Wacker-CIO Ramhorst

Keine KI ohne Datenstrategie

07.07.2021 von Jens Dose
Wacker Chemie optimiert Prozesse durch künstliche Intelligenz. CIO Dirk Ramhorst erklärt, warum die Datenstrategie dabei die zentrale Rolle spielt.
Dirk Ramhorst, CIO von Wacker Chemie: "KI ist das wichtigste Tool in unserem Werkzeugkasten, das IT-seitig den größten Hebel für die Zukunft des Unternehmens entwickelt.“
Foto: Wacker Chemie

"Daten stehen von Anfang an im Mittelpunkt all unserer Betrachtungen rund um künstliche Intelligenz," sagt Dirk Ramhorst, CIO und CDO von Wacker Chemie. Das Team um den IT-Chef startete die KI-Initiative des Unternehmens vor rund dreieinhalb Jahren. Ziel war es, das Kerngeschäft zu digitalisieren.

"Wir haben uns gefragt, wie wir Daten, die wir haben, besser verstehen und herausfinden können, welche wir noch brauchen," beschreibt Ramhorst den Ansatz seiner Datenstrategie. Davon ausgehend sollten Use Cases für KI identifiziert werden.

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Die Prozesse im Operationsbereich seien besonders datenintensiv und komplex, so der CIO. In weitgehend automatisierten Produktionsprozessen fielen Millionen von Datenpunkten pro Sekunde an. Daher habe es sich angeboten, dort erste Gehversuche mit künstlicher Intelligenz zu unternehmen.

Von den Daten zum Use Case

Ramhorst entschied sich für einen kritischen Produktionsprozess. "Dort entscheiden etwa 14.000 Parameter über die Menge und Qualität des Produkts." Dabei spielten Wetterdaten, Luftdruckveränderungen oder bestimmte Bauteile der Anlage eine Rolle. Damit seien klassische Datenauswertungsverfahren schnell am Ende ihrer Möglichkeiten.

Über einen KI-Algorithmus konnte das Team in kurzer Zeit Abhängigkeiten zu bestimmten Aufbaufaktoren in den Produktionsanlagen nachweisen, an denen viele Ingenieure über Jahre gearbeitet hatten. "Das war eines der Leuchtturmprojekte, mit denen wir KI bei Wacker etabliert haben," so der CIO. Solche Feldversuche hätten geholfen, den Mitarbeitern die Logik und den Nutzen hinter der Technologie aufzuzeigen.

Experten aus den eigenen Reihen

Um dieses und andere KI-Projekte innerhalb des Datenfundus von Wacker zu identifizieren, rief Ramhorst die Gruppe "Analytics Services" ins Leben. Darin wurden alle Data Scientists des Unternehmens gebündelt.

Das nötige Personal fand der IT-Chef in der Belegschaft. Ramhorst: "Viele Mitarbeiter wenden im Rahmen von Forschungsarbeiten bereits statistische Modelle an. Das war für uns eine gute Ausgangsbasis." Die Kollegen kennten die Prozesse im Betrieb und verstünden, was KI leisten soll. Der Münchner KI-Spezialist AppliedAI half Wacker bei der Weiterbildung.

Das Analytics-Team setzt sich aus drei Gruppen zusammen. Jede davon hat dieselbe Ausbildung erhalten, um eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Data Engineers kümmern sich um den technischen Zugang zu den Datenquellen und verbinden sie mit dem Data Lake. Zudem bereiten sie die Daten für den nächsten Schritt auf.

Data Scientists untersuchen diese Daten anschließend auf Muster, die passende Qualität und ausreichende Menge. Sie arbeiten wiederum im Tandem mit Business Analysts, die ihnen dabei helfen, die Muster zu interpretieren und vielversprechende Use Cases für KI zu identifizieren. Für die nötigen Tools hat Wacker eine eigene Plattform aufgebaut. Daraus können sich das Analytics-Team und die Fachbereiche bedienen, wenn sie Projekte starten oder weiterentwickeln.

Hat das Analytics-Team ein Leuchtturmprojekt erfolgreich umgesetzt, geht es in den produktiven Betrieb über. Dazu wird ein Produktteam aus dem Fachbereich und der IT gebildet, das die KI-Anwendung wartet und weiterentwickelt. Diese Teams arbeiten selbstständig, werden bei Bedarf aber vom Analytics-Team unterstützt. Ramhorst: "So bringen wir Know-how in die Fachabteilungen, und das Analytics-Team kann sich auf neue Projekte konzentrieren."

Neue Geschäftsprozesse

Am Anfang eines jeden KI-Projekts steht die Idee, die es zu verfifizieren gilt, ist Wacker-CIO Dirk Ramhorst überzeugt.
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Bei KI-Projekten greife die klassische Logik des Projektmanagements nicht mehr, so der IT-Chef. "Es gibt keine fest definierten Ziele, Ressourcen, Dauer oder Meilensteine." Daher müssten in dem Bereich auch die Geschäftsprozesse anders aufgebaut werden.

Wacker setzt bei KI-Projekten ähnliche Rahmenbedingungen wie in der Forschung und Entwicklung. Am Anfang stehe eine Idee, die es zu verifizieren gilt. Wie lange das dauert, steht nicht fest, und am Ende kommt nicht immer ein positives Ergebnis heraus. Damit Vorhaben nicht aus dem Ruder laufen, definiert das Analytics-Team für jedes Projekt eigene "Stage Gates" und Erfolgsfaktoren. An den Stage Gates wird entschieden, ob sich der Aufwand noch lohnt oder besser abgebrochen werden sollte. Die Erfolgsfaktoren bestimmen, wann ein Algorithmus ausgereift genug ist, um aus der Entwicklung in den Produktivbetrieb überzugehen.

"Die KI-Lösung ist aber nie wirklich fertig," so der CIO. Produktivdaten könnten unter Umständen andere Ergebnisse liefern als Testdaten, weil sich der Input ändere. Dann müsse der Algorithmus verfeinert werden. Es sei also wichtig, auch im laufenden Betrieb stets die Verbindung zwischen den Analytics- und Produktteams aufrechtzuerhalten.

Den Rückhalt für diese Art des Projektmanagements hat sich Ramhorst durch die Leuchtturmprojekte gesichert: "Wir haben dafür Use Cases gewählt, bei denen wir uns ziemlich sicher waren, dass wir positive Ergebnisse bekommen, die wir mit Altdaten verifizieren konnten." Die Fachbereiche hätten so den direkten Nutzen gesehen. Zudem schaffe die systematische Vorgehensweise bei den KI-Projekten Vertrauen. "Wir gründen alle Projekte auf unsere Datenstrategie, die Business-Expertise unserer Analytics-Teams und unsere Tool-Plattform," sagt der Manager. So vermeide man, KI-Projekte zu starten, die schlechte Erfolgsaussichten oder geringen Mehrwert für das Kerngeschäft haben.

Die richtige Wahl der Leuchtturmprojekte und der sofortige Mehrwert für die Fachbereiche waren laut Ramhorst wichtig für den Erfolg der KI-Projekte. "Wenn sich durch KI die Time-to-Market für neue Produkte verkürzt oder technische Probleme gelöst werden, die so viele Parameter haben, dass sie durch den Menschen nicht mehr überblickt werden können, erübrigen sich ROI-Diskussionen relativ schnell," so der CIO. Der Schlüssel sei der systematische Umgang mit den zugrundeliegenden internen und externen Daten.

Daten und Kollaboration

Darüber hinaus habe sich die Zusammenarbeit mit Partnern bewährt. Ramhorst: "AppliedAI und andere Partner bieten uns eine Art Sicherheitsnetz. Wir können Experimente machen, ohne allein dazustehen, wenn mal etwas schiefläuft." Gleiches gelte für den Schulterschluss mit anderen Unternehmen. So habe Wacker beispielsweise gemeinsam mit Infineon eine Plattform für Machine-Learning-Tools evaluiert und getestet, die beide Unternehmen als Ausgangsbasis für ihre KI-Projekte nutzen.

Der CIO sieht noch viele weitere Einsatzszenarien für KI, beispielsweise im Bereich Predictive Maintenance. Dennoch zieht er bereits ein positives Fazit: "KI ist heute das wichtigste Tool in unserem Werkzeugkasten, das IT-seitig den größten Hebel für die Zukunft des Unternehmens entwickelt."