Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD (Teil 2)

IT-Zukunft Deutschland: Alles eher im Ungefähren

06.12.2013 von Jan-Bernd Meyer
Im am 27. November 2013 beschlossenen Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und die SPD den Rahmen für die digitale Zukunft Deutschlands festgeschrieben. Fazit: Alles bleibt im Ungefähren.
Mit Handys kennt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel aus.
Foto: Deutsche Messe

Im Folgenden werden wir einige Originalpassagen des Koalitionsvertrags wiedergeben und an verschiedenen Stellen einen Kommentar hinzufügen. Dieser Text ist die Fortsetzung von Teil 1. Unsere Leser möchten wir ermuntern, mit eigenen Kommentaren die Gedanken der möglichen schwarz-roten Regierung zu beurteilen.

Ab Seite 138 widmen sich die Koalitionäre den Chancen für ein freies und sicheres Internet. Maßgeblicher Faktor der Digitalisierung sei "die Globalisierung der Netze und die internationale Arbeitsteilung im Bereich der Informationstechnik. Das weltweite Netz ist ein globales Freiheitsversprechen. Doch spätestens der NSA-Skandal hat die Verletzlichkeit der digitalen Gesellschaft aufgezeigt. IT-Sicherheit wird zu einer wesentlichen Voraussetzung zur Wahrung der Freiheitsrechte."

Wer nun erwartet hat, dass die künftige Regierung Stellung nehmen würde zur NSA-Affäre und möglichen Verhaltensweisen einer künftigen deutschen Regierung, wird enttäuscht. Die "gesellschaftlichen Chancen und ökonomischen Potenziale der Digitalisierung dürfen nicht gefährdet werden", heißt es lediglich.

Kein Wort zu der internationalen, flächendeckenden Überwachung, kein Wort zum Thema Cloud Computing und den daraus erwachsenden internationalen technischen Verflechtungen samt der zu erwartenden rechtlichen Probleme.

Digitales Wachstumsland Nummer 1

Weiter geht es mit den Absichtserklärungen. "Wir wollen die Informations- und Kommunikationsstrategie (IKT-Strategie) für die digitale Wirtschaft weiterentwickeln. Dazu gehören für uns Spitzenforschung im nationalen und europäischen Rahmen, die Entwicklung und Anwendung von digitalen Technologien und optimale Wachstumsbedingungen für Unternehmen aller Branchen."

Es vergeht kein nationaler IT-Gipfel, auf dem dieses Bekenntnis nicht in der einen oder anderen Weise formuliert wird.

Sigmar Gabriel, prospektiver stellvertretender Bundeskanzler der schwarz-roten Regierung.
Foto: Sigmar Gabriel

Auch der Bürokratieabbau ist ein Dauerthema, dass sich die politisch Verantwortlichen schon seit Jahren - folgenlos - auf die Fahnen schreiben. Im Koalitionsvertrag taucht er wieder auf: "Um den globalen und sicherheitspolitischen Herausforderungen zu begegnen, fördern wir die deutsche und europäische IKT-Industrie, indem wir die Rahmenbedingungen dafür verbessern und Bürokratie abbauen."

Manchmal hat man bei der Lektüre den Eindruck, dass die Verhandlungspartner jeden IT-Begriff, der momentan en vogue ist, wenigstens einmal in der Vereinbarung aufscheinen lassen wollten. So etwa das Thema Industrie 4.0: "Die Digitalisierung der klassischen Industrie mit dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 werden wir vorantreiben und im nächsten Schritt um intelligente Dienstleistungen ("Smart Services") erweitern, sowie Projekte und Maßnahmen im Bereich der Green IT stärken." Der Bezug auf Green IT ist insofern vielleicht von Interesse, als in eben dem Koalitionsvertrag beim Thema erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit etc. ein gravierender Rückschritt zu verzeichnen ist. Die gerade erst propagierte Energiewende wird teilweise zurückgenommen. Kohle- und Gaskraftwerke werden wieder subventioniert, die Förderung für Sonnen-, Wind und weitere Alternativenergien zurückgefahren. Wie glaubwürdig bei solch einem Schlingerkurs das Versprechen ist, Smart Services (die ja etwa mit Smart Metering/Smart Grid zu tun haben) und Green-IT-Projekte voranzutreiben, mag dahingestellt bleiben.

Sicherheit in Zeiten von Cloud

Ähnlich unscharf sind die Vorstellungen der CDU/CSU und SPD in Sachen IT-Sicherheit und Cloud Computing. O-Ton: "Wir werden Beratungsangebote zur Digitalisierung von bestehenden Wertschöpfungsketten in Industrie und Mittelstand im Hinblick unter anderem auf Cloud Computing und Zusammenhalt der Gesellschaft ausbauen. Die Themen IT-Sicherheit und die Abwehr von Wirtschaftsspionage sollen darüber hinaus eine besondere Rolle spielen."

Kein Wort zu den Angriffen ausländischer Regierungen auf deutsche Unternehmen. Kein Wort zu Überlegungen, wie deutsche Konzerne, die Cloud Computing nutzen wollen, etwa durch neue Gesetzgebungen und standortpolitische Maßnahmen wenigstens halbwegs geschützt werden könnten.

Auch beim Thema Big Data hantieren die Verantwortlichen mit Allgemeinplätzen: "Wir werden die Forschungs- und Innovationsförderung für Big Data auf die Entwicklung von Methoden und Werkzeugen zur Datenanalyse ausrichten, Kompetenzzentren einrichten und disziplinübergreifend strategische Anwendungsprojekte ins Leben rufen."

