Datenschützer äußern juristische Bedenken

IT-Sicherheit bei der WM: Sorgenkind mit Januskopf

10.05.2006 von Christiane Pütter
Tickets mit RFID-Chips, eine Viertel Million Helfer unter der Kontrolle von Big Brother und Bundesligavereine, die nach der Technik gieren - selten ist der Widerspruch "Freiheit contra Sicherheit" so deutlich wie bei der kommenden Fußballweltmeisterschaft. Gerhard Kongehl, Leiter der Ulmer Akademie für Datenschutz und IT-Sicherheit, ist besorgt.

Das Bild sagt mehr als tausend Daten: Gerhard Kongehl zeigt auf die klassische Statue des Mannes mit dem Januskopf. Das Gesicht auf der einen Seite blickt in die Freiheit, das Gesicht auf der anderen Seite in die Sicherheit. „Bei den Vorbereitungen zur Fußballweltmeisterschaft reden wir nur noch von der Sicherheit und überhaupt nicht mehr von der Freiheit“, warnt der Datenschützer. Seine These: Organisatoren und Fußball-Vereine vertreten Interessen, die teilweise nicht mit den Gesetzen vereinbar sind.

Beispiel Fifa: Die Organisation verlangt Tickets, die mit Hilfe der IT fälschungssicher gemacht werden. Ziel soll sein, Schwarzmarkthändler aus dem Spiel zu halten. Also werden die Karten mit RFID-Chips personalisert. In den Chips ist die Identifikationsnummer des Personalausweises oder Reisepasses gespeichert, die der Fußballfan beim Kauf angeben musste.

Schwarzmarkthändler sind bereits am Ball

Klingt einleuchtend - doch Gerhard Kongehl geht ein anderes Licht auf: „Das Gesetz sieht nicht vor, dass die Nummern aus Pässen und Ausweisen für solche Zwecke gespeichert werden dürfen“, sagt er. Außerdem ist der Datenschützer davon überzeugt, dass die Schwarzmarkthändler längst am Ball sind: „Um
Schwarzmarkthandel wirklich zu verhindern, müssten bei jeder Einlasskontrolle die Informationen auf dem Chip mit der Pass- oder Personalausweis-Nummer des Karteninhabers verglichen werden“, so Kongehl.
Weil das aber viel zu lang dauern und in der Warteschlange für Aggresionen sorgen könnte, dürfte in der Praxis darauf verzichtet werden. Schon druckt die amerikanische Tageszeitung International Herald Tribune Stimmen von Black-Market-Sellern ab, die potenzielle Kunden damit ködern, dass die Tickets nicht wirklich auf Übereinstimmung der Daten überprüft werden können.

Ein anderes Beispiel: Nicht nur die Helfer bei der WM, sondern auch Polizisten und Reporter, die dort ihren Job machen werden, mussten ihre Daten angeben. Insgesamt wurden 250.000 Menschen zum gläsernen Bürger gemacht und einer Überprüfung unterzogen. Dass diese Maßnahme mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, daran hat Gerhard Kongehl seine Zweifel. Er sieht das Recht der Viertelmillion Menschen auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

Kongehl: „Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf nur im überwiegenden Allgemeininteresse und auf Grundlage eines Gesetzes eingeschränkt werden.“ Und eben dieses Gesetz, so der Datenschützer, gibt es nicht.

Da beruhigt es ihn auch nicht, dass die Viertelmillion Durchleuchteter vor der Sicherheitsprüfung ihre Zustimmung gegeben haben. „Wer als Journalist oder als Polizist arbeitet, gibt seine Zustimmung nicht wirklich freiwillig“, sagt Kongehl. „Denn wer sie verweigert, riskiert berufliche Nachteile.“ Und noch etwas verstößt gegen die Spielregeln: Die online abgegebenen Unterschriften der Betroffenen seien nicht elektronisch authentifiziert worden.

Gerhard Kongehl weiß um die Ängste der Organisatoren. August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hatte anlässlich des Großereignisses Fußball-Weltmeisterschaft gesagt: „Wir haben München '72, den elften September 2001 und die Ausschreitungen zur Fußball-WM in
Frankreich im Hinterkopf.“

WM als Großprojekt zur Förderung der RFID-Technologie

Gleichzeitig hat der Datenschützer im Hinterkopf, dass DFB und Bundesligavereine Ansprüche auf die jetzt eingeführte Technik anmelden, wenn die WM abgepfiffen ist. Sein Fazit: Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ist ein Großprojekt zur Förderung der RFID-Technologie. Das Schlagwort vom „Pervasive Computing“, von der Datenverarbeitung, die alle Lebensbereiche des Bürgers durchdringt, treibt ihn um. Kongehl: „Sollen wir künftig nur noch zu Sportveranstaltungen oder Pop-Konzerten gehen können, wenn wir uns vorher identifiziert haben?“

Professor Gerhard Kongehl, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der Ulmer Akademie für Datenschutz und IT-Sicherheit (udis), ist Physiker und Neurophysiologe. Ursprünglich in der Hirnforschung tätig, arbeitet er heute im Datenschutz, weil ihn „Gefahren, die nicht wahrnehmbar sind“ faszinieren.
Kongehl, der gleichzeitig dem Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands vorsitzt, ist ein engagierter Verfechter des Bürgerrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Den Begriff „Datenschutz“ hält er übrigens für „idiotisch“: Nicht die Daten müssen geschützt werden, sondern das Recht des Bürgers auf den Umgang damit.