90 Millionen IT-Projekt

Lanxess setzt SAP-System komplett neu auf

15.04.2011 von Holger Eriksdotter
Lanxess-CIO Christoph Schulze-Berge hat für rund 90 Millionen Euro das SAP-System des Chemiekonzerns neu aufgesetzt. Rund 70 Prozent der alten Funktionen lagen in den 26 unterschiedlichen ERP-Systemen brach.
Christoph Schulze-Berge CIO bei Lanxess,: "Wir haben zu Testzwecken die überflüssigen Funktionen einfach abgestellt."
Foto: Lanxess Deutschland GmbH

"Wir fangen ja nicht auf der grünen Wiese an", ist das häufigste Argument, wenn Infrastruktur aufgefrischt wird. Ein Neuanfang in gewachsenen Strukturen sei schlechthin nicht möglich, so das oft mit Bedauern vorgetragene Credo der IT-Architekten. Dass es auch anders geht - und sich durchaus rechnen kann -, hat Christoph Schulze-Berge, CIO der Lanxess AG, vorgemacht.

Er hat die gesamte weltweite Anwendungslandschaft des Konzerns neu aufgestellt. Eine Untersuchung der IT-Landschaft hatte ergeben, dass eine Optimierung 35 bis 50 Millionen Euro kosten würde. "Aber dann hätten wir einen Release-Wechsel ohne nennenswerte Vorteile und nach wie vor unkalkulierbare Risiken in unserer Applikationslandschaft gehabt", sagt Schulze-Berge. Also hat er den Vorstand überzeugt, mit einem Aufwand von rund 90 Millionen Euro die gesamte IT-Anwendungslandschaft auf einen Standard zu heben.

"Unser Ziel war es, weltweit und über alle Business-Units einheitliche Prozesse einzuführen", sagt der Lanxess-CIO. Denn erst damit sei die Voraussetzung dafür geschaffen, die kalkulierten acht bis zehn Millionen an jährlichen Einsparungen zu realisieren. "Bisher wurde in unserem Konzern im Bereich der IT zu sehr in Länderkategorien gedacht", blickt der CIO zurück.

Die 26 unterschiedlichen ERP-Systeme in 18 Ländern hatten sich so weit auseinanderentwickelt, dass rund 70 Prozent des Funktionsumfangs brachlagen. Etwa 1800 Reports in den ERP-Systemen waren durch die Neuausrichtung des Geschäfts nach der Ausgliederung aus der Bayer AG obsolet geworden, befanden sich aber immer noch im System. "Wir haben dann zu Testzwecken die überflüssigen Funktionen einfach abgestellt - in lediglich einem Prozent der Fälle wurde das überhaupt bemerkt", sagt Schulze-Berge.

Zudem waren die lokalen ERP-Systeme durch Modifikationen so weit individualisiert, dass weder ein wirtschaftlicher Support noch ein einheitlicher Standard durch normale Upgrades mehr möglich war. Hinzu kommt: In dieser uneinheitlichen IT-Landschaft wurde es immer schwieriger, die zunehmenden Compliance-Anforderungen zu erfüllen. "Im Bereich der Chemie- und Pharmaindustrie haben regulatorische Vorgaben einen ganz besonderen Stellenwert", sagt der Lanxess-CIO, "das war in unserer heterogenen Infrastruktur kaum mehr zu realisieren."

Grob über den Daumen sah Schulze-Berges Kalkulation so aus: 90 Millionen Euro Investition in den "Greenfield Approach" statt runde 50 Millionen für ein einfaches weltweites Release-Upgrade. Daraus resultierend etwa acht bis zehn Millionen jährliche Einsparungen durch vereinfachte, einheitliche Prozesse, leichtere Wartbarkeit und einfacheren Support. Gleichsam als Zugabe und ohne weitere Investition bietet die neue Infrastruktur vollständige Compliance und erheblich verbesserte Flexibilität, sodass sich ändernde Geschäftsanforderungen schneller, einfacher und mit geringerem Aufwand umgesetzt werden können. "Wir haben damit auch die Voraussetzungen für unser künftiges Wachstum geschaffen - egal ob organisch oder durch Mergers & Acquisitions", sagt Schulze-Berge.

"Wir wollten einen Prozess wirklich nur ein einziges Mal abbilden. Dafür haben wir ein Template für alle Business Units und Standorte weltweit entwickelt." Um das umzusetzen, bedurfte es einiger Diskussion - vor allem mit den Business-Units und Fachabteilungen, denn nahezu jeder hat natürlich Sonderwünsche. Sein Ziel, komplett ohne individuelle Anpassungen auszukommen, hat der CIO dabei auch nur fast erreicht: "Wir haben einige wenige Modifikationen durchführen müssen, aber auch die sind so umgesetzt, dass sie bei einem Release-Wechsel nicht mehr individuell verändert werden müssen", freut sich Schulze-Berge.

Neben der SAP-Anwendungslandschaft hat er weitere Komponenten der IT-Infrastruktur wie Middleware, Master-Data-Management, Business-Warehouse oder Archivsysteme auf einheitliche Standards gebracht. "Wir arbeiten im ERP-Umfeld jetzt nur noch mit Herstellern zusammen, die ihre Produkte weltweit anbieten und supporten können", sagt der CIO. Mit dem Verlauf des Projekts ist er zufrieden: Die Einsparungen haben bereits dazu beigetragen, die IT-Kosten im Running Business seit Beginn um fast 40 Prozent zu senken. Bisher ist das weltweite Template für mehr als 80 Prozent der rund 10.000 Nutzer ausgerollt, als Letztes stehen Brasilien und China auf der Agenda.

Greenfield Approch keine Schablone

Ob sein "Greenfield Approach" gleichsam als Schablone für andere Unternehmen taugt, will er nicht beurteilen: "Bei der Ausgliederung von Lanxess aus der Bayer AG haben wir so unterschiedliche Geschäftsbereiche und Group Functions mit verschiedenartigen IT-Systemen geerbt, dass die extrem heterogene Infrastruktur eine ganz besondere Herausforderung war", sagt der CIO. Trotz unterschiedlicher Ausgangslage scheint sein Projekt in der Branche Aufmerksamkeit zu erregen: "Wir sehen, dass auch andere große Unternehmen der Chemieindustrie unseren Lösungsansatz mit Interesse beobachten."

Die Unternehmensdaten der Lanxess AG

Lanxess AG

Der Bayer-Konzern hat Lanxess 2004 ausgegründet. Schwerpunkt des Unternehmens ist die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Kunststoffen, Kautschuken und Spezialchemikalien.

Standorte: 45 Produktionsstätten (weltweit)

Umsatz: 5,06 Milliarden Euro (2009)

Mitarbeiter: 14.700 in 24 Ländern

CIO : Christoph Schulze-Berge

Projekt - Erneuerung der SAP-Landschaft

Laufzeit: ca. drei Jahre

Investition: ca. 90 Millionen Euro

Geplante Einsparungen: ca. 8 bis 10 Millionen pro Jahr