Media Saturn CIO Ricardo Diaz Rohr

"IT wird zur Kernkompetenz für alle Aufgabenbereiche"

07.03.2016 von Hans Königes
Digitalisierung bedeutet nicht nur coole Vertriebskonzepte und innovative Produkte; vor allem die Mentalität der Mitarbeiter muss sich auf agiles Arbeiten und Geschwindigkeit im Umsetzen neuer Konzepte einstellen, sind der CIO Ricardo Diaz Rohr und der Berater Lutz Tilker im Gespräch überzeugt.

Welche Rolle spielen die IT beziehungsweise die IT-Verantwortlichen heute vor dem Hintergrund der Digitalisierungswelle?

Ricardo Diaz Rohr:Für unser Unternehmen spielt die IT eine Schlüsselrolle. Wir wollen zum führenden digitalen Handelsunternehmen für Consumer Electronics in Europa werden und da wird IT zur Kernkompetenz für alle Aufgabenbereiche. Für die IT-Abteilung bedeutet das: Sie muss IT-Wissen vermitteln und die Anforderungen anderer Abteilungen verstehen. Sie muss Mitarbeiter und Systeme zusammenzuführen, um gemeinsam bessere Lösungen zu finden. Sie übernimmt nicht mehr einen detailliert spezifizierten Auftrag und liefert ein fertiges Produkt ab, sondern arbeitet kontinuierlich mit anderen Abteilungen zusammen. Das ist ein iterativer Prozess, der Kommunikations- und Organisations-Know-how erfordert.

Ricardo Diaz Rohr ist CIO der Media-Saturn-Holding sowie CEO der Media-Saturn IT Services GmbH. Mit einem Nettoumsatz von 21 Milliarden Euro und rund 65.000 Mitarbeitern im Geschäftsjahr 2013/14 ist die mehrheitlich zur Metro AG gehörende Gruppe in 15 Ländern vertreten.
Foto: Media Saturn

Lutz Tilker: Es ist spannend zu beobachten, wie sich die Aufgaben der IT respektive der IT-Verantwortlichen in den vergangenen 25 Jahren verändert haben. In der Phase der Enterprise-IT bis zu den 90er Jahren wurde mit Hilfe der IT die Prozessautomatisierung immer effizienter. In der Phase der Industrialisierung ab 2000 musste die IT selbst peu à peu effizienter werden. Und heute in Zeiten des Internet der Dinge ist es Aufgabe der IT-Verantwortlichen sich proaktiv in die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle einzubringen.

Lutz Tilker ist Partner bei Eric Salmon & Partners. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Suche, Beurteilung und Auswahl von Führungskräften der ersten und zweiten Führungsebene sowie von Aufsichtsräten.
Foto: Eric Salmon & Partners

Welche neuen Aufgaben kommen dadurch auf den CIO zu?

Ricardo Diaz Rohr: Der CIO muss die IT für die Digitalisierungswelle wettbewerbsfähig aufstellen. Das heißt, die richtigen Mitarbeiter an Bord holen, Steine aus dem Weg rollen, die Unternehmenskultur weiter entwickeln sowie die entsprechenden Ressourcen effektiv einsetzen.

Lutz Tilker: Zukünftig wird sich der CIO zu einem Digital Leader entwickeln. Die Frage lautet daher, ob er selbst zum Chief Digital Officer oder dieser für ihn der wesentliche Sparring Partner für die Digitalisierung wird. Unabhängig davon wird auf den CIO eine deutlich prägnantere Führungsrolle auch mit Blick auf die Geschäftsmodelle eines Unternehmens zukommen. Er wird letztlich nur als Business Enabler erfolgreich sein.

Wie man das Team in die Digitalisierung mitnimmt
Achillesferse der Digitalisierung
In dem Papier "Being digital: Embrace the future of work and your people will embrace it with you" bezeichnet Accenture die Belegschaft eines Unternehmens als "Achillesferse" der Digitalisierung. Das Papier basiert auf Angaben von rund 700 Entscheidern weltweit sowie circa 2.500 Angestellten.
Befürchtungen der Mitarbeiter
Eine Mehrheit von 70 Prozent der Angestellten befürchtet den Verlust von Teamgeist, wenn die Kollegen per Fernzugriff arbeiten und nicht mehr ins Büro kommen. Etwa jeder Achte (zwölf Prozent) erwartet, seine Job-Aussichten werde sich durch die Digitalisierung negativ entwickeln.
Vorteile der Digitalisierung
Gleichzeitig erwarten die Angestellten aber auch Vorteile in den Punkten Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens (71 Prozent), Agilität (69 Prozent) und Produktivität (68 Prozent). Insbesondere jüngere Befragte mit überdurchschnittlich hoher Qualifikation sehen die Vorteile der Digitalisierung – "wenig überraschend", wie Accenture schreibt.
Katalog digitaler Skills
Accenture rät Entscheidern, einen Katalog mit den benötigten digital Skills samt dem jeweiligen Kompetenzniveau zu erstellen.
Keine Nebensache
Entscheider dürfen das Thema Mitarbeiter nicht als Nebenschauplatz behandeln, so der Appell von Accenture. Sie brauchen eine "Test and learn"-Mentalität.

