Drastisch mehr psychische Erkrankungen

IT-Profis selten krank

24.02.2011 von Werner Kurzlechner
Psychische Erkrankungen sorgten im vergangenen Jahr mehr denn je für Fehltage. Das dürfte in der IT genauso der Fall sein wie anderswo. Dafür ist die Branche insgesamt so gesund wie keine andere, wie eine Studie der DAK belegt.
Die DAK nahm die jungen Erwerbstätigen genau unter die Lupe. Ergebnis: Viele sind im Job unterfordert.
Foto: DAK

Wer gesundheitlich angeschlagen ist, mag die Gründe dafür auf Arbeitsstress schieben – oft genug mit einigem Recht übrigens. Auch der ein oder andere IT-Profi denkt sich gelegentlich, wie anstrengend oder gar krankmachend sein Beruf doch ist. Dem lässt sich entgegenhalten: Das mag so stimmen, aber es gibt statistisch betrachtet keine einzige gesündere Alternative. Laut dem aktuellen Gesundheitsreport der DAK ist die IT die Branche mit dem geringsten Maß an Arbeitsunfähigkeit überhaupt.

Die Krankenkasse ließ für die jährlich erscheinende Studie vom Berliner IGES Institut die Daten von 2,6 Millionen Versicherten auswerten. Im Durchschnitt waren die Versicherten im vergangenen Jahr 12,5 Kalendertage krankgeschrieben. Erwerbstätige in der IT fehlten demgegenüber nur 9,5 Tage. Die einzige andere Branche mit weniger als 10 Fehltagen im Durchschnitt ist Bildung, Kultur und Medien. Am höchsten ist der Wert mit 14,4 in der öffentlichen Verwaltung.

Eine Ursache könnte darin liegen, dass die gesicherten Arbeitsverhältnisse in Behörden und Ämtern eine Krankschreibung eher bedenkenlos zulassen als etwa die Mitarbeit in einem IT-Projekt. Dies kann aber bestenfalls ein Teil der Erklärung sein. Betrachtet die ebenfalls hohen Fehlzeiten in Branchen wie Verkehr und Kurierdienste, Baugewerbe, Landwirtschaft und chemischer Industrie, dürfte ein anderer Aspekt auffallen: Die Verletzungsgefahr am Rechner ist doch ungleich niedriger als auf der Straße oder auf einem Gerüst – und selbst das stickigste Büro liegt fernab von giftigen Chemikalien, mit denen andere Arbeitnehmer in Berührung kommen.

Im Vergleich zu den 9,1 Tagen im Jahr 2009 sind die Fehlzeiten in der IT-Branche 2010 etwas mehr geworden. Das gilt auch für den Krankenstand, der von 2,5 auf 2,6 Prozent stieg. Diese Größe misst, welcher Anteil an Erwerbstätigen an einem Arbeitstag im Durchschnitt krank ist. Vergleichbar niedrig wie in der IT ist er lediglich wiederum in Bildung, Kultur und Medien sowie bei Banken und Versicherungen. Im Gesamtdurchschnitt der DAK-Versicherten lag der Krankenstand 2010 bei 3,4 Prozent. 53,7 Prozent meldeten sich 2010 überhaupt nie krank.

Insgesamt blieb der Krankenstand gegenüber dem Vorjahr unverändert, überhaupt hat er sich seit einem Jahrzehnt auf einem nahezu konstanten Niveau eingependelt. „Die Legende von der Konjunkturabhängigkeit des Krankenstandes lässt sich empirisch nicht belegen“, folgert daraus Professor Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK. In den vergangenen Jahren brach erst die globale Wirtschaftskrise über die Bundesrepublik herein, 2010 folgte ein signifikantes Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent.

Laut klassischer Lehre hätten die Krankschreibungen aus schierer Jobangst erst drastisch fallen müssen, um dank zunehmender wirtschaftlicher Sicherheit wieder zu steigen. Entgegen dieser kruden Theorie des Blaumachens gab es zumindest nach DAK-Daten keine spektakulären Verschiebungen zu beobachten.

