Ein "Super-Trend" tut sich schwer

Kein Run auf Desktop-Virtualisierung

08.06.2010 von Hartmut  Wiehr
Nachdem Microsoft vor kurzem Desktop-Virtualisierung den Segen erteilt hatte, weil man damit unter Windows 7 alte Applikationen, vor allem solche aus der XP-Zeit, abspielen könne, schien man einem Desktop-Virtualisierungsboom entgegen zu blicken. Doch wieder einmal entpuppt sich ein Boom als Blase.
Für die Hersteller ist Desktop-Virtualisierung ein eindeutiger Trend. Für die Anwender offenbar weniger: Die meisten halten sich hier mit Neuanschaffungen zurück.

Die Unterstützung allein durch Microsoft an diesem Punkt bringt es noch nicht. Faktum ist, dass sich die Anwendungsrate bei Desktop-Virtualisierung nur allmählich erhöht. Laut den Analysten von Forrester Research sind dafür vor allem die Komplexität der Installation und ihre Kosten verantwortlich zu machen.

Dennoch wird es substantielle, allmähliche Fortschritte bei der Akzeptanz von Desktop-Virtualisierung geben. Das liegt vor allem daran, dass weitere Anbieter eigene Infrastrukurmodelle für Desktop-Virtualisierung (VDI) herausbringen wollen, die jedem Enduser einen "privaten" Desktop garantieren sollen. Gerade daran hatte es bisher häufig gehapert, entgegen den Wünschen der Anwender, die es gewohnt sind, autonom über "ihren" Arbeitsplatz-PC herrschen zu können. (Siehe auch den CIO-Artikel: "Was ist eigentlich Desktop-Virtualisierung?")

Bei VDI-Konzepten werden ebenfalls Hypervisoren eingesetzt, mit denen viele virtuelle Maschinen auf einem einzigen physikalischen Host laufen. Im Unterschied zu fünf bis zehn virtuellen Maschinen, die durchschnittlich auf einem physikalischen Server laufen, kann ein VDI bis zu 50 PC-Betriebssysteme beherbergen, die jeweils einem einzelnen Benutzer zugewiesen sind.

Die andere größere Veränderung betrifft die Unterstützung externer Komponenten sowie von Multimedia- und anderen Web- oder PC-gestützten Technologien. In traditionellen Thin-Client-Umgebungen – den Vorläufern der heutigen Desktop-Virtualisierung – war ein Anschluß solcher Geräte, die besonders bei jüngeren Anwendern sehr beliebt sind, nicht möglich gewesen. "Verbesserungen im persönlichen Erfahrungsbereich sind ein großer Schritt vorwärts bei der Akzeptanz von Desktop-Virtualisierung", beurteilt Andi Mann, Analyst bei Enterprise Management Associates (EMA), die neue Situation.

Warum sich viele Unternehmen noch zurückhalten

Wenn man den Anwendern bei Desktop-Virtualisierumg die gleichen Privilegien einräumt, wie sie bei den klassischen Desktop-PCs gang und gäbe waren – von eigenen Browser-Plugins, Multimedia-Playern sowie anderer "verdächtiger" Software –, würden sich die meisten Vorbehalte von Geschäftsabteilungen entkräften lassen, meint Mann.

Einige Unternehmen sind nicht bereit, ihre bestehende PC-Hardware aufzurüsten, um die neue Betriebssystem-Version 7 von Windows anzuwenden. Dies könnte zur Popularität von virtuellen Desktops als Alternative beitragen, zumal auch auf dieser Plattform Windows 7 eingesetzt werden kann – allerdings zu erheblich niedrigeren Kosten.

Werden die alten PCs mit einem Server, der mit einem neuen Betriebssystem ausgestattet ist, verbunden und als virtuelle Desktops mit zentral abgelegten Images benützt, kann sich die Lebenszeit der Altgeräte um mehr als das Doppelte erhöhen.

Immer wieder wird darüber gerätselt, warum sich die letztlich schon seit einem Jahrzehnt bekannte Desktop-Virtualisierung nicht durchsetzen konnte. Laut einer Umfrage, die Enterprise Management Associates (EMA) letztes Jahr unter IT-Managern durchgeführt hat, sind es vor allem menschliche Faktoren, die der Ausdehnung von Desktop-Virtualisierung entgegen stehen. Als die drei Hauptgründe wurden genannt: Mangel an Wissen und Virtualisierungs-Skills, interne politische Gründe und zu wenig IT-Mitarbeiter.

Unternehmen und Organisationen, die derzeit unter besonders strengen Budget-Restriktionen zu leiden haben wie Banken, Krankenhäuser, Schulen oder Behörden sind laut EMA am aufgeschlossensten für Desktop-Virtualisierung. Ihre Motivation dürfte vor allem in der längeren Auslastung bestehender Desktop-Infrastrukturen bestehen.

Interessenskonflikt bei Microsoft

Terminal Server und Thin Clients sind schon seit über zehn Jahren am Markt. Offenbar sind die Erfahrungen, die Unternehmen damit gemacht haben, entweder zu negativ gewesen oder sie sind nicht einer breiteren Fachöffentlichkeit adäquat vermittelt worden. Insbesondere die Probleme mit der Bandbreite der Netze und der Leistungsfähigkeit des ICA-Protokolls von Citrix haben sich als kontraproduktiv für die Akzeptanz erwiesen.

Die Rolle von Microsoft bei der Ausbreitung von virtuellen Desktops ist zumindest zwiespältig: Zum einen will man ja die eigene Position bei Virtualisierungsangeboten verstärken, vor allem gegenüber dem bisherigen Marktführer VMware; zum anderen ist Microsoft so wie schon in den letzten Jahren daran interessiert, dass die eigenen Betriebssysteme wie Windows 7 aus Lizenzgründen möglichst auf einem eigenem PC laufen.

Weiterführende Artikel zum Thema Desktop-Virtualisierung:
Was ist eigentlich Desktop-Virtualisierung?
Desktop-Virtualisierung im Anwenderurteil
Kosten reduzieren durch Desktop-Virtualisierung
Fünf Mythen über Desktop-Virtualisierung