Büro-Bullshit

"Leute werden für den Kopf bezahlt, nicht für den Arsch"

12.10.2023 von Carina Kontio
Thomas Ramge kreiert in seinem Buch "Montags könnt ich kotzen" aus Gesprächen mit "leidenden Angestellten" und Coaches eine böse Persiflage auf das Leben in der Konzern-Matrix. Anekdoten, die den Menschenverstand rauben.

Es wird gepitcht und vom Ending her gedacht, die kreative Challenge angenommen, ein Innovationsapproach entwickelt, an den Stellschrauben für mehr Sustainability gedreht, Value geaddet, restrukturiert, gechanged und sich zeitnah committed - und plötzlich verliert man vor lauter Worthülsen und Floskeln das Wesentliche aus dem Blick: die Arbeit.

Was für ein großer, zynischer Spaß, den Thomas Ramge hier auf 256 Seiten gepackt hat. Der Autor hat früher als Unternehmensberater selbst viel Bullshit erlebt und produziert und jetzt aus unzähligen Anekdoten eine wunderbar böse Persiflage auf den alltäglichen Büro-Bullshit kreiert.

In seinem Buch "Montags könnt ich kotzen", das im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschien, punktet Ramge durchgehend mit gelungenen Sprüchen, Pointen und Szenen des Büro-Alltags, die jedem von uns so oder so ähnlich bekannt vorkommen.

Was in Firmen alles schief läuft.
Sie haben auch ein Beispiel?
Dann schreiben Sie mir: rene.schmoel@cio.de
Weniger Anerkennung
"Action Manager ernten bei uns meist weniger Anerkennung als diejenigen, die sich mehr aufs Schwafeln konzentrieren."
Bloß keine Action
"Action Manager sind oft erfolgreich, aber meist nicht beliebt, weil die anderen sich dann auch schneller bewegen müssen. Schwache Chefs finden den Action Manager auch eher unbequem ..."
Erfolge machen einsam
"Action Management funktioniert bei uns nicht, weil Action Manager Erfolg haben und jeder Erfolg bei uns die Neider auf den Plan ruft. Sie fürchten, dass jeder merkt, dass sie keine solchen Erfolge vorweisen können. Erfolge machen einsam."
Verhalt dich mal ruhig!
"Ich glaube, dass Action Management bei uns nur so lange funktioniert, wie das Unternehmen in Notlage ist. Der Satz 'Verhalt dich mal ruhig!' fällt bereits, sobald wir irgendwie eine schwarze Null schreiben."
Die geliebte Routine
"Es besteht ein Hang dazu, sich in Routine zu vergraben, um keine unangenehmen Entscheidungen fällen zu müssen."
Reportings ohne Ende
"Ich kenne Vertriebsorganisationen, bei denen die Account Manager vier Tage die Woche Reports verfassen und folgerichtig nur einen Tag die Woche beim Kunden sind. Desaströs."
Entscheidungen treffen
"Leider trauen sich nur sehr wenige Manager, Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen haben den kleinen Haken, dass sie eventuell falsch sein könnten, weshalb viele leider die falsche Entscheidung treffen – nämlich keine."
Mach einfach!
"Das Blöde an 'Mach einfach!' ist: Seit alle wissen, dass unsere Abteilung´ einfach mal macht, lösen wir auch die Probleme aller anderen Abteilungen, die gerne jede Verantwortung von sich schieben und sich nur noch Routineaufträge zutