CFO Görwitz zu effizientem SCM bei Altana Pharma

"IT fehlt bei Prozessen der strategische Ansatz"

29.08.2005 von Andreas Schmitz
Vor fünf Jahren ging Byk Gulden der Stoff aus: Das Magen- Darmmittel Pantoprazol wurde der Renner - und das Konstanzer Pharmaunternehmen kam mit der Lieferung nicht nach. CFO Andreas Görwitz brachte neue Ideen für die Lieferkette des 2002 in Altana Pharma umfirmierten Unternehmens.

CIO: Herr Görwitz, Sie sind als CFO auch Chef der Supply Chain bei Altana Pharma. Wie kommt das?

Andreas Görwitz: In Italien war ich CFO einer Boehringer-Tochter und verantwortlich für die Materialwirtschaft, IT, den Einkauf und die Lieferkette einer Tochtergesellschaft. Dort bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass Prozesse wichtig sind. Um die Supply Chain von Altana Pharma zu organisieren, bin ich von Boehringer Ingelheim 1999 hierher gekommen.

CIO: Sind Prozesse so neu für die Pharmaindustrie?

Görwitz: In den 90er Jahren ist etwas besonderes passiert in Europa: Es war nicht mehr nötig, in jedem Land eine Produktionsstätte aufrechtzuerhalten. Mit der EU hat sich die pharmazeutische Landschaft geändert.

CIO: Was bedeutet das für die Prozesse?

Görwitz: Pharmaproduzenten mussten nicht mehr wie in Italien in einem Land Tabletten, Ampullen und alle Technologien für den Heimatmarkt bereitstellen. In Singen etwa sitzt heute die weltweite Produktion von Altana Pharma für die Bereiche Steril und Liquida, in Oranienburg für feste Formen wie Tabletten und Kapseln. Eine andere Prozessgestaltung erforderte andere Kommunikationssysteme, neue Tools mussten implementiert werden. Die IT half uns dabei.

CIO: Prozesse sind doch eigentlich die Kernaufgabe der IT.

Görwitz: IT kann für Prozesse nicht den strategischen Ansatz liefern. Der kommt aus der Produktionslandschaft, aus dem Finanzbereich oder anderen Unternehmensbereichen. Prozesse heben Abteilungs-, Firmen- und Landesgrenzen auf. Darüber läuft der Prozess der Marktversorgung. Ein Kunde bestimmt die Nachfrage, die Prozesskette muss für Qualität, günstige Kosten und Liefertreue sorgen. Das kann die IT nicht leisten.

CIO: Das wird Ihr CIO Dietmar Lummitsch nicht so gerne hören?

Görwitz: Die IT ist ein Mittel zum Zweck – ein ganz wichtiger Partner. Wir designen, und während der Umsetzung brauchen wir einen engen Kontakt zum IT-Bereich. Da kommt der CIO ins Spiel. Der klärt, was machbar und notwendig ist. Doch die Strategie kommt aus den Fachfunktionen wie Supply Chain Management und Finance. Finance ist übrigens ganz wichtig: Parallel zu den Lieferströmen werden ja finanzielle Ströme abgewickelt. Da mussten sie ein neues Supply Chain Design entwerfen, um dann auch Finanzströme mitberücksichtigen zu können.

CIO: Mit Pantozol hatte Byk Gulden Ende der 90er Jahre einen regelrechten Lieferstau. Wie kam das?

Görwitz: Für Pantolzol gibt es 18 Stufen in der Herstellung der Substanz und fünf Stufen in der Produktion bis eine fertige Packung rauskommt – das ist eine komplexe Herstellung. Dazu kommen 83 Partner, die in die Supply Chain eingebunden werden müssen. Zudem ist man von acht Tonnen benötigter Substanz ausgegangen, heute sind wir bei 110 Tonnen. Man hat das Potenzial stark unterschätzt. Die Kapazität dafür hatten wir gar nicht.

CIO: Was tun?

Görwitz: Wir waren in einem deutlichen Rückstand, wir konnten die Marktanfragen 1999 nicht bedienen. Danach haben wir das Konzept radikal geändert. Aufträge und Bestätigungen wurden damals auf schriftlichem Wege gemacht. Das war wie in der Steinzeit.

CIO: Sie mussten Prozesse neu definieren.

Görwitz: Wir haben ein neues Konzept entworfen und einen zentralen Prozessmanager geschaffen. Der zweite Schritt war ein Paradigmenwechsel. Nicht der Produktionsleiter hat das Sagen, was typisch ist für die Pharmaindustrie, sondern der Supply Chain Manager bestimmt die Geschwindigkeit in der Kette.

CIO: Das geht nicht ohne eine optimierte IT. Was war technisch nötig?

Görwitz: Wir müssen anders kommunizieren können mit einem integrierten IT-Ansatz. Wir hatten unter der Produktionsebene die ERP-Systeme – aber nicht integriert. SAP hatte damals eine definierte Logik, die uns immer wieder in Rückstand gebracht hat. Da bin ich auf das "way" von Wassermann gestoßen – das Prinzip der rückstandsfreien Produktion.

CIO: Und damit konnten Sie die Schwächen von SAP ausgleichen.

Görwitz: Wir haben SAP das "way" als Planungstool vorgeschaltet. Alles, was mit den Kundenaufträgen zu klären war, haben wir ins "way" reingelegt und dem Prozessmanager gesagt: Klärt alles mit den Kunden, bevor es in SAP scharf geschaltet wird. "Way" checkt den Bedarf und verteilt die Information auf die Produktionsorte und logistischen Einheiten. Das Tool entdeckt Bottlenecks und gibt dem Planer Hinweise, die geklärt werden müssen – auf Kapazitäten, Material etc.

CIO: Das heißt, Sie hatten das erste Mal ein System, das die Lieferkette überwacht?

Görwitz: Ja, doch es fehlt noch der dritte Schritt – das Ganze zu messen. Wir mussten die Lieferkette mit einem Key Performance System überziehen. Und da zählen für mich hauptsächlich drei Indikatoren: Qualität muss einwandfrei sein, Good Manufacturing Practice fordert, regulatorische Bestimmungeneinzuhalten, Anforderungen an Reinheit, regelmäßiger Schulung des Personals zu erfüllen und Prozesse und Maschinen durch Behörden abnehmen zu lassen. Der zweite ist der Customer Service Level, also die Vollständigkeit und Pünktlichkeit der Lieferungen und der dritte die Cost of Goods, gemessen in Prozent vom Umsatz.

CIO: Hat sich da inzwischen etwas verbessert?

Görwitz: In den Cost of Goods sind wir von 32 auf 24 Prozent runter. Zudem hat sich die Anzahl der Qualitätsmängel halbiert. Die Prozesse wurden verbessert und der Ausschuss deutlich reduziert. Im Customer Service Level hatten wir 1999 73 Prozent. Unser Ziel ist 95, da sind Sie immer lieferfähig. Wir sind derzeit mit 97 sogar drüber. Ein 100-prozentiger Service Level ist zu teuer. Denn dagegen läuft immer der Bestand. Je niedriger der Service Level, umso höher sind die Bestände, damit sie ausgleichen können.

CIO: Über die 73 waren Sie geschockt ...

Görwitz: Das waren wir. Da haben Kunden angerufen, bei mir direkt. Das hat mir gezeigt, dass Handlungsbedarf bestand. Damals hat sogar das Top-Management in den Prozess eingegriffen. Das darf nicht sein. Aufgabe vom Management ist nicht, nachzukontrollieren, ob Medikamente nach Argentinien gehen und nicht nach Frankreich. Deren Aufgabe ist, die Mitarbeiter in eine andere Betrachtungsweise zu bekommen - in ein anderes Konzept.

Einen ausführlichen Bericht zu SCM bei Altana Pharma lesen Sie in der Septemberausgabe der CIO, die am 5. September 2005 erscheint.