Welche Rolle spielen die Fachbereiche?

Wie lassen sich die Anforderungen der Fachbereiche in die Digitalisierungsstrategien einbauen?

Lutz Tilker: Die Business-Anforderungen sind Treiber der Digitalisierungsstrategie. So werden beispielsweise im Vertrieb via E-Commerce mit Hilfe von Predictive Analytics Bedarfe von Kunden treffsicher analysiert und prognostiziert. In der produzierenden Industrie führen integrierte digitale Planungsansätze, die Vertrieb, Produktion und Zulieferer gleichermaßen einbeziehen, zu einer deutlich verbesserten Steuerung sowie effizienteren Abläufen.

Ricardo Diaz Rohr: Für uns als Consumer-Electronics-Händler ist die Digitalisierung selbst eine Geschäftsanforderung. Wir verkaufen Produkte, die Digitalisierung ermöglichen - da ist es unerlässlich, sein eigenes Geschäft auf die Möglichkeiten dieser Produkte zuzuschneiden. Aber Digitalisierung betrifft aus meiner Sicht nicht nur Verkaufskonzepte oder Produkte, sondern auch unsere Denke. Überall versuchen wir agil zu werden und digitale Prozesse einzuführen. Wir wollen schnell implementieren, um schnell Erkenntnisse zu sammeln und schnell ausrollen zu können - oder bei Bedarf auch schnell wieder mit etwas aufzuhören.

Gibt es Beispiele in Ihrem Unternehmen, die zeigen, dass die IT-Verantwortlichen positiv die Digitalisierung vorantreiben?

Ricardo Diaz Rohr: All die Innovationen, die Sie als Kunde in den Märkten sehen, sind auch IT-getrieben. Dass man Produktverfügbarkeiten in unseren Märkten per App abrufen kann, war eine wichtige IT-Aufgabe. Ein Projekt wie der digitale Kassenzettel erfordert die Anbindung an die bestehende Systemlandschaft durch die IT. Und wenn unsere Verkäufer in den Märkten ein Tablet bekommen, um ihren Kunden bessere Antworten geben zu können, beruht die App, die das ermöglicht, auf der Infrastruktur unserer IT.

Ein wichtiges aktuelles Projekt ist unser Media-Saturn-eigener App Store für Mitarbeiter. Dieser App Store ist ein typisches Beispiel für abteilungsübergreifende Projekte: Entstanden auf Initiative unserer Multichannel-Kollegen der MS E-Business & Concepts, umgesetzt in Kooperation mit uns, als Plattform offen für alle anderen Abteilungen und für jeden Kollegen mit der Möglichkeit, einen Überblick über unsere Anwendungen zu erhalten.

Lutz Tilker: Es wird notwendig sein, die bestehenden monolithischen IT-Systeme, die viele Unternehmen heute noch haben, für die Anforderungen der Digitalisierung weiter zu entwickeln. Das heißt, dass diese flexibilisiert, modularisiert und auch mehr als heute nach extern geöffnet werden müssen. Dies stellt wiederum neue und hohe Anforderungen an die IT-Sicherheit. Eine Kundenausrichtung ohne Medienbrüche im Zuge der Digitalisierung hat massive Auswirkungen auf die IT, so dass der CIO keine Alternative zur digitalen Initiative hat.

Ricardo Diaz Rohr, Media-Saturn:"Die größte Herausforderung der Digitalisierung ist der kulturelle Wandel."
Foto: everything possible - shutterstock.com

Chief Digital Officer muss Brückenbauer und Innovationstreiber sein

Wird die Digitalisierung von Ihrer IT-Abteilung oder den Fachabteilungen primär angeschoben und umgesetzt und wie wird sich das Verhältnis zueinander zukünftig entwickeln?

Ricardo Diaz Rohr: Traditionell haben die Fachabteilungen die IT angeschoben. Aktuell verschiebt sich dieses Verhältnis aber deutlich. Am Ziel angekommen sind wir, wenn sich diese Frage gar nicht mehr stellt. Wenn Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationen an einer gemeinsamen Lösung arbeiten.

Lutz Tilker: Wenn man zum Beispiel Vertrieb und Marketing als einen der Bereiche betrachtet, für den die Digitalisierung weitreichende Chancen bietet, dann wird sehr schnell klar, dass der bei einigen Unternehmen schon eingeführte Chief Digital Officer Brückenbauer und Innovationstreiber gleichermaßen sein muss.

