Transparenz im Warenfluss

Informatiker in der Logistik

02.06.2015 von Peter Ilg
Osterhasen zu Weihnachten, grüne Türen am schwarzen Auto: IT in der Logistik sorgt dafür, dass das nicht passiert. Moderne Logistik ist mehr als Transport, ­Umschlag und Lagerung. Sie macht die intelligente Planung und Steuerung von Wertschöpfungsketten möglich. Dafür werden IT-Spezialisten gebraucht.

Ohne Edeka sähe der deutsche Einzelhandel anders aus. Mit einem Marktanteil von etwa einem Fünftel ist der Lebensmittelhändler unangefochtener Marktführer. Die drei wichtigsten Zahlen zu Edeka: rund 46 Milliarden Euro Umsatz, etwa 328.000 Mitarbeiter, rund 11.600 Märkte. Edeka, das ist ein genossenschaftlich und mittelständisch geprägter Verbund von etwa 4000 selbständigen Kaufleuten, den Nahversorgern. Sie betreiben die Märkte. Die werden von sieben regionalen Großhandelsbetrieben täglich mit Ware beliefert. Das Warengeschäft wird von der Zentrale in Hamburg aus mittels moderner IT gesteuert.

Software plant Touren der LKWs

Das Schlimmste, was Edeka passieren kann, sind leere Regale. Dass dieser Fall nicht eintrifft, dafür sorgen rund 550 IT-Spezialisten in der Lunar GmbH, einer 100-prozentigen Tochter von Edeka, die sich um die IT kümmert. Lunar hat Standorte in Mannheim und Hamburg. In der Hansestadt arbeitet Karsten Keweloh (41). Er ist verantwortlich für die Weiterentwicklung und Einführung eines Computerprogramms zur Steuerung der Lkw-Tourenplanung. "In jeder der sieben Regionen haben wir bis zu 1000 Touren täglich", berichtet er.

Karsten Keweloh, Edeka: Karsten Keweloh, Edeka: „Um als Informatiker in der Logistik zu arbeiten, muss man die komplexen Prozesse verstehen.“
Foto: Edeka

Um dieses gewaltige Pensum zuverlässig und effizient auf Dauer zu schaffen, setzt Edeka eine neue Software ein. Sie kann auf Basis historischer Transportmengen einen Rahmenplan für künftige Touren erstellen. Bestellt ein Händler dann Ware, plant die Software die Route individuell. Basis dafür sind die Daten aus den historischen Werten. Bei der Berechnung werden alle Logistikzentren einer Regionalgesellschaft einbezogen. Zurzeit arbeitet Keweloh daran, die Software sukzessive in den einzelnen Regionalgesellschaften einzuführen.

Informatiker müssen komplexe Prozesse verstehen

Keweloh hat Wirtschaftsinformatik studiert und sich anschließend ganz bewusst für die Logistik entschieden - sein Vater ist Logistiker, und er hat als Schüler und Student in der Logistik gearbeitet: "Logistik ist vielfältig. Warenein- und -ausgang, Kommissionierung und die Technik schreiten rasch voran." Viele der 36 Edeka-Logistikzentren sind teilautomatisiert, in einigen wird vollautomatisch kommissioniert: "Die Waren laufen über eine Förderstrecke, werden von Robotern entnommen und für den Kunden zusammengestellt. Dies zu sehen, ist imponierend", so Keweloh. Er hat nach dem Studium bei einem mittelständischen Handelsunternehmen in der IT angefangen, später in ein größeres gewechselt und dort beispielsweise ein Logistikverwaltungssystem eingeführt. Seit 2010 ist er bei Lunar Projekt-Manager.

Die Herausforderung an IT in der Logistik beschreibt er so: "Um als Informatiker in der Logistik zu arbeiten, ist es notwendig, die komplexen Prozesse zu verstehen, um ihre Steuerung effizient, sicher und einfach zu bedienen und in Softwarelösungen abzubilden." Software soll dabei unterstützen, dass die Waren immer frischer, schneller und kostengünstiger beim Kunden sind. Dass die Anwendungen stabil laufen, ist Grundvoraussetzung, weil niemand leere Regale sehen will. "In der Logistik ist immer was los", sagt Keweloh. Logistiker würden sehr wohl wissen, was sie brauchen. Aber sie seien umgänglich. "Manchmal müssen wir auch improvisieren", sagt er. Denn wenn ein Liefertermin nicht eingehalten werde, rufe der Kunde fünf Minuten später an. Das sei der Charakter der Logistikbranche.

