IT-Manager wetten

It's all about Data!

07.08.2019 von Dr. Clemens Schophaus
Clemens Schophaus wettet, dass in fünf Jahren eine datenbasierte Wertschöpfung für mehr als 30 Prozent aller Unternehmen erfolgsentscheidend sein wird.
Clemens Schophaus, IT Strategy & Portfolio Manager bei E.ON Business Services.
Foto: E.ON Business Services GmbH

Die Digitalisierung wird in vielen Vorträgen, Diskussionsrunden und Publikationen auch als vierte industrielle Revolution bezeichnet und mit den großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen der vergangenen 200 Jahre in eine Reihe gestellt.

Die industriellen Revolutionen

In der ersten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert fand, getrieben durch die Mechanisierung von manuellen Tätigkeiten in der Herstellung von Gütern, der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft statt. Der manuelle Beitrag des Menschen zur Wertschöpfung wurde hierbei durch den flächendeckenden Einsatz von neuer Technologie, der Dampfmaschine, verschoben. Dieses Prinzip der Verschiebung des menschlichen Wertschöpfungsbeitrags durch Technologie zieht sich fort durch die weiteren Umbrüche der Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte:

In der zweiten industriellen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde durch die intensivierte Mechanisierung und Automation des Herstellungsprozesses, den weitverbreiteten Gebrauch von Elektrizität und die Massenproduktion von Gütern eine nächste Stufe erreicht. Nunmehr wurden nicht lediglich einzelne Produktionsschritte, sondern ganze Teilprozesse in der Herstellung technologiegestützt ausgeführt.

Die dritte industrielle Revolution seit etwa Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts schließlich ist gekennzeichnet durch den aufkommenden Einsatz von Mikroelektronik, Digitaltechnik und Computertechnologie. Durch die damit einhergehende teilweise vollständige Automatisierung ist der manuelle Beitrag des Menschen zur Wertschöpfung in der Produktion weggefallen. Der Schwerpunkt menschlicher Wertschöpfung wurde in den Dienstleistungssektor und die analoge Datenverarbeitung verschoben.

Im Dienstleistungssektor gibt es nach wie vor manuelle Beiträge zur Wertschöpfung, zum Beispiel in der Mensch-Mensch-Interaktion (Friseur, Pflege, Rezeption, Information, Training, Lehre), für komplexe, kontextspezifische manuelle Tätigkeiten, verbunden mit analoger Datenverarbeitung (Brief- und Paketzustellung, Chauffeur, Instandhaltung) oder für Kontroll­aufgaben (Sicherheitsdienst, Kasse). Des Weiteren gibt es bislang im Dienstleistungssektor einen großen Bereich an weitestgehend analoger Datenverarbeitung, zum Beispiel in Versicherungen, Finanzdienstleistungen, Verkehr, Reise oder Touristik.

Nur noch digital

Zunehmend wurde und wird dabei menschliche analoge Datenverarbeitung in der letzten Phase der dritten Revolution durch digitale Datenverarbeitung, vornehmlich in Unterstützungsprozessen wie zum Beispiel Buchhaltung, Controlling, Abrechnung, Beschaffung oder Material-

und Lagerverwaltung ersetzt. Die Einführung von ERP-Systemen stellt hier einen wichtigen Meilenstein dar. Als Folge verschob und verschiebt sich die menschliche analoge Datenverarbeitung als Wertbeitrag zunehmend auf die Kernprozesse der Wertschöpfung.

Seit der dritten industriellen Revolution unterscheiden wir zwischen der digitalen und der analogen Datenverarbeitung. Die vierte industrielle Revolution der Digitalisierung hebt diesen Unterschied auf, zukünftig wird es nur noch digitale Datenverarbeitung geben.

Diese rasante Veränderung wird im Wesentlichen durch zwei sich exponenziell entwickelnde Verstärkungskatalysatoren ermöglich:

1. Die Verfügbarkeit von Daten in großem Umfang durch billige, variable Sensoren

In allen Stufen der Wertschöpfungskette

vom Kunden über den Produktionsprozess bis zum Lieferanten können durch neue Technologien sämtliche bislang noch rein analog - durch Menschen - verarbeitete Daten teil­weise in Echtzeit digital erfasst, digitalisiert werden.

Dieser Umstand stellt den eigentlichen Kern der vierten industriellen, der digitalen Revolution dar. Egal ob es sich um Bewegungsdaten von Menschen, Gütern oder Maschinen, um Umgebungsdaten wie Licht, Temperatur, Feuchtigkeit, um Zustandsdaten von Menschen oder Maschinen oder um Verbrauchsdaten handelt: Alles und wirklich alles an verfügbaren Informationen kann mittlerweile zu teilweise marginalen Kosten erfasst werden. Es gibt keine exklusiv analogen Daten mehr.

2. Nahezu unbegrenzte und zu geringen Kosten verfügbare Rechen- und Speicherkapazitäten

- Der zweite maßgebliche Verstärkungsfaktor bezieht sich auf die Möglichkeiten der Speicherung und Weiterverarbeitung der digitalisierten Daten.

- Die exponenzielle Entwicklung in der Bereitstellung von immer kostengünstigerer Speichertechnologie ermöglicht die nachhaltige Aufnahme der durch die Sensortechnologie erzeugten Datenflut.

- Datenerfassung und Datenspeicherung sind quasi unbegrenzt möglich und kosten (fast) nichts.

- Die weitere für das Heben der Potenziale der Digitalisierung unverzichtbare Ressource ist die Bereitstellung von Rechenleistung zur Verarbeitung der erfassten Datenmengen.

Auch hier vollzieht sich eine sich beschleunigende Entwicklung zu phänomenalen Rechen­kapazitäten, deren spezifische Kosten sich rasant der Nulllinie annähern.

Die Kombination dieser beiden wesentlichen Verstärkungskatalysatoren durch Vernetzung, Cloud und Edge Computing führt zu dem eigentlichen Hebel und Motor der digitalen Revolution:

- Intelligente Systeme können aus dem Maximum der vorhandenen Erfahrungen/Daten schöpfen.

- Intelligente Systeme können schnell genug lernen, um Mehrwert aus den Erfahrungen zu generieren, und in Echtzeit lernen, Entscheidungen zu treffen.

Ein neues KI-Zeitalter

Künstliche Intelligenz auf Grundlage von regelbasierten und selbstlernenden Systemen ist keine neue Entwicklung, sondern schon seit Jahrzehnten Gegenstand von Wissenschaft und Forschung. Was diese Technologie heute allerdings in ein neues Zeitalter katapultiert, ist zum einen die Geschwindigkeit und Komplexität der Lernverarbeitung durch die explodierende Rechenleistung und zum anderen der Zugang zu einem gigantischen Lern- und Erfahrungsreservoir an Daten für den Lernprozess. Mit diesen Mitteln kann mit Hilfe von künstlicher Intelligenz heutzutage evolutionäre Optimierung auf minimalen Zeitskalen erreicht werden.

Zur Erläuterung seien hier zwei in diesem Zusammenhang häufiger bemühte Beispiele angeführt:

• Röntgendiagnostik und Radiologie

Der verfügbare Erfahrungshintergrund des besten menschlichen Röntgendiagnostikers der Welt speist sich aus seiner eigenen Anschauung und beträgt damit einen verschwindenden Bruchteil des Erfahrungshintergrunds, auf den künstliche Intelligenz zugreifen kann, soweit sie alle Röntgenbilder, die je gemacht wurden, einbeziehen kann.

• Strategische Spiele wie Schach und Go

Der Mensch kombiniert seine (begrenzten) Möglichkeiten der Vorausberechnung von Spielszenarien mit seinem Erfahrungsschatz an bisher ausgeführten Spielen, um seine Spielstrategie zu entwickeln.

Bisherige Computerprogramme waren dem Menschen teilweise dadurch überlegen, dass sie durch Rechenleistung in Anzahl und Tiefe der Vorausberechnung von Spielszenarien einen Vorteil in der Spielstrategie erreichen konnten.

Künstliche Intelligenz kann grundsätzlich auf die Daten jedes jemals gespielten Spiels zugreifen und diese in den Lernprozess einbeziehen. Der sich hieraus ergebende Vorteil ist durch einen Menschen nicht aufzuholen, wie das Beispiel Alpha Go gezeigt hat.

Sprache und sprachliche Interaktion sowie ­Lesen stellen weitere typische Beispiele menschlicher analoger Datenverarbeitung dar, welche in zunehmenden Maße durch KI-Anwendungen übernommen werden.

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Value Proposition verschwindet

Was sind nun die Auswirkungen auf den Wertschöpfungsprozess in Unternehmen, welches Einsatzfeld verbleibt für den menschlichen Wertschöpfungsbeitrag?

Der Anteil der analogen Datenverarbeitung durch Menschen an der Wertschöpfung eines Unternehmens liegt industrie- und branchen- übergreifend in einem Bereich von zirka 25 bis 40 Prozent.

Wenn dieser Anteil im Zuge der Digitalisierung zunehmend durch digitale Technologien ersetzt wird, entfällt das entsprechende Betätigungsfeld für die Mitarbeiter des Unternehmens. Ebenso entfällt die Value Proposition, das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens, für diesen Teil seiner Wertschöpfung. Das bedeutet, dass insbesondere Unternehmen, die den Schwerpunkt ihrer Wertschöpfung auf diesen Bereich stützen, etwa das Finanz- und Versicherungswesen, eine radikale Transformation durchlaufen müssen, um nachhaltig ihren Unternehmenserfolg zu sichern.

Eine analoge Transformation haben zum Beispiel Sportartikelhersteller in der Vergangenheit in Bezug auf ihre Produktion durchlaufen. Viele der großen Marken lassen maßgeblich in China produzieren, teilweise auf den gleichen Produktionsanlagen in verschiedenen Schichten. Der Produktionsprozess stellte hier nicht (mehr) das Alleinstellungsmerkmal dar. Vielmehr fand eine Verschiebung in die Bereiche Design, Marketing und eventuell Beschaffenheit und Qualität der Materialien statt.

Im Bereich der analogen Datenverarbeitung in Unternehmen wird es vergleichbar umfassende Verlagerungen der Wertschöpfungsschwerpunkte geben. Diese verschieben sich radikal auf den kreativen, schöpferischen und gestaltenden Anteil. Die Idee gewinnt noch viel mehr Gewicht, die Umsetzung und Ausführung wird automatisiert werden, siehe zum Beispiel auch die zunehmende Entwicklung des 3D-Drucks.

Unternehmen werden demnach nur erfolgreich sein,

- wenn die Transformation der Wertschöpfungskette durch Digitalisierung der analogen Datenverarbeitung gelingt und

- ein relevantes Alleinstellungsmerkmal, eine Value Proposition auf der kreativen, schöpferischen und gestalterischen Seite, geschaffen werden kann.

Im Umkehrschluss wird bei den zukünftig existierenden Unternehmen der datenbasierte Wertschöpfungsanteil durch die erfolgreiche Digitalisierung der analogen Datenverarbeitung signifikant steigen.

Folgen für die Energiebranche

Was bedeutet diese Entwicklung für die Energiewirtschaft? Die Versorgungsunternehmen befinden sich mitten in einem tiefgreifenden strukturellen Wandel, getrieben durch die hervorstechenden Faktoren

- Dezentralisierung,

- Deregulierung und

- Dekarbonisierung.

Mit der Dezentralisierung der Energieerzeugung geht eine Vergesellschaftung der Energieproduktion einher. Sie wird zunehmend von Unternehmen und Einzelpersonen eigenständig übernommen. Die Energiebranche verliert ihr Alleinstellungsmerkmal in der Produktion und damit einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer ehemaligen Wertschöpfung.

Infolge der Deregulierung verändern sich Marktverhältnisse im Kundenzugang und der Energieverteilung maßgeblich. Der Kundenzugang hat bereits seit Längerem seine Exklusivität eingebüßt, und die Energieverteilung muss effizient für alle Marktteilnehmer organisiert und betrieben werden. In diesen Bereichen ist eine massive Verschiebung hin zu digitaler, datenbasierter Wertschöpfung notwendig, um nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren zu können.

Daten werden Geschäftsfeld

Die Dekarbonisierung schließlich bewirkt eine radikale zeitliche Dynamisierung der Energieerzeugung und -verteilung. Die Volatilität und Komplexität des Erzeugungs- und Verteilungssystems steigen signifikant, wodurch zunehmend nur durch digitalisierte datenbasierte Steuerungs- und Stabilisierungsmechanismen die Beherrschbarkeit sichergestellt werden kann. Anderseits ergeben sich jede Menge Potenziale für neue Geschäftsmodelle.

Daten als wirtschaftliches Geschäftsfeld für Energieunternehmen spielen für mehr als die Hälfte aller großen Versorger in naher Zukunft eine größere Rolle als Erzeugung, Verteilung und Vertrieb von Energieprodukten.

Technologiegetriebene Endkundenprodukte wie zum Beispiel Smart Home und Smart Meter stellen dabei lediglich den Einstieg und Nukleus für neue datenbasierte Geschäftsmodelle dar. Deshalb wette ich, dass schon in fünf Jahren datenbasierte Wertschöpfung für mehr als 30 Prozent aller Unternehmen erfolgsentscheidend sein wird.

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