Demgegenüber hat sich in der Verteilung der Diagnosen doch einiges getan. Für jeden fünften Fehltag sind Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems verantwortlich – bereits im Vorjahr die häufigste Ursache. Darunter fällt beispielsweise die Volkskrankheit Nummer Eins: Rückenschmerzen. 16 Prozent der Fehltage wurden mit Erkrankungen der Atemwege begründet – deutlich weniger als 2009, weil keine vergleichbaren Grippewellen auftraten. Im Gegensatz dazu stieg der Anteil an Verletzungen deutlich an auf 14 Prozent. Laut Studie ist dies vor allem auf die vereisten und rutschigen Bürgersteige zu Jahresbeginn zurückzuführen, die eine Häufung von Stürzen verursachten.

Junge leiden unter Unterforderung

Komplexer zu begründen und Besorgnis erregend ist, das mittlerweile 12 Prozent – etwa ein Achtel – der Fehltage auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind. Nach den Daten der DAK ist dieser Wert seit 1998 kontinuierlich gestiegen und hat inzwischen das doppelte Niveau erreicht. Schlimmer noch: Im Vergleich zu 2009 gab es bei den Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen einen Sprung um 13,5 Prozent. „Das ist aber nicht immer eine schwere Depression“, erläutert Hans-Peter Unger, Psychiatrie-Chefarzt am Asklepios-Klinikum Hamburg-Harburg.

Allein 3,9 Prozent der Fehltage wurden 2010 durch eine depressive Episode verursacht. In diesem Anstieg mag sich dann doch niederschlagen, dass wirtschaftliche Verlust- und Existenzängste den Bürgern auf den Magen schlagen. Unger und Rebscher weisen allerdings auch darauf hin, dass psychische Erkrankungen gesellschaftlich immer stärker wahrgenommen würden und das zu einer stärkeren statistischen Sichtbarkeit führe.

Schon in jungen Jahren sind viele Versicherte Belastungen ausgesetzt, die später in psychische Erkrankungen münden können. Das zeigen die Abschnitte in der Studie, die sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit jungen Arbeitnehmern zwischen 18 und 29 Jahren befassen. 26 Prozent von ihnen klagen über zu hohen Arbeits- und Zeitdruck, 17 Prozent über Konkurrenzkämpfe unter Kollegen. Bemerkenswerterweise fühlen sich nur 6 Prozent bei der Arbeit über-, fast 60 Prozent jedoch unterfordert. „Auch Unterforderung kann arbeitsbedingten Stress ausmachen“, so Unger.

Ein Fünftel der Befragten empfindet den Arbeitsalltag als sehr belastend. Erstaunlich hoch erscheinen in Teilen die Leiden allein der jungen Arbeitnehmer: 48 Prozent haben gelegentlich Muskelverspannungen, 30 Prozent Kopfschmerzen, ein Fünftel Konzentrationsprobleme. Jeweils um die 15 Prozent sind bei der DAK schon mit Motivationsproblemen, Schlaflosigkeit und Magenbeschwerden registriert. Die große Gruppe der Studenten ist in der Auswertung nicht erfasst, weil sie im Krankheitsfall nicht unbedingt eine Krankschreibung benötigen.

Rebscher führt den Anstieg an seelischen Störungen unter anderem auf den steigenden Leistungsdruck bereits in der Schulzeit, unstete Lebensplanungen, Parallelarbeit in verschiedenen Jobs und die ständige Erreichbarkeit im Mobilfunk- und Internetzeitalter zurück.

Junge IT-Profis fehlen weniger oft als ältere

Der durchschnittliche Krankenstand bei den jungen Erwerbstätigen lag 2010 bei 2,6 Prozent. Mit lediglich 1,8 Prozent zeigen sich auch hier die IT-Profis so gesund wie keine andere Berufsgruppe. Sie hatten im vergangenen Jahr 31 Prozent weniger Fehltage als die Gesamtgruppe der Jungen. Im Vergleich zur gesamten IT-Branche fehlten junge Mitarbeiter um ein Viertel seltener.

Der „Gesundheitsreport 2011“ ist bei der DAK erhältlich.