Künstliche Intelligenz

KI revolutioniert das Steuerwesen

22.02.2018 von Christiane Pütter
Ob Umsatzsteuer, Risiko-Management oder Zoll – künftig werden KI-Systeme Arbeiten von Steuerfachleuten übernehmen. Diese These stammt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).
  • Anwendungsszenarien wurden mit Audi, Bosch sowie Eon und Henkel durchgespielt.
  • Daraus leitet das DFKI sechs Einsatzfelder ab.
  • KI-Systeme können Steuerfachleuten auch komplexe Routinearbeiten abnehmen, sofern diese wenig soziale Intelligenz, Kreativität und Umgebungsinteraktionen erfordern.
  • Machine Learning, Process Mining, Informationsextraktion, Wissensmanagement, Sprachverarbeitung und multimodale Systeme kommen zum Einsatz.

Das Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) identifiziert in der Studie "Künstliche Intelligenz im Steuerbereich" sieben Bereiche, in denen KI-Systeme Arbeiten von Steuerkanzlei und Steuerverantwortlichen in den Firmen übernehmen könnten. Die Analyse entstand auf Initiatve des Münchener Steuerberaters WTS und versteht sich als exploratives Thesenpapier.

Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und der Berater WTS skizzieren den Steuerarbeitsplatz der Zukunft.
Foto: DFKI/WTS Group

Professor Wolfgang Wahlster erwartet "in nicht allzu ferner Zukunft" Stellenanzeigen wie "KI­-Experten dringend gesucht: Einsatzbereich Steuerabteilung". Er spricht von einer Revolution im Steuerbereich. Konkret geht es um die Felder Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Körperschaftssteuer sowie Zoll, Verrechnungspreise, Risiko-Management und International Tax. Diese könnten künftig durch Machine Learning, Process Mining, Informationsextraktion, Wissensmanagement, Sprachverarbeitung und multimodale Systeme unterstützt werden.

Sechs Einsatzbereiche mit Anwendern definiert

Die Studienautoren sehen sich nicht als reine Theoretiker, daher haben sie nach eigenen Angaben in vier Konzernen - Audi, Bosch, Eon und Henkel - bereits Anwendungsszenarien durchgespielt. Daraus leiten sie einen "Steuerarbeitsplatz der Zukunft" ab. Kanzleien und Steuerabteilungen in den Unternehmen könnten Künstliche Intelligenz in sechs Punkten einsetzen:

1. Erkennung von Anomalien bei der Ausnutzung von Freihandelsabkommen im Bereich Zoll

2. Automatisierte Zuteilung von Steuerkennzeichen und Identifizierung von Inkonsistenzen bei der Zuweisung

3. Prüfung des Quellensteuerabzugs nach dem Paragrafen 50 a Einkommenssteuergesetz

4. Prüfung von Rechnungen im Bereich Umsatzsteuer

5. Anomalie-Erkennung in Massendaten im Bereich Umsatzsteuer

6. Intelligente Steuerassistenz im Bereich Lohnsteuer

Beispiel für eine Anwendung

Dazu liefern die Forscher einen Use Case: Werden Waren zolltariflich angemeldet, können KI-Technologien zur Informationsextraktion unterstützen, konkret mittels Text Mining in Verbindung mit optischer Zeichenerkennung. Das entspricht einer intelligenten Automatisierung von Routineaufgaben, die vergleichsweise komplex sind, aber nur geringe soziale Intelligenz, Kreativität und Umgebungsinteraktionen erfordern. Professor Peter Fettke, der die Studie geleitet hat, betont: "In der steuerlichen Gestaltungs- und Durchsetzungsberatung ist es hingegen aktuell nicht vorstellbar, dass die Steuerberatung vollständig durch intelligente Steuerlösungen ersetzt wird."

Die Forscher schildern modellhaft, wie KI unterstützen kann.
Foto: DFKI/WTS Group

Ein weiterer Use Case dreht sich um Sachzuwendungen im Bereich Lohnsteuer, die der Steuerberater beurteilen muss. KI-Lösungen können ihn bei der Dokumentenanalyse, Informationsextraktion und Klassifikation unstrukturierter transaktionaler Daten unterstützen.

Machine Learning - Technologien und Status quo
Bilderkennung ist wichtigstes Anwendungsgebiet für Machine Learning
Heute kommen Machine-Learning-Algorithmen vor allem im Bereich der Bildanalyse und -erkennung zum Einsatz. In Zukunft werden Spracherkennung und -verarbeitung wichtiger.
Machine Learning im Anwendungsbereich Customer Experience
Heute spielt Machine Learning im Bereich Customer Experience vor allem im Bereich der Kundensegmentierung eine Rolle (hellblau). In Zukunft wird die Spracherkennung wichtiger (dunkelblau).
Machine Learning in den Bereichen Produktion und Prozesse
Unternehmen erhoffen sich im Bereich Produktion/Prozesse heute und in Zukunft (hell-/dunkelblau) vor allem im Bereich Prozessoptimierung positive Effekte durch Machine Learning.
ML im Bereich Kundendienst und Support
Sentiment-Analysen werden eine Kerndisziplin für Machine Learning im Bereich Kundendienst und Support
Auch IT-Abteilungen profitieren
Schon heute wird Machine Learning für die E-Mail-Klassifizierung und Spam-Erkennung genutzt. In Zukunft (dunkelblau) werden Diagnosesysteme wichtiger.
Was Management, Finance und HR von Machine Learning erwarten
Heute und in Zukunft ist in diesem Bereich das Risikomanagement eine vorrangige ML-Disziplin. In Zukunft soll auch das Talent-Management beflügelt werden.
Massive Effekte für Einkauf und Supply Chain Management
Machine Learning wird sich auf verschiedenste Bereiche des Procurements und des Supply Managements auswirken (hellblau = heute; dunkelblau= in Zukunft)
Diese Lernstile sind bekannt
Beim bekanntesten Lernstil, dem Überwachten Lernen (Supervised Learning), werden Bildern oder Dokumenten von Hand eine gewisse Menge an Tags oder Labeln zugewiesen. So werden die ML-Algorithmen trainiert.
Diese Lernstile verwenden Branchen
Während Autobauer eher auf "Semi-supervised Learning" setzen, sammeln andere Branchen mit Supervised Learning Erfahrung.
Machine-Learning-Algorithmen
Die meisten Unternehmen setzen auf einen Mix von Verfahren, um ihre vielfältigen Aufgaben zu lösen.
Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen nach Branchen
Neuronale-Netzwerk-Algorithmen finden vor allem im Automotive-Sektor Verwendung - und natürlich in der ITK-Branche selbst.
Diese Programmiersprachen und Frameworks kommen im ML-Umfeld zum Einsatz
Mit knapp 70 Prozent Einsatzgrad ist Java die führende Programmiersprache im Bereich ML. Allerdings holen speziellere Sprachen und Frameworks auf.
Deep-Learning- und Machine-Learning-Packages
DeepLearn Toolbox, Deeplearning4j, das Computational Network Toolkit und Gensim werden auf Dauer die führenden Pakete sein.
Zielinfrastruktur für ML-Workloads
Die Deployments von Machine Learning gehen zunehmend in die Breite und erreichen auch die Cloud und das Internet der Dinge. Auf die Unternehmen kommt mehr Komplexität zu.
Bedenken und Herausforderungen
Datenschutz und Compliance-Themen machen Anwender am meisten zu schaffen, geht es um den Einsatz von Machine Learning. Außerdem vermissen viele einen besseren Überblick über das Marktangebot.
Machine Learning ist Sache der BI- und Analytics-Spezialisten
Die organisatorische Einführung von ML obliegt meistens den BI- und IT-Profis. Viele Anwender holen sich aber auch externe Hilfe.
Wo Externe helfen
Datenexploration, Skill-Aufbau und Implementierung sind die Bereiche, in denen Machine-Learning-Anfänger am häufigsten externe Hilfe suchen.

Das DFKI hält "enorme Produktivitätssteigerungen und Qualitätsverbesserungen" für möglich. Demzufolge seien "weitreichende Veränderungen des Tätigkeitsspektrums innerhalb der Steuerberatung zu erwarten". Wahlster, Fettke und ihre Kollegen kündigen an, auf diesem Gebiet weiterzuforschen.