeckt das Digital-People-Management

09.06.2016 von Sonja Dietz
Human-Resources-Manager müssen umdenken. Personal in der IT ist aufgrund des Fachkräftemangels rar und benötigt eine neue Form der Personalführung - sowohl im Bereich HR als auch der IT-Abteilung. Der Schlüssel zum Erfolg könnte im Digital-People-Management liegen.
  • Mitarbeiter wollen in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.
  • Führungsteams müssen sich permanent weiterentwickeln.
  • Personalführung wird häufig unterschätzt.

Wachstumsbranche IT: Nie war die Dichte an Produktinnovationen so hoch und deren Halbwertszeit so kurz. Das treibt die IT-Branche nicht nur inhaltlich zu einem rasanten Tempo an, sondern auch zu einem vergleichsweise hohen Wachstum. Das Zeitalter der Digitalisierung verändert somit einerseits die Geschwindigkeit von Prozessen und Produktzyklen, birgt anderseits aber auch besondere Herausforderungen bei der Personalführung.

CIOs müssen ihren Führungsstil der absoluten Digitalisierung anpassen.
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Europas IT-Chefs sind sich einig. Laut der Erhebung "The CIO 2015 Agenda: Flipping to digital leadership" von Gartner geben drei von vier Befragten (76 Prozent) aus Europa an, dass sie ihren Führungsstil verändern müssen. 74 Prozent nennen das Internet der Dinge als maßgeblichen Grund dafür. Für das Papier werteten die Analysten die Angaben von insgesamt 2800 IT-Verantwortlichen aus 84 Ländern aus.

Ursula Vranken überrascht dieses Ergebnis nicht. Die Geschäftsführerin des Instituts für Personalentwicklung und Arbeitsorganisation (IPA) in Köln berät IT-Firmen, die genau das berichten: Personalführung im digitalen Umfeld unterliegt anderen Parametern als in anderen Bereichen. Der Grund: Die Branche befindet sich praktisch dauerhaft im "Change", sagt die Arbeitswissenschaftlerin. Umso wichtiger sei es, "sich strategisch, kompetent und intensiv um die Ressource Mitarbeiter" zu kümmern.

Führung auf Augenhöhe

Hinzu kommt, dass das Bedürfnis an Partizipation und Einbindung in Entscheidungsprozesse seitens der Mitarbeiter höher ist als anderswo. Schließlich bringen sowohl operativ als auch Management-seitig alle Teammitglieder ein umfassendes Know-how mit und haben Anspruch darauf, als Experten behandelt zu werden. Hierarchiedenken greift hier nicht, stattdessen muss Führung auf Augenhöhe stattfinden.

Auch die Claranet GmbH, ein weltweit agierender Managed-Service-Provider für Hosting-, Netzwerk- und Application-Management-Lösungen in Deutschland, hat diese Herausforderungen erkannt. Geschäftsführer Olaf Fischer zu dem Thema: "Wir müssen uns als Führungsteam permanent weiterentwickeln, wenn wir Erfolg haben wollen." Ein Ziel, das seiner Meinung nach ohne externe Beratung nicht zu meistern wäre.

Eine Entscheidung, mit der sich viele Firmen schwertun. "Oft machen Unternehmer den Fehler, alles in Eigenregie regeln zu wollen, und unterschätzen, was bei der Personalführung auf sie zukommt", weiß Vranken aus ihrer Erfahrung zu berichten: "Ich habe in meiner beruflichen Praxis häufig erlebt, dass HR-Positionen entweder gar nicht besetzt oder als Randfunktion an andere Bereiche angedockt wurden." Doch das werde der Hausforderung des "Digital-People-Management" - der Personalführung von IT-Spezialisten - nicht gerecht.

Dem Fachkräftemangel vorbeugen

Sven Drewes, Human Resources Director bei Claranet, sieht das genauso. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels komme es darauf an, die Fluktuation gering zu halten und das Gefühl bei den Mitarbeitern zu stärken, "dass die Führungskräfte am gleichen Strang ziehen". Genau das zählt er auch zu den größten Erfolgen der zwei bis drei jährlichen Führungs-Offsides und Workshops, an denen das Management-Team seit Jahren teilnimmt.

