IT-Anwendungslandschaft modernisieren

Jetzt geht's ans Eingemachte

09.09.2009 von Jörg Hild
An Änderungen bei Anwendungen trauen sich viele CIOs nicht ran. Denn es ist immer ein politisches und höchst sensibles Thema im Unternehmen. Allerdings lassen sich durch geeignete Methoden im Applikation-Management noch bis zu 20 Prozent sparen, meint Jörg Hild von Compass.
Jörg Hild ist Geschäftsführer bei Compass Deutschland GmbH, Wiesbaden.
Foto: COMPASS Deutschland GmbH

Applikationsleistungen verursachen einen signifikanten Anteil an den IT-Kosten; oft liegt er deutlich über 50 Prozent. Zum einen ist das Applikationsmanagement stark personallastig – zu 70 bis 80 Prozent handelt es sich dabei um "People Business". Zum anderen wurde dieser Bereich in der Vergangenheit am wenigsten systematisch entwickelt. Er grenzt unmittelbar an die Fachbereiche, deren (nicht selten widersprüchliche) Vorgaben meist 1:1 in Anwendungen umgesetzt wurden. Das Ergebnis sind noch immer Redundanzen, Doppelimplementierungen und funktionale Lücken sowie ein bunter Mix aus Plattformen, Schnittstellen und Entwicklungswerkzeugen. Gerade hier liegen also erhebliche Reserven. Ohne Weiteres können bis zu 20 Prozent der Kosten eingespart werden.

Noch immer können in der IT Schätze gehoben werden
Reifegrade von Preismodellen
Geschäftsanwendungen sind in ihrer Funktionalität zwar individuell - für ihre Verrechnung haben sich aber serviceorientierte Verrechnungsmodelle herausgebildet.
Optimierung der Entwicklungskosten
Durch Verlagerung der Aufwandsverteilung in frühe und begleitende Projektphasen konnten in diesem Fall die Gesamtkosten der Entwicklung um 30 Prozent gesenkt werden.
Optimierung des Skill-Mix
Durch Skill Management und Vergleich mit Leading Practices am Markt lässt sich der Skill-Mix sowohl in der Linienorganisation als auch in den Projekten optimieren.

Allerdings haben sich die CIOs bisher nicht so recht getraut, diesen Optimierungsschatz zu heben. Denn er ist mit Konflikten an zwei Fronten verbunden. Die Fachbereiche müssten endlich die bessere Kosten-Nutzen-Relation einer konsequenten Standardisierung akzeptieren und deshalb einige liebgewonnene individuelle Domänen aufgeben. Und wegen der starken Personallastigkeit berühren Veränderungen in diesem Bereich ein innerbetrieblich sensibles Thema.

Für CIOs, die diese Reserven angehen wollen, heißt die beste Strategie deshalb: Versachlichung. Die besten Voraussetzungen dafür sind Transparenz und systematisches Vorgehen.

Definition und Abgrenzung: Was ist Applikationsmanagement?

Im ersten Schritt sollte festgelegt werden, welche IT-Disziplinen überhaupt unter den Begriff subsumiert werden (und damit Gegenstand der Optimierungsbemühungen werden). Da am Markt verschiedene Definitionen existieren, empfiehlt es sich, ganz konkret am Life-Cycle anzusetzen: Applikationsmanagement ist eine integrierte Aufgabe aller operativen Tätigkeiten, die mit einer Anwendung verbunden sind - von der Entwicklung über Roll-out, Betrieb und Wartung, User-Support und -Beratung bis schließlich zur Außerbetriebnahme.

Da das Applikationsmanagement im Grenzbereich zwischen Business und IT angesiedelt ist, sollte zu Beginn eines Optimierungsprojekts auch geklärt werden, wem welche Tätigkeiten zugeordnet werden. Grenzbereiche neigen seit jeher dazu, Grauzonen zu sein. In unserem Fall heißt dies, dass die Zuständigkeiten oft unklar sind: Sowohl die IT als auch die Fachbereiche sehen vielfach das Durchführen von Trainings, Supportleistungen, Monitoring, Stammdatenpflege etc. als ihre Aufgaben an. Eine eindeutige und umfängliche Erfassung und Zuordnung ist deshalb eine fundamentale Voraussetzung für Transparenz.

Mapping – welche Business-Prozesse werden durch welche Anwendungen unterstützt?

Im Mittelpunkt der Analyse steht das Mapping: Welche Prozesse betreibt das Unternehmen, und inwieweit passt die vorhandenen Anwendungslandschaft zu ihnen? Ausgangspunkt sind die Prozesse der Fachseite. Im Bankbereich kann das zum Beispiel die "Vergabe von Baukredit" mit den Prozessen Vertrieb, Beratung, Antragsbearbeitung etc. sein, oder im Versicherungswesen die "Vermarktung von Policen" mit den Geschäftsprozessen Call Center, Beitrags- und Bestandsverwaltung, Schadenregulierung, Zahlungen, Kundenkorrespondenz usw. Diesen Prozessen werden dann alle Anwendungen zugeordnet, die sie unterstützen.

Mit Hilfe einer solchen Matrix wird schnell transparent, welcher Geschäftsprozess von verschiedenen Anwendungen unterstützt wird und welche Applikationen sich überlappen. So findet man etwa die Verwaltung des Kundenstamms oder das Berechnen von Preisen und andere Funktionen oft redundant in verschiedenen Anwendungen - beispielsweise weil jede Tochtergesellschaft eine eigene Lösung für ähnliche Aufgaben einsetzt. Auch funktionale Lücken oder "tote" Anwendungsfunktionalität, die von keinem Prozess genutzt wird, lassen sich so erkennen.

Auf dieser Analyse können die Verantwortlichen dann eine eindeutige Zuordnung vornehmen, welche Applikationen welchen Prozess unterstützen. Sie können außerdem alle Anwendungen klassifizieren und entscheiden, welche sie abschalten, ergänzen, beibehalten oder weiterentwickeln wollen. Ziel sollte es sein, jede fachliche Anforderung durch maximal ein Software-Modul zu unterstützen. Besonders gut eignet sich dafür natürlich eine SOA-Architektur: Wiederkehrende Funktionen werden nicht jedes Mal in den Anwendungen programmiert, sondern als wiederverwendbare Services mit standardisierten Input-/-Output-Schnittstellen aus einer Software-Bibliothek abgerufen.

Verursacher- und marktgerechte Leistungsverrechnung

Ein eindeutiges Mapping von Geschäftsprozessen und Anwendungen ist eine wichtige Voraussetzung, um das nächste Ziel des Optimierungsprozesses zu erreichen: die verursachergerechte Verrechnung der Leistungen und die Festset-zung marktgerechter Preise.

Die anfallenden IT-Kosten für Anwendungsentwicklung, Rechenzentrum, fachlichen und technischen Applikationsbetrieb, Support, Service-Desk usw. werden normiert erfasst, dann den Applikation und damit dem Geschäftsprozess zugeordnet. So werden die IT-Kosten eines Geschäftsprozesses bzw. eines Produktes transparent. Sie lassen sich auf den Fachbereich umlegen und aufwandsbasiert verrechnen. Dies bringt zwei Zusatznutzen: Wenn der Fachbereich für die Anwendung zahlen muss, wird er sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch optimal nutzen. Und die Fachbereiche verstehen besser, wie IT-Kosten zustande kommen - was unmittelbar die Diskussion befruchtet, wie sich die IT-Gesamtkosten reduzieren lassen.

Sind umgelegte Preise auch tatsächlich marktgerecht?

Eng damit verbunden ist die Frage, ob die umgelegten Preise auch tatsächlich marktgerecht sind. Diese kann am besten ein Benchmark beantworten, bei dem die Kosten eines Prozesses mit dem Marktdurchschnitt und Unternehmen mit Leading Practices verglichen werden. Voraussetzung dafür ist wiederum eine Standardisierung auf der Grundlage von Preismodellen. Standardisierte Leistungen und Preise sind im Infrastruktur-Bereich schon länger üblich. Bei den Geschäftsanwendungen argumentierten jedoch insbesondere die Fachbereiche gern dagegen - sie seien nun mal zu individuell, als dass sie standardisiert erbracht, geschweige denn verrechnet werden könnten. Trotzdem setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass Geschäftsanwendungen in ihrer Funktionalität zwar individuell sind, das Anwendungsmanagement und -Hosting aber durchaus standardisiert abgerechnet werden kann. Entsprechende serviceorientierte Preismodelle haben sich am Markt mittlerweile herausgebildet.

Die Verrechnung muss natürlich an die aktuelle Situation und die strategischen Geschäftsziele angepasst werden. Deshalb variieren diese Modelle von sehr technischer Verrechnung (Anzahl der Schnittstellen, Jobs, User etc.) bis zu Business-bezogenen Größen wie etwa der Zahl der Reservierungen, der Kontoauszüge etc. Durch Benchmarks kann dann die Höhe der Preise überwacht und deren kontinuierliche Anpassung fundiert werden. Drei Beispiele aus der Praxis sollen dies illustrieren:

Werden die Kosten des Geschäftsprozesses und der IT gemeinsam betrachtet und mit dem Markt verglichen, erhalten die Verantwortlichen noch einen weiteren Ansatzpunkt zur Optimierung: Ist der Anteil der IT an den Gesamtkosten im Vergleich zur Leading Practice zu hoch, deutet dies auf eine Überdimensionierung hin (der unter anderem durch eine Anpassung der fachlichen Anforderungen gegengesteuert werden könnte). Ist er hingegen zu gering, liegen hier vielleicht Automatisierungsreserven - zusätzliche IT-Investitionen können also den Gesamtprozess effizienter machen. Beispielsweise hat eine Versicherung durch einen verbesserten IT-Einsatz eine fallabschließende Bearbeitung von Verträgen vor Ort ermöglicht. Der Nutzen im Business (durch Steigerung der Kundenanzahl und des Umsatzes pro Außendienst-Mitarbeiter sowie Beschleunigung des Prozesses) wurde um mehr als 20 Prozent erhöht.

Skill Management objektivieren

Da das Applikationsmanagement sehr personalintensiv ist, kann ein systematisches Skill Management unmittelbare Ergebnisse bringen. Untersuchungen zeigen, dass die IT-Kosten oft unnötig hoch sind, weil das Personal nicht adäquat eingesetzt wird. So ist häufig in Entwicklungsprojekten der Anteil des Senior-Levels gerade am Anfang zu hoch, bei der Software-Wartung sind zu hohe Skills gebunden, und auch im IT-Betrieb wird den Aktivitäten oft überteuertes Wissen zugeordnet.

Das Skill Management untersucht, ob das Unternehmen überhaupt die richtigen Skills hat und ob diese an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Ziel ist eine Optimierung des Skill-Mix sowohl innerhalb der Linienorganisation als auch in der Projektorganisation. Dazu werden die relative Verteilung der Rollen und deren verschiedenen Qualifikationen innerhalb des Unternehmens und pro Projektphase analysiert.

Auch hier ist mit Hilfe einer Standardisierung ein Benchmark möglich. Am Markt haben sich dafür verschiedene Modelle herausgebildet. In ihnen werden auf unterschiedlichen Detaillierungsebenen die Skills beschrieben und die verschiedenen IT-Rollen definiert (Projektleiter, Senior-Entwickler, Junior-Entwickler usw.). Im Benchmark werden dann die Skill-Level für eine IT-Rolle im untersuchten Unternehmen mit denen in der Referenzgruppe verglichen. So kann man feststellen, ob die FTE-Zahlen zur Erbringung dieser spezifischen IT-Leistungen marktüblich sind, ob der Overhead dem Durchschnitt entspricht und ob die Rollenverteilung innerhalb der unterschiedlichen Phasen der Projekte optimal ist. Ein richtiges Skill Management kann die IT-Personalkosten bereits kurzfristig um 10 bis 20 Prozent reduzieren.

Gleichzeitig versachlicht und objektiviert die systematische Erfassung, Bewertung und Einordnung der Rollen und Skills die Diskussionen um die Optimierung des Personaleinsatzes im Applikationsmanagement.

Vergleich mit Leading Practices am Markt

Die richtige Justierung beschränkt sich aber nicht allein auf die Rollen- und Skill-verteilung. Durch einen Vergleich mit Leading Practices am Markt kann man den Gesamtaufwand für die der verschiedenen Projektphasen einordnen und gegebenenfalls korrigieren. So hat ein Unternehmen durch Erhöhung des Aufwands in frühen und begleitenden Phasen seiner Entwicklungsprojekte (Vorstudie, Fachkonzept und technisches Konzept, Prozess- und Qualitätsmanagement) denjenigen in Realisierung, Test und Einführung gesenkt und so die Gesamtkosten um 30 Prozent reduziert. Denn auch hier gilt der Grundsatz: Fehler, die man am Anfang vermeidet, muss man später nicht korrigieren - und das ist im Ergebnis deutlich billiger.

Jörg Hild, Geschäftsführer Compass Deutschland GmbH, Wiesbaden