Outsourcing an Atos Origin

Lekkerland lagert SAP-Prozesse aus

21.01.2010 von Hartmut  Wiehr
Für Thomas Pirlein, den Senior Vice President der Lekkerland information systems, bedeutet das Outsourcing von SAP-Geschäftsprozessen einen weiteren Schritt zur Optimierung. Routineprozesse kann man auslagern, wenn andere das besser beherrschen.
Thomas Pirlein von Lekkerland setzt auf Outsourcing überall dort, wo es sich nicht um Kernprozesse handelt.

Größe ist nicht alles. Für Thomas Pirlein, den für das SAP-Outsourcing an Atos Origin Verantwortlichen des Logistikdienstleisters Lekkerland, zählt eher das Gegenteil: Atos Origin, mit etwa 50.000 Mitarbeitern weltweit auch nicht gerade ein winziges Dienstleistungsunternehmen, ist zumindest auf deutscher Ebene überschaubar genug, um ständig einen direkten Draht aufrecht zu erhalten. „Auf Augenhöhe" zu verhandeln ist für Pirlein ein wichtiges Kriterium jenseits aller technologischen Anforderungen und Fähigkeiten. Im entscheidenden Moment zählen für Pirlein die kurzen Wege, sprich der Kontakt zu führenden Managern des Dienstleisters, die er persönlich kennt und denen er vertraut.

Lekkerland hat sich darauf spezialisiert, eine ganze Reihe von Läden, Tankstellen oder auch Kiosken mit ihren Waren zu beliefern. Zu den Kunden zählen auch Getränkemärkte, Bäckereien, Tabakgeschäfte, Kantinen oder Fast-Food-Restaurants. Die täglichen Tourenpläne in den Regionen werden mit PTV Intertour erstellt. Die Fahrer sollen in Kürze mit Telematics-Geräten ausgerüstet werden, um den Papieraufwand zu verringern oder ganz auszuschalten.

Outsourcing im Liefer- und Logistikgeschäft beschränkt sich nicht nur auf die Fahrzeugflotten oder Abrechnungsprozesse, wie sie zum Beispiel von Markant für viele Handelsketten übernommen werden. Bei Lekkerland hat man das Prinzip, bestimmte Aufgaben, die andere besser (und kostengünstiger) ausführen können, auch auf die SAP-Geschäftsprozesse ausgedehnt.

Wie Pirlein ausführt, erfolgt die Entscheidung für einen Outsourcing-Anbieter auf Grund eines komplizierten Auswahlprozesses, der die potentiellen Anbieter nach ihren Fähigkeiten sortiert, wobei Referenzen eine besondere Rolle spielen. Der Auswahlprozess konzentriert sich schließlich auf eine engere Liste derjenigen Anbieter, die die Kriterien von Lekkerland bezüglich der Übernahme der Logistikprozesse erfüllen.

IT-Benchmarking vor dem Outsourcing

Für die Überprüfung der Angebote und insbesondere die in der Ausschreibung abgegebenen Preise hat Lekkerland mit der Beratungsgesellschaft Compass zusammengearbeitet, da man dort am besten über die realen Marktpreise Bescheid wisse. Diese externe Beratung im Auswahl- und Vertragsprozess hat sich aus Sicht der Lekkerland-IT bewährt. Hierfür müsse man sich – so Pirlein – gerade in der Anfangsphase sehr viel Zeit lassen, um später nicht vor bösen Überraschungen zu stehen. Der Knowhow-Transfer an den Outsourcer müsse gründlich vorbereitet werden.

Bei Lekkerland liegen die Kernkompetenzen laut Pirlein eindeutig im Bereich Großhandel und Logistik: einkaufen, zwischenlagern oder kleinkommissionieren. Eine Tankstelle zum Beispiel bekommt keine riesige Palettenlieferung, sondern kleinteilige Produktmengen. Dies vorzubereiten und entsprechend den Bestellungen schnell auszuliefern, ist das Kerngeschäft von Lekkerland, erläutert Pirlein.

Die IT müsse hier genau andocken, indem sie Systeme bereitstellt, die diese Prozesse unterstützen. Dies gilt vor allem für die Kleinkommissionierung: Hier müsse Lekkerland Mitarbeiter in der IT haben, die dieses Geschäft und dessen Prozesse sehr gut kennen und dieses Wissen in Konzepte umsetzen können.

In der Praxis sieht das so aus, dass die sogenannten Kleinkommissionierer im „Pick-by-Voice"-Verfahren in den Lagerhallen hin- und herfahren und die einzelnen Aufträge über Funk direkt mitgeteilt bekommen. Papierlisten braucht es nicht mehr, und die Mitarbeiter haben durch das IT-gesteuerte Verfahren beide Hände frei und gewinnen so viel Zeit.

Pirlein sieht hierin die Hauptaufgabe seiner IT-Abteilung: ständig alle Prozesse überwachen und nach Optimierungsmöglichkeiten Ausschau halten, zum Beispiel durch Ergänzungen oder Erweiterungen der eingesetzten SAP-Software. Von daher sei es nur ein kleiner Schritt zu der Überlegung, welche IT-Aufgaben man außer Haus geben könne. Man ist bei Lekkerland der Überzeugung, solange es sich um Routineprozesse handele und andere das besser bewerkstelligen könnten, sei Outsourcing die geeignete Lösung.

Demand-Management inhouse - Supply-Manager abgegeben

Die IT-Kernkompetenz von Lekkerland liegt mithin über dem, was man sich klassischerweise unter den IT-Aufgaben vorstellt – sie liegt mehr im Lenkungs- und Planungsbereich der IT denn in der Verwaltung eines reinen Geräte- und Software-Parks. PC-Betreuung, die Annahme von Calls im Helpdesk oder EDI-Prozesse zählt Pirlein nicht zu den Aufgaben, die man selbst ausführen und kontrollieren muss. Dafür gebe es genügend qualifizierte Dienstleister, die das besser und schneller könnten. Die IT-Abteilung von Lekkerland sei dazu da, Prozesse in den Fachbereichen zu analysieren und dafür IT-gesteuerte Lösungen anzubieten.

Dafür hat das Unternehmen auch nach der SAP-Auslagerung an Atos Origin einen Teil der IT-Leute bei sich behalten, darunter sogenannte Demand-Manager, die für die Retail-Prozesse zuständig sind – besonders für Projektmanagement, die Kalkulation von Business Cases oder die Erstellung von Konzepten.

Die sogenannten Supply-Manager, zuständig für den Support und die Weiterentwicklung der IT-Systeme, sind dagegen zu Atos Origin übergegangen: Sie kennen sich laut Pirlein sehr gut in SAP aus und sind zum Beispiel für das Customizing zuständig, kümmern sich um den Lagerbestand und die auszuliefernden Produktmengen. Hier geht es mehr um die Umsetzung der Geschäftsprozesse, nicht um deren Planung und Konzeptionierung. Für Pirlein gehört es dagegen nicht zu den Kernkompetenzen seines Unternehmens, SAP-Experte zu sein.

Über klare Service Level Agreements (SLAs) ist die Zusammenarbeit mit Atos Origin geregelt, verwaltet von den Demand-Managern bei Lekkerland. Die weiteren Mitarbeiter des Unternehmens sehen die im Hintergrund arbeitende IT von Atos Origin nicht direkt. Geblieben ist die tatsächliche Organisation und Auslieferung der Kommissionsware an die Kunden. Und hier sieht Lekkerland ein deutliches Alleinstellungsmerkmal im Markt – die „Kunst der Kleinkommissionierung" beherrsche sonst niemand in dieser IT-gesteuerten Perfektion, ist sich Pirlein sicher.

Oft wird die Ansicht vertreten, in einem Unternehmen ließe sich heute fast alles outsourcen, außer der eigentlichen Kernkompetenz – Kantine, Fuhrpark, IT, fast alles könne nach außen vergeben werden. Vergessen wird dabei allerdings der Managementaspekt dieser an andere verlagerten Aktivitäten. Für Pirlein ist hier eine gute Governance-Struktur entscheidend: die Art und Weise, wie der Outsourcer professionell gemanagt wird. Bei der Zusammenarbeit mit Atos Origin werde hierauf viel Wert von Seiten Lekkerlands gelegt.

Man kooperiert jedoch erst seit kurzem miteinander, die ersten praktischen Erfahrungen werden gerade gesammelt. Für Pirlein ist es deshalb um so wichtiger, einen engen Kontakt zu den deutschen Führungsspitzen von Atos Origin zu haben – „auf Augenhöhe". So etwas sei mit wesentlich größeren Outsourcing-Dienstleistern in Deutschland sonst so nicht möglich, bei denen zum Beispiel ständig die Ansprechpartner wechselten.

Netzwerk und Rechenzentrum bleiben im Haus

Mit den SAP-Prozessen wurde nur ein Teilbereich der IT nach außen vergeben, Rechenzentrum und Netzwerkbetrieb werden weiterhin hausintern betrieben. Atos Origin hat sich auch deshalb als Partner angeboten, weil man mit den von Lekkerland übernommenen SAP-Fachleuten ein Retail-Kompetenzzentrum aufbauen will.

In dieses Projekt für den Retail-Markt wird Erfahrung von Lekkerland eingehen, und gleichzeitig eröffnet sich so eine langfristige Zukunftsperspektive für die ehemaligen Lekkerland-Mitarbeiter, die im Rahmen des Outsourcing-Vertrages von Atos Origin übernommen worden sind. Das neue Retail-Kompetenzzentrum wird in Frechen, dem Standort von Lekkerland, aufgebaut, was für die SAP-Leute auch bedeutet, dass sie nicht umziehen müssen.