Die 10 häufigsten Fehler der Chefs
1. Keine offene Kommunikation
Es wird zu wenig miteinander geredet. Führungskräfte schieben als Grund oft das Tagesgeschäft und mangelnde Zeit vor. In der Realität ist jedoch oft Unbehagen oder der Mangel an Know-how bezüglich angemessener Gesprächsführung der wahre Grund.
2. Druck wird an Mitarbeiter weitergeleitet
Der aufgrund der anspruchsvollen Wettbewerbsbedingungen entstehende Druck schlägt ungefiltert auf die Mitarbeiter durch. Anstatt miteinander an Lösungen zu arbeiten, wird gegeneinander gearbeitet. Das fordert von allen Beteiligten sehr viel Kraft. Angemessen ist es, ressourcenschonend mit den Herausforderungen umgehen zu lernen.
3. Zu wenig Interesse am Menschen
Führungskräfte haben meist sehr wirksame Erfolgsstrategien, die in der Zusammenarbeit mit Menschen oft nicht funktionieren. Sie sind häufig der Auffassung, alles alleine schaffen zu können. Spannungen und nichtkonstruktives Miteinander sind vorprogrammiert. Hieraus können permanente Überlastungsgefühle sowie Unzufriedenheit auf beiden Seiten resultieren, die zu Gesundheitsproblemen und möglicherweise zu innerer Kündigung führen können. Daraus resultierende wirtschaftliche Probleme sind nicht zu unterschätzen.
4. Nicht offen für Ideen und Optimierungsvorschläge
Wenn Mitarbeiter regelmäßig auf taube Ohren stoßen, machen sie irgendwann zu und bringen sich nicht mehr ein. Resignation und innere Kündigung ist die Folge.
5. Zu wenig Anerkennung
Regelmäßiges Lob fehlt. Vor allem Leistungsträger sehen keinen Sinn für ihre Anstrengungen, wenn ihre Leistung nicht wertgeschätzt wird.
6. Meinung wird nicht gehört
Viele Mitarbeiter sind der Auffassung, ihre Meinungen hätten kein Gewicht. Häufig ist mangelnde Wertschätzung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter der Grund.
7. Kein konstruktives Feedback
Jeder Beschäftigte will einen guten Job machen. Hierfür jedoch benötigt er den Vorgesetzten zur Standortbestimmung. Die dafür auch erforderliche konstruktive Kritik scheut der Vorgesetzte aber zumeist.
8. Zu wenig Zeit für Mitarbeiter
Da Führungskräfte zu sehr mit ihren eigenen Themen und Arbeitsaufgaben beschäftigt sind, bekommen Mitarbeiter viel zu wenig Rückmeldung zu ihrer eigenen Arbeit.
9. Persönliche Entwicklung wird nicht gefördert
Wenn sich niemand für den Menschen interessiert und dem Mitarbeiter keine persönlichen Entwicklungsziele in Aussicht gestellt werden, wird der Mensch unzufrieden. Die Folge: Er sucht nach einem passenden Job in einem anderen Unternehmen oder resigniert. Gezielte Förderung vermindert Abwanderungstendenzen erheblich.
10. Die Aufgabe passt nicht zur Person
Menschen erzielen dann Höchstleistungen, wenn sie das machen können, was ihnen Freude macht. Das Unternehmen muss ein Umfeld aktiv bereit stellen, damit sich die Mitarbeiter entfalten und wohl fühlen können. Auch müssen die Erwartungen an den Mitarbeiter jeder Zeit klar sein.

Ähnliche Erfahrungen machte auch die DE-CIX Management GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main und Köln. Das Unternehmen wickelt einen großen Teil des globalen Peering-Verkehrs über den weltweit größten und leistungsstärksten Internet-Knoten in Frankfurt ab und wuchs seit seiner Gründung im Jahr 1995 innerhalb weniger Jahre extrem schnell: Die Datenmengen, die über den DE-CIX laufen, verdoppelten sich jährlich. Die Kundenzahl dehnte sich von drei auf weltweit 700 aus. Die Belegschaft stieg von anfangs fünf auf inzwischen 60 Mitarbeiter.

Das Wachstum war mit Anpassungen an die Firmenstruktur verbunden. Zum Beispiel musste eine neue Teamleiter-Ebene eingezogen werden, da die Management-Aufgaben parallel zum Firmenwachstum exponentiell anstiegen. Doch damit entstanden neue Themen. Jene Mitarbeiter, die neu vor Führungsaufgaben standen, mussten lernen, was gute Führung beinhaltet. Die vage und diffuse Vorstellung von der neuen Rolle musste mit Inhalten gefüllt werden.

"Das Peering-Unternehmen hatte mit den branchentypischen, strukturellen Wachstumsherausforderungen zu kämpfen", bringt es Vranken auf den Punkt. "Verschiedene Erwartungen an die Zusammenarbeit, Aufgaben- sowie Rollenverteilung innerhalb der Teams und auf Teamleiterebene galt es auszuräumen und eine gemeinsame Basis zu schaffen." Die IPA-Geschäftsführerin leitete das mit einer Beratung, die auf die Bedürfnisse des DE-CIX zugeschnitten war, in die Wege. Diese orientierte sich an den Schwerpunkten Strategie und Struktur, Führung und Kultur sowie Empowerment.

Coaching für Führungskräfte

In der Folge durchlief das Management Einzelcoachings und von Vranken moderierte Gespräche und Workshops. Das Engineering-Team wird im Sinne einer Prozessbegleitung weiterhin regelmäßig gecoacht und profitiert von dem neutralen Expertenblick. Auch darüber hinaus wird IPA die Unternehmensentwicklung weiter begleiten. Aus gutem Grund, wie CTO Arnold Nipper sagt: "Wir haben gelernt, dass wir uns ständig weiterentwickeln müssen, und da ist es gut, einen neutralen Experten an der Seite zu haben."

10 Tipps für neue Führungskräfte
8. Keine Diskussion über Ziele
Stellen Sie in Mitarbeitergesprä­chen nie die übergeordneten Ziele zur Diskussion. Diskutieren Sie mit Ihren Mitarbeitern nur über den Weg, wie diese Ziele erreicht werden sollen.
7. Viel Zeit für Führung
Denken Sie stets daran: Ihre Leistung als Führungskraft wird letztendlich an der Leistung ­Ihrer Mitarbeiter gemessen. ­Investieren Sie entsprechend viel Zeit in Ihre Steuerungs- und Führungsaufgaben.
6. Fachaufgaben delegieren
Erledigen Sie nur Fachaufgaben, die außer Ihnen niemand übernehmen kann, denn Sie werden als Führungskraft nicht für Fachaufgaben bezahlt. Delegieren Sie diese.
5. Erfahrung älterer Mitarbeiter
Respektieren Sie vor allem die Werte und Normen sowie Erfahrungen älterer Mitarbeiter und würdigen Sie deren Verdienste. Dann engagieren diese sich für Sie.
4. Werte der Mitarbeiter
Übertragen Sie Ihre Wertmaßstäbe nicht auf Ihre Mitarbeiter und bedenken Sie stets, dass diese (zurecht) teils andere Interessen als Sie als Führungskraft haben.
3. Versprechen Sie nichts!
Machen Sie Ihren Mitarbeitern auch keine voreiligen Versprechungen, die Sie später eventuell nicht einlösen können.
2. Arbeitsabläufe kennenlernen
Treffen Sie in den ersten Wochen nach Übernahme einer Chefposition keine grundsätzlichen Entscheidungen. Denn zunächst müssen Sie Arbeitsabläufe kennenlernen. Sagen Sie das auch Ihren Mitarbeitern.
1. Eigenen Stil finden
Kopieren Sie nicht den Führungsstil anderer Führungskräfte. Besinnen Sie sich auf Ihre Stärken und entwickeln Sie Ihren eigenen Stil.
10. Wahrheit
Als Führungskraft müssen Sie die Wahrheit sagen, aber nicht immer aussprechen.
9. Macht als ultima ratio
Setzen Sie Ihre (Führungs-)Macht nur dosiert und als „letztes Mittel“ gezielt ein.
Vom IT-Profi zur Führungskraft?
Coach Stefan Bald gibt frischgebackenen Führungskräften 10 Tipps.

Nipper war es auch, der den Anfang der Coaching-Sequenzen machte. In intensiven Diskursen unter vier Augen sensibilisierte Vranken den studierten Mathematiker für die Herausforderungen in der Personalführung im digitalen Umfeld. "Ich weiß nun, dass ich bereit sein muss, mich zu verändern, damit sich etwas in der Organisation ändert", sagt Nipper. Er hat vor allem gelernt loszulassen. In das operative Geschäft greift er heute kaum noch ein und konzentriert sich auf seine Management-Aufgaben. Für ihn bedeutet das weniger Stress, für sein Team eine klarere Verteilung der Rollen und weniger Stoff für Konflikte.

Wir-Gefühl und selbständiges Handeln fördern

Den Grundstein hierfür legten Vranken und ihr Team in dem einjährigen Digital-Leader-Programm, an dem das gesamte Management teilnahm. Die Digital Leader lernten in dieser Zeit, ihre Teams zu coachen, gute Mitarbeitergespräche zu führen, Konflikte konstruktiv zu lösen und Veränderungsprozesse professionell voranzutreiben.

Grundsätze, die auch in das Führungsleitbild einflossen, das in der Zeit des Coachings entwickelt wurde. Dieses fördert Parameter wie selbstständiges Handeln und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Das wiederum ist nur mit festen Abstimmungsprozessen und regelmäßigen Mitarbeitergesprächen möglich, damit der Austausch über Projektverläufe sichergestellt ist. Heute gehört das bei der DE-CIX Management GmbH zum Alltag. Einer der positiven Effekte: weniger Reibungspunkte und eine Stärkung des Wir-Gefühls. Kurzum: Die Führungskräfte verfügen jetzt über die nötigen People-Management-Skills und sind sensibilisiert für die damit verbundenen Herausforderungen. Das Resultat ist eine Steigerung von Effizienz und Effektivität in der Zusammenarbeit.