Superrechner analysiert Medizindaten

IBM: Watson wird Arzthelfer

22.09.2011 von Hartmut  Wiehr
Publikumswirksam wurde Watson im Februar in einer US-Rätselshow präsentiert. IBM stellt ihn nun für medizinische Forschung und Krebs-Therapie zur Verfügung.
Viel Glanz und Glamour organisierte IBM, um während der US-Rätselshow "Jeopardy" im Februar 2011 den neuen Supercomputer "Watson" vorzustellen.
Foto: IBM

Die besondere Stärke der angekündigten Healthcare-Applikationen liegt in der extrem schnellen Durchforstung von Texten und anderen unstrukturierten Quellen wie Sprache und Bildern. Als Hardware-Basis des Supercomputers dienen 90 IBM-Power-750-Express-Server mit je 32 Prozessoren.

Wie Sebastian Welter, Content-Spezialist bei IBM Deutschland, im Gespräch mit CIO.de Healthcare-IT erklärt, funktioniert das weniger im Sinne von Algorithmen oder Mathematik wie bei den klassischen Systemen von Business Intelligence oder Data Warehousing, sondern nach den Prinzipien der Linguistik. Die Analyse des unstrukturierten Datenmaterials kann sogar noch während der Erfassung erfolgen, zum Beispiel bei der Arbeit in Call-Centern, um auftretende Probleme oder typische Kundenanfragen auszuwerten.

In Sekundenschnelle Auswertung tausender Studien

Im Bereich der Forschung oder der Medizin stellt man Fragen an das System, so wie zum Beispiel bei den Reiseseiten Expedia oder Travelocity im Internet, und erhält dann eine Auswertung nach den gewünschten Kriterien in einem Tempo, das ebenfalls Echtzeit-Analysen erlaubt. Damit können Ärzte auf ein riesiges Wissensreservoir der Grundlagenforschung oder das Know-how von Kollegen und Krankenhäusern zurückgreifen. Der einzelne Arzt wird also nicht überflüssig, sondern seine Arbeit wird nur weniger eine Sache der "ärztlichen Kunst" und seines letztlich immer individuell begrenzten aktuellen Wissensstandes. Er kann sich die elektronisch gespeicherten Kenntnisse seines Berufsstandes zunutze machen und so den Patienten genauer helfen.

Healthcare soll die erste kommerziell auswertbare Anwendung der Pakete aus spezieller Software und der Hardware-Basis von Watson werden. IBM hat dazu eine Vereinbarung mit der amerikanischen Krankenversicherung WellPoint abgeschlossen, in deren Rahmen Applikationen für die Ärzte und das übrige medizinische Personal von WellPoint entwickelt werden.

Ziel ist es, die Behandlung der Patienten durch standardisierte Diagnose- und Therapieformen auf der Basis bisheriger Erfahrungen zu verbessern. IBM und WellPoint sprechen in diesem Zusammenhang von "Evidenz-basierter Medizin" ("evidence-based medicine"). Indem der Rechner die Ergebnisse einer riesigen Sammlung von medizinischen Daten etwa aus Studien auswertet, kann er automatische Therapieempfehlungen geben.

Schneller als mit Watson geht es kaum

Die Server-Cluster von Watson arbeiten mit einer Virtualisierungsschicht, die durch eine Kernel-basierte virtuelle Maschine (KVM) von Red Hat bereitgestellt wird. Damit ergibt sich eine gemeinsame Prozessorkapazität von 80 Teraflops. Ein Teraflop entspricht einer Billion Rechenoperationen pro Sekunde. Watson, benannt nach dem IBM-Gründer Thomas Watson, kann so 200 Millionen Seiten an Daten in Sekundenschnelle durchsuchen und vorab gestellte Fragen beantworten.

Für die Erkennung und Auswertung von Sprach- und Bildinformationen arbeitet IBM mit dem Software-Anbieter Nuance Communications zusammen. Nuance hat Programme entwickelt, die speziell auf die medizinische Sprache und Fachausdrücke ausgerichtet sind. Ärzte können so auf Sprache und Bilder in Patientendokumentationen in einem Volumen von mehreren Gigabytes oder Terabytes zugreifen, um individuell angepasste Diagnosen und Therapien zu erarbeiten.

Groß, größer, am größten: der Supercomputer Watson von IBM. Er rechnet mit 80 Teraflops.
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Sam Nussbaum, Chief Medical Officer bei WellPoint, erklärt: "Es gibt bahnbrechende Fortschritte in der medizinischen Forschung und in der Praxis der Kliniken. Doch diese stehen nicht immer für die Behandlung weiterer Patienten zur Verfügung." Ärzte in Kliniken und Privatpraxen, denen man den Zugang zu diesem Schatz medizinischen Wissens ermögliche, könnten laut Nussbaum in einer völlig andersartigen Form als bisher die Behandlung der Patienten auf den neuesten Stand bringen. Sie könnten alle bisherigen Fälle, die Erfahrungen anderer Kliniken und Ärzte und den Stand der aktuellen medizinischen Literatur "auf Knopfdruck" an ihrem Computer abrufen und berücksichtigen.

Ein erster konkreter Anwendungsfall bei WellPoint soll ab Anfang 2012 die Behandlung krebskranker Patienten (Onkologie) sein.