Gründergeist

Koalitionsvertragspartner Horst Seehofer, online-affiner Facebook-Nutzer, der in seiner Heimat in Bayern bleiben wird.
Foto: Facebook

Konkreter wird der Koalitionsvertrag immerhin, wenn es um Neugründungen und Startups geht: "Wir möchten einen neuen Gründungsgeist in Deutschland wecken und eine Kultur der zweiten Chance etablieren. Unser Ziel ist es dabei, die Zahl der Gründungen von derzeit 10.000 in den nächsten Jahren kontinuierlich auf 15.000 pro Jahr zu steigern. Dafür sollen Antragsverfahren entbürokratisiert werden. Außerdem werden wir Förderinstrumente dahingehend überprüfen, dass sie die gesamte Innovationskette inklusive der Verwertungsmöglichkeiten berücksichtigen. Wir wollen das Gründen von Unternehmen leichter machen: Durch eine Vereinfachung der Prozesse (One-Stop-Agency) soll eine schnellere Unternehmensgründung möglich sein. Wir werden Unternehmensgründungen im IT-Bereich erleichtern und ein innovatives Netzwerk für Start-Ups durch die Wirtschaft anstoßen und dessen Internationalisierung unterstützen."

Die RSM Gruppe, ein weltweiter Zusammenschluss unabhängiger Prüfungs- und Beratungsgesellschaften, hat von 2007 bis 2011 in 35 Ländern die Zahl der Unternehmensneugründungen mit denen der - schließungen verglichen. Deutschland schloss dabei im Vergleich mit den weiteren G7-Staaten USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Frankreich und Italien nicht sonderlich gut ab. Innerhalb der fünf untersuchten Jahre gab es in Deutschland 75.000 Neu-Unternehmen. Im Schnitt sind das 15.000 pro Jahr, ein Wert also, den die Koalitionäre jetzt wieder erreichen wollen.

Kein Klarnamenzwang

In Sachen der Nutzung sozialer Netze kommt von den Koalitionären eine klare Aussage - allerdings zu einem Thema, das nicht sonderlich strittig war: "Wir sprechen uns gegen einen allgemeinen Klarnamenzwang aus, weil anonyme Kommunikation oft nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist."

Datenschutz - NSA und die Folgen

Ein Tabu für die schwarz-gelbe Regierung unter der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war das Thema Vorratsdatenspeicherung. Am 2. März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung in der aktuellen Form für verfassungswidrig erklärt. Die künftige große Koalition wird sich nun der EU-Richtlinie beugen: "Wir werden den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen." Allerdings will die zukünftige Regierung auf EU-Ebene "auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken. Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren."

NSA und die deutsche Politik

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Position der scheidenden Justizministerin. Leutheusser-Schnarrenberger hatte auf eine Aussage des US-Präsidenten Barack Obama (""Man kann nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben.") gegenüber Spiegel Online geantwortet: "Ich teile diese Einschätzung nicht. Eine Gesellschaft ist umso unfreier, je intensiver ihre Bürger überwacht, kontrolliert und beobachtet werden. Sicherheit ist im demokratischen Rechtsstaat kein Selbstzweck, sondern dient der Sicherung von Freiheit." Die künftige Regierung scheint in dieser Frage eher Obama nachzueifern - ausgerechnet.

Sicherheitsvorfälle meldepflichtig

Auch in der Wirtschaft umstritten dürften die Aussagen im Koalitionsvertrag zu Gesetzen sein, mit denen der Cyberkriminalität Einhalt geboten werden soll: "Wir schaffen ein IT-Sicherheitsgesetz mit verbindlichen Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit für die kritischen Infrastrukturen und der Verpflichtung zur Meldung erheblicher IT-Sicherheitsvorfälle. Dafür setzen wir uns auch auf der EU-Ebene im Rahmen der europäischen Cybersicherheitsstrategie ein." Mit anderen Worten: die vieldiskutierte und umstrittene Meldepflicht wird - in welcher Form auch immer - kommen. Das wird Bürokratie erzeugen und Fragen aufwerfen. Wann und für wen ist ein Vorfall meldepflichtig - und wer erfährt davon?

Rätselhaft: "Netze des Bundes"

Etwas rätselhaft klingt die Absicht, zum Schutz der Bürgerdaten eine einheitliche Plattform "Netze des Bundes" schaffen zu wollen.

Im Koalitionsvertrag liest sich das so: "Um Bürgerdaten besser zu schützen und zu sichern, werden wir die Bündelung der IT-Netze des Bundes in einer einheitlichen Plattform Netze des Bundes anstreben. IT- und TK-Sicherheit wollen wir zusammenführen." Ist das eine Anlehnung an die Deutsche Cloud? Sollen hier ähnliche Vorstellungen der Deutschen Telekom aufgenommen werden?

Konsequenzen aus der NSA-Affäre

Und dann kommt die schwarz-rote Koalition doch noch einmal auf die NSA-Affäre zu sprechen - und das wird den US-amerikanischen Freunden wohl ein Lächeln entlocken. Der Text ist unverbindlich und folgenlos, aber er mag als gelungenes Schlusswort gelten.

"Wir drängen auf weitere Aufklärung, wie und in welchem Umfang ausländische Nachrichtendienste die Bürgerinnen und Bürger und die deutsche Regierung ausspähen. Um Vertrauen wieder herzustellen, werden wir ein rechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln. Damit sollen die Bürgerinnen und Bürger, die Regierung und die Wirtschaft vor schrankenloser Ausspähung geschützt werden. Wir stärken die Spionageabwehr. Unsere Kommunikation und Kommunikationsinfrastruktur muss sicherer werden. Dafür verpflichten wir die europäischen Telekommunikationsanbieter, ihre Kommunikationsverbindungen mindestens in der EU zu verschlüsseln und stellen sicher, dass europäische Telekommunikationsanbieter ihre Daten nicht an ausländische Nachrichtendienste weiterleiten dürfen."