Logistik und IT in neuer Führungsrolle
Warum IT und Logistik zusammengehören
Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) plädiert für einen engen Schulterschluss von Logistik und IT. Dabei gilt folgende Definition: "Logistik ist die ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durchführung und Kontrolle aller unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Informations- und Güterflüsse." Die BVL formuliert zwölf Thesen, die Sie auf den folgenden Seiten finden.
These 1: Logistik und IT zusammendenken
"Die Verbindung zwischen Informationstechnologie und Logistik birgt das größte Potenzial für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland", schreibt die BVL. Daher müssten Logistikwirtschaft und -wissenschaft eine taktgebende Führungsrolle in der Informatik und bei der Entwicklung von Informationstechnologien übernehmen.
These 2: Informationslogistik als eigene Disziplin
Nur Länder mit eigener Technologieentwicklung werden einen signifikanten Wettbewerbsvorsprung halten können, so die BVL. Die Informationslogistik müsse als eigenständiges Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsumfeld begriffen werden mit dem Ziel, Software zu produzieren wie Autos. Die Vereinigung fordert in Deutschland hundert neue Logistiklehrstühle und "viele davon mit IT-Bezug".
These 3: Megatrends und Innovationen
"Die deutsche IT-Forschung und Innovation muss bewusst beschleunigt werden, indem die Standortvorteile genutzt und gestärkt werden", schreibt die BVL. Konkret: Die vertikale Integration von Logistik und IT soll vorangetrieben werden. Dabei kommt der Informationslogistik als Bindeglied zwischen IT und Produktion eine Schlüsselrolle sowohl beim Management als auch beim Design der Systeme zu.
These 4: E-Commerce und M-Commerce
"Erfolgreiche Zustellsysteme im E-Commerce und M-Commerce basieren auf einer umfassenden Logistik- und IT-Kompetenz", erklären die Logistiker. Ihre Prognose: Unternehmen, die nicht auf die Verbindung von IT und Logistik fokussieren, werden mittelfristig aus dem Wettbewerb ausscheiden.
These 5: Komplexität
Die BVL gibt zu bedenken, dass Komplexität und Dynamik in der Logistik überproportional wachsen. "Die größte strategische Chance besteht aus deutscher Sicht in einer schnellen innovativen Entwicklung branchenspezifischer IT-Werkzeuge in der Logistik", heißt es.
These 6: Transparenz
"Transparenz und Rückverfolgbarkeit sind die Grundlage des logistischen Managements und Garanten für die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Supply Chains", sagt die BVL. Dies gelinge nur mit der Entwicklung und konsequenten Einführung neuer Informationstechnologien.
These 7: Collaboration
"Logistik ist ein internationales Geschäft", stellt die BVL fest. IT-Lösungen, die eine IT-gestützte, unternehmensübergreifende Zusammenarbeit im Sinne von Collaboration und einen schnellen, automatisierten Datenaustausch ermöglichen, seien ein wesentliches Differenzierungsmerkmal der Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Bestehende Lösungen und Forschungsvorhaben hierzu müssten von Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik unterstützt werden.
These 8: Normung und Standards
"Die Entwicklungsgeschwindigkeit der Informationslogistik führt zunehmend zu De-facto-Standards", beobachtet die BVL. Die notwendige Geschwindigkeit und Tiefe der Standardisierung und Normung zu gewährleisten, sei eine internationale Aufgabe, die auch auf nationaler Ebene unterstützt und aktiv gefördert werden müsse. Die Logistiker sprechen sich für internationale Standards aus.
These 9: Digitale Infrastruktur
Laut BVL vertausendfacht sich die Datenmenge in der Logistik alle zehn Jahre. Investitionen des Bundes in breitbandige und mobile Datennetze müssen zur Wettbewerbssicherung des Standortes und zur Sicherstellung eines schnellen und sicheren Datenaustausches erhöht werden, fordert die Vereinigung.
These 10: Sicherheit und Compliance
"Rechtssicherheit auf Basis klarer, transparenter Regeln und länderübergreifende Lösungen und Vereinbarungen sind für die Logistik essenziell", schreibt die BVL. Die Logistiker wollen eine sichere „German Cloud“ schaffen.
These 11: Industrie 4.0
"Die 4. Industrielle Revolution und konkret die Soft- und Hardware- Entwicklungen sowie die korrespondierende Algorithmik und deren Anwendung in der Logistik müssen von den Entscheidungsträgern in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft vorangetrieben werden", fordert die BVL.
These 12: Mensch und IT
Nach den Zahlen der BVL beschäftigt die Logistik in Deutschland über 2,8 Millionen Menschen. Sie ist auch in Zeiten einer Industrie 4.0 auf menschliche Flexibilität, Kreativität und Schaffenskraft angewiesen. "Es gilt, insbesondere Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologien in den Dienst einer „Social Logistics“ zu stellen, die die Vernetzung des Menschen in den „Social Networks“ einer Industrie 4.0 propagiert und ihn zugleich als soziales Individuum adressiert", erklären die Logistiker.

Ohne IT ist Logistik nicht mehr denkbar

Die Logistik ist nach dem Automobilbau und dem Handel mit rund 2,9 Millionen Beschäftigten der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Rund 235 Milliarden Euro wurden 2014 erwirtschaftet, teilt die Bundesvereinigung Logistik mit. Der Trend bei den Beschäf­tigten sei weiterhin leicht steigend, wie auch der Umsatz.

Frauke Heistermann, Bundesvereinigung Logistik: „Ohne IT ist die Logistik heute nicht mehr denkbar.“
Foto: Bundesvereinigung Logistik

Die studierte Logistikerin Frauke Heistermann ist Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik, sie ist Mitbegründerin und Mitglied der Geschäftsleitung von Axit in Frankenthal, nahe Mannheim. Axit ist ein Tochterunternehmen von Siemens, das sich mit der "Königsdisziplin der IT in der Logistik beschäftigt", wie Heistermann sagt, und zwar "mit der Entwicklung von Software zur Verwaltung von Lieferketten auf Basis von Cloud-Lösungen, so dass alle Beteiligten immer in Echtzeit informiert sind".

"Ohne IT ist Logistik nicht mehr denkbar", so Heistermann. Früher sei IT in der Logistik lediglich ein Tool gewesen. "Heute ist sie Treiber von Innovationen." Beispiel: mobiles Internet im Führerhaus von Lkws. Logistik ist der Warenfluss, IT der Informationsfluss. IT integriert alle Beteiligten. Auftraggeber, Hersteller, Zulieferer, Spediteure. Weltweit. Und Logistik bringt Transparenz in den Warenfluss von A nach Z. "Je mehr Transparenz ein IT-System liefert, umso besser kann man steuernd und regelnd eingreifen und braucht weniger teure Feuerwehreinsätze." Und schließlich kann IT auch Entscheidungen vorbereiten. Erkennt sie eine Verspätung, so schlägt das Programm vor, anstelle der konventionellen auf Expressfracht umzusteigen - um den Termin zu halten. In der Logistik ist Termintreue das höchste Gebot.

Die Berufschancen von Informatikern in der Logistik bewertet Heistermann als "sehr gut, wenn sie Prozesswissen haben". Logistik ist ein Prozessbegleiter, IT-Spezialisten müssen deshalb verstehen, wie Logistik funktioniert. Spezielle Kenntnisse über Technologien seien nicht vonnöten. "Aber: Software für unsere Branche muss flexibel und agil sein, darf nicht in Beton programmiert werden, weil sich Anforderungen rasch ändern können." Etwa Mengen, Routen, Termine. Arbeitgeber für Informatiker in der Logistik sind Logistikunternehmen wie Schenker oder DHL, IT-Dienstleister wie Axit, und auch manche Konzerne beschäftigen sie für Entwicklung, Pflege, Individualisierung von Software oder im Projekt-Management.

Vermittler zwischen zwei Welten

Wie René Matera (32) bei Axit. Er hat an der Dualen Hochschule Mannheim angewandte Informatik studiert, sein Ausbildungsbetrieb war auch sein heutiger Arbeitgeber. Gleich nach seinem Studium, das war 2009, hat er der Technik Adieu gesagt und ist ins Projekt-Management gewechselt: "Ich bin im Customizing und sorge dafür, dass unser bestehendes System flexibel an Kundenwünsche angepasst wird." Matera arbeitet an der Schnittstelle zwischen Business und IT. "Dort prallen unterschiedliche Welten aufeinander. Deshalb sind Interessenkonflikte üblich."

René Matera, Axit: "Konflikte zwischen IT und Fachbereichen sind üblich, da prallen unterschiedliche Welten aufeinander."
Foto: Axit

Matera vermittelt zwischen Ansprüchen und ihrer Machbarkeit. Dazu muss er Kundenprozesse verstehen und wissen, wie sich diese mit dem Standardbaukasten-System abdecken lassen. Neben technischem Verständnis braucht er vor allem Kommunikationsfähigkeit, und er muss wissen, wie Konflikte gelöst werden. Je mehr sich Informatiker von der Technik entfernen, umso mehr rücken andere Skills in den Vordergrund.

Softwareentwicklung in Polen ohne Kostenvorteil

Axit entwickelt Software für die Logistik und beschäftigt rund 130 Mitarbeiter. Die Hälfte davon arbeitet in der Programmierung zu gleichen Teilen am Unternehmenssitz in Frankenthal und in Breslau. Dort hat Axit ein Softwareunternehmen übernommen. Die Stadt im Südwesten Polens hat eine der größten Universitäten Europas. "Insbesondere gibt es dort einen sehr guten Lehrstuhl für Mathematik und Informatik", lobt Frauke Heistermann aus der Geschäftsleitung von Axit. Kontakte zu dem dortigen Professor sorgen für neue Mitarbeiter. "Kostenvorteile bestehen in Polen schon lange nicht mehr", sagt Heistermann. Das Gehaltsniveau von Informatikern in Breslau sei vergleichbar mit dem in Deutschland.