Analysten-Kolumne

"In Deutschland findet keine Innovation statt"

06.07.2005 von Pascal Matzke
Die Ankündigung von IBM, deutsches Personal zu entlassen und gleichzeitig Stellen in Indien zu schaffen, hat auch in der Bundesrepublik die Outsourcing-Debatte angeheizt. Dabei steht der IT-Konzern exemplarisch für die Situation in Deutschland. Es gibt kaum Mitarbeiter, die innovativ sind und Strategien umsetzen können.

Gleichzeitig wird der politische Ton schärfer, und Meinungsmacher verdammen Offshoring als "brutalen Neo-Liberalismus". Die Realität ist aber eine andere.

Es erscheint einfach, die Verlagerung von Arbeitsplätzen als simple Maßnahme zur Kostenreduktion zu bewerten. In der überwiegenden Zahl der Fälle steckt jedoch eine tiefer gehende Motivation dahinter. Die meisten Unternehmen zielen nicht nur darauf ab, Kosten einzusparen. Vielmehr suchen sie einen Weg, um mehr operationale Flexibilität zu gewinnen und ihre Marktposition zu stärken sowie Innovationen voranzutreiben.

Ein typisches Beispiel hierfür ist IBM: Als unangefochtener Marktführer in den verschiedensten Technologie- und Dienstleistungssparten hat sich das Unternehmen in EMEA (Europe, Middle East, Africa) innerhalb der vergangenen beiden Jahre kopflastig entwickelt. Rund 5.000 Mitarbeiter arbeiten inzwischen in den Bereichen Administration und Unternehmensplanung.

Zwar konnte IBM in den vergangenen Jahren sein Geschäft weiter ausbauen und seine Marktposition in verschiedenen Ländern und Technologiesegmenten festigen. Das Unternehmen hatte aber zunehmend den lokalen Standortbezug verloren. Viele Kunden stellen inzwischen fest, dass Flexibilität und Reaktionsvermögen bei IBM nachgelassen haben.

Diese Chance suchen Mitbewerber zu nutzen. Sie versprechen Kunden mehr Intimität und persönliche Betreuung. Vor dem Hintergrund eines weiterhin schwierigen wirtschaftlichen Klimas und generell schwacher Marktnachfrage wurde für IBM inzwischen deutlich, dass die Fortführung des bisherigen Geschäftsmodells nicht sinnvoll ist.

Interne Analysen ergaben, dass fundamentale strukturelle Mängel bestehen. Zu viele Hierarchieebenen machten die interne Kommunikation und Entscheidungsprozesse zunehmend schwieriger und komplexer. Darüber hinaus sind zu viele Führungskräfte in zentralen Unternehmensbereichen tätig.

Eine ausgewogene Durchsetzung der zentralen, lokalen und regionalen Hierarchiestufen mit talentierten Fachkräften ist nicht mehr gegeben. Kurz gesagt: IBM hat viele Planer und Erfinder, aber kaum Mitarbeiter, die innovativ sind und die Strategien umsetzen.

Auf Grundlage dieser Analyse hat das Unternehmen nun beschlossen, die Corporate-Organisation in EMEA aufzulösen und die Manager in kleinere, regionale Abteilungen zu gruppieren. Ziel ist es, mehr Kunden- und Marktnähe zu erreichen.

Aufgrund der gleichzeitigen Verlagerung der administrativen Unternehmensfunktionen nach Indien entsteht für IBM aber ein weiteres Problem. Das Unternehmen verfügt nicht über ausreichend kompetente Mitarbeiter, die die Vision von höherem Geschäftswert und steigender Innovationskraft in den einzelnen westeuropäischen Ländern umsetzen können. IBM bezeichnet es als schwierig, qualifizierte Mitarbeiter für die Bereiche Sales und Marketing zu finden. Sie sind aber für die Rückgewinnung des Kundenvertrauens wichtig.

Exemplarisches Szenario

Dieses Szenario könnte exemplarisch für das Dilemma sein, in dem sich Deutschland und Westeuropa befinden. Administrative Funktionen können sicherlich kostengünstiger und bis zu einem gewissen Punkt qualitativ hochwertiger in Offshore-Regionen, wie Indien oder Osteuropa, bearbeitet werden.

Westeuropa ist aber nicht in der Lage, die durch die "Abwanderung" der Tätigkeiten entstehenden Lücken zu schließen, indem anspruchsvollere Aufgaben bereitgestellt und umgesetzt werden. Aber nur so lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen stärken.

Kopflastige Organisation

Natürlich sind in diesem Zusammenhang auch Management-Fehler zu beklagen. Insbesondere viele Großunternehmen sind im Hinblick auf ihre Struktur und Entscheidungsprozesse zu kopflastig organisiert und nicht flexibel genug, um auf neue Herausforderungen am Markt angemessen und schnell zu reagieren.

Auch hierfür bietet IBM ein anschauliches Negativbeispiel. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in Deutschland mehr in Wissensvermittlung, Bildung, Training und Förderung von Arbeitnehmern investiert werden muss. Nur so lässt sich die Führungsrolle bei der Entwicklung von Innovationen zurückgewinnen.

Während alle Parteien in Deutschland in Lippenbekenntnissen bessere Bildung fordern, scheint vielfach das Verständnis zu fehlen, welche Art von Bildung tatsächlich benötigt wird.

Es herrscht die weit verbreitete Meinung, dass ein Aufschwung in Deutschland durch mehr Erfindungen erreicht werden kann und dass hierzu mehr Ingenieure und Wissenschaftler ausgebildet und gefördert werden müssen.

Mit dem Aufbau und der Erweiterung der deutschen Fachkräftebasis lassen sich aber nur Erfolge generieren, wenn die Mitarbeiter - unabhängig von der fachlichen Qualifikation - in der Lage sind, Entwicklungen in marktrelevante Innovationen umzusetzen. Letztlich resultieren Geschäftsergebnisse aus dem Zusammenspiel von Entwicklungen und Unternehmenspraxis, wie Herstellung, Verkauf und Marketing, und nicht alleine aus neuen Entwicklungen.

Pascal Matzke ist Principal Analyste bei Forrester Research.