IT-Zukunftsprojekt im Handel

Konkurrenten wollen zusammenarbeiten

23.05.2012 von Christoph Windheuser
Um dem Margendruck zu mindern, starten Rewe, Metro, Lekkerland, Doego, Landgard, GS1, das Fraunhofer Institut IML und Capgemini ein Projekt. Christoph Windheuser von Capgemini erklärt die Gründe.
Christoph Windheuser ist Head of Segment Logistics bei Capgemini in Deutschland.
Foto: Capgemini

In der Innenstadt hat an der Ecke ein sogenannter City-Supermarkt eröffnet. Wo früher ein Kiosk oder Tante Emma Laden war, finden sich nun Läden, die in ihrem Sortiment und Frische den "großen" nicht nachstehen. Sogar Produkte aus der Region kann man in den Regalen finden. Es ist ein Trend, der sich fortsetzen wird: Bedingt durch den demographischen Wandel und die fortschreitende Urbanisierung ändert sich auch das Einkaufverhalten der Menschen.

Der Handel spricht in diesem Zusammenhang von Emma 2.0. Das heißt, immer mehr Filialen werden sich in den Innenstädten konzentrieren, ein geringeres Platzangebot vorweisen und ihre Angebote durch entsprechende Heim-Lieferservices oder Onlineshopping-Angebote erweitern.

"Atomisierung" der Ladungsmengen

Für den Verbraucher ergeben sich dadurch klare Vorteile, aber den Handel stellt dies vor ganz neue Herausforderungen: Viele kleine Läden ohne eigene Lager müssen mit geringen Warenmengen in kürzeren Abständen mehrmals am Tag beliefert werden - man spricht auch von der "Atomisierung" der Ladungsmengen.

Zusätzlich müssen die sperrigen LKWs mit den Waren in oft enge und verstopfte Innenstadtbereiche, während gleichzeitig die steigende Anzahl der Umweltzonen und zukünftig weitere Auflagen die Einfahrt für Großtransporter in die Innenstädte erschwert.

Händler sind wahre Zauberer, wenn es um die optimale Verteilung und den Transport der Waren geht, denn die Logistik bestimmt einen erheblichen Anteil der Kosten und somit die Marge im preissensitiven Markt des Einzelhandels. Besonnen auf den eigenen Wettbewerbsvorteil, teilen die Händler ihr Logistik-Geheimrezept nur ungern mit anderen und führen fast alle Logistikaufgaben in Eigenregie durch.

Zauberkünstler der Supply-Chain-Optimierung

Die Zauberkünste in der Supply-Chain-Optimierung sind jedoch, vor allem in der Verteilung, durch Systeme für Forecast & Replenishment, mehrstufige Lagerkonzepte, Netzwerke zwischen den Lagern, Kombination von Verteilung und Rückführlogistik weitgehend ausgereizt.

Was tun, wenn man mit dem eigenen Einmaleins am Ende ist? Das neue Zauberwort lautet "Kollaboration" oder Neudeutsch "Collaboration". Inhaltlich versteht man heute darunter die Zusammenarbeit mit einem Wettbewerber. Kollaboration ist ein starker neuer Trend in der Handelslogistik. Kurz gesagt: Zauberer können noch viel mehr bewegen, wenn sie ihre Zauberkünste zusammenlegen.

Urban HUB als neues Warenverteilzentrum

Unter dem Stichwort Kollaboration findet im wettbewerbsintensiven Handel ein Paradigmenwechsel statt. Er entfaltet für die margengebeutelte Branche seinen Charme, wenn man dem Motto folgt: "Der Wettbewerb am Markt findet im Regal statt, aber nicht beim Transport in das Regal". Der kollaborative Ansatz für die Belieferung der Händler in den Innenstädten beruht auf der Idee eines sogenannten "Urban HUB" - einem Warenverteilzentrum am Stadtrand.

Händler liefern ihre Ware an das Urban HUB, das von einem neutralen Dienstleister betrieben wird. Dort werden die Waren gebündelt und an die Filialen in der Stadt ausgeliefert. Dadurch werden Transportfahrzeuge optimal ausgelastet und Investitionskosten für den Fuhrpark können zwischen den Händlern geteilt werden.

Der Betrieb eines solchen Urban HUBs erfordert allerdings ganz neuartige IT-Systeme, die mit heutiger Standard-Software nicht realisiert werden können. Die IT ist das Herzstück und zentrale Drehscheibe zwischen allen beteiligten Partnern. Das System muss zum einen Lieferaufträge der unterschiedlichen Händler aus deren Logistiksystemen entgegen nehmen und zum anderen die optimale Verteilung der Waren an die Filialen planen.

Die Aufgaben der IT im Urban Hub

Damit aber nicht genug, denn auch die Rückführung der leeren Transportbehälter und Wertstoffe (z.B. Pfandflaschen) in das HUB, wo sie sortiert und den einzelnen Händlern zugeordnet werden, muss das IT-System managen. Natürlich müssen auch die durchgeführten Leistungen erfasst und die Kosten "verursachergerecht" mit den Händlern verrechnet werden.

Dabei darf aus kartellrechtlichen Gründen kein Händler Einblick in die Logistikströme und Kosten der Wettbewerber erhalten. Unterstützende Funktionen wie Reporting, Track&Trace und Customer Care sind weitere Aufgaben, die die IT leisten muss.

Das Forschungsprojekt "Urban Retail Logistics"

Um diese Herausforderungen meistern zu können, haben sich im Forschungsprojekt "Urban Retail Logistics" die Partner Rewe, Metro, Lekkerland, Doego, Landgard, GS1, das Fraunhofer Institut IML und Capgemini zusammengefunden, um die urbane Warenverteilung der Zukunft zu erforschen. Anfang 2013 soll der entscheidende Praxistest mit einem Piloten im Ruhrgebiet starten.

Die Motivation aller Beteiligten ist groß, auch wenn sie wissen, dass frühere City-Logistik-Versuche oft gescheitert sind. Denn im Gegensatz zu früher, stehen nicht mehr die reinen Kosteneinsparungen im Vordergrund. Heute sind Nachhaltigkeitsziele und eine Mobilitätsgarantie bei strenger werdenden Gesetzen ganz oben auf der Agenda. Und nicht zuletzt bieten moderne cloud-basierte IT-Systeme heute Möglichkeiten für eine unternehmensübergreifende Optimierung der Warenströme, von denen die Zauberer früher nicht einmal geträumt haben.

Christoph Windheuser Head of Segment Logistics bei Capgemini in Deutschland.