Ricardo Diaz Rohr: Die übergreifende Funktion des Chief Digital Officers ist auf jeden Fall empfehlenswert. Aber sicherlich muss man sich auch fragen, ob der CIO das in Personalunion leisten kann. Wir haben einen CIO und einen CDO, weil beides Herkulesaufgaben sind - die übergreifende Digitalisierung und die entsprechende Aufstellung der IT. Dabei arbeiten wir eng miteinander - denn die enge Verzahnung von Prozessen muss von den Führungskräften vorgelebt werden.

Mitarbeiter sollen Spaß haben und aktiv sein

Welche Art Mitarbeiter werden zukünftig für die großen Digitalisierungsprojekte gebraucht?

Lutz Tilker: Für die bisher primär fachspezifisch ausgerichteten Anforderungsprofile in der IT werden zukünftig die horizontal ausgeprägten Geschäftsprozesse der fachliche Maßstab. Insofern müssen Mitarbeiter in der IT verstärkt fachseitiges Prozess-Know-how entwickeln, um so ihrer Funktion in der Steuerung der Ressourcen gerecht zu werden. Ob dieses besser durch "Digital Natives" als durch "Digital Immigrants" erreicht wird, sei dahingestellt. Was zählt ist der "Digital Evangelist".

Ricardo Diaz Rohr: Neben all dem brauchen wir Mitarbeiter, die Spaß an Innovationen haben. ITler, für die unsere Märkte eine Art Schlaraffenland sind, werden sich auch bei uns im Unternehmen wohlfühlen. Zudem brauchen wir Mitarbeiter, die nicht auf Aufträge warten, sondern sich proaktiv einbringen, um Innovationen zu generieren. Ich freue mich auf Bewerbungen von Leuten, die daran arbeiten möchten, die Zukunft des Einzelhandels zu gestalten und Spaß an der Bearbeitung etwa folgender Fragen haben: Wieso finde ich offline nicht so schnell wie online? Wieso hab ich online mehr Informationen als offline? Und wieso ist das Einkaufen im Internet heute noch so viel weniger Erlebnis als das im stationären Markt. Wer hier Antworten finden möchte, der ist bei uns richtig.

Worin sehen Sie die größte Herausforderung für die nächsten drei Jahre?

Lutz Tilker: Digitalisierung an sich bringt noch keinen Nutzen. Erst durch Innovation und konkrete Anwendungen für digitale Technologien entsteht der eigentliche Mehrwert. Aber genau diese digitale Kreativität in pragmatische Lösungen zu überführen, ist die Herausforderung für die nächsten drei Jahre.

Ricardo Diaz Rohr: Aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung der kulturelle Wandel. Wir müssen Innovationen stärker umarmen und agiler werden. Gleichzeitig müssen wir uns unserer Stärken bewusster werden. Media-Saturn hat eine zupackende "Macher"-Kultur. Man kann hier sehr schnell Dinge bewegen. Das sind ideale Voraussetzungen, um die IT noch bedeutsamer werden zu lassen.

Roundtable: Was Digitalisierung für Mitarbeiter bedeutet
Was ändert sich durch die Digitalisierung für die Mitarbeiter?
Antworten suchten diese IT-Chefs in einer Diskussion mit COMPUTERWOCHE-Redakteuren. Unser Bild zeigt von links: Hans Königes (CW), Edgar Kirchmann von Transearch, Dieter Loewe von NTT Data, Daniel Krauss von Flixbus, Axel Kummer von Metafinanz, Frank Engelhardt von Salesforce.com, Jürgen Renfer von der KUVB und Alexandra Mesmer (CW).
Axel Kummer, Metafinanz
„Wir müssen neu denken, ausgehend von den Geschäftsprozessen und den Endkunden. Dafür setzen wir auf kreative Köpfe, die auch aus anderen Branchen als der IT kommen.“
Daniel Krauss, Flixbus
„Unsere größte Herausforderung ist es, mit permanentem Change und der damit einhergehenden Unsicherheit zurechtzukommen.“
Dieter Loewe, NTT DATA
„Wir brauchen eine Arbeitskultur, in der Mitarbeiter ein Privatleben haben dürfen und nicht immer erreichbar sind.“
Edgar Kirchmann, Transearch
„Wer ­Digitalisierung ernst nimmt, braucht mehr als einen neuen Posten wie den Chief Digital Officer. Topmanagement wie Führungskräfte müssen das Thema ­treiben und vorleben.“
Jürgen Renfer, KVUB
„Digitale Veränderungen sind derart disruptiv, dass wohl niemand genau weiß, wo die Reise ­endet. Der CIO ist als Lotse gefordert.“
Frank Engelhardt, Salesforce.com
„Es motiviert die Mitarbeiter, wenn sie eine reelle oder auch gefühlte Autonomie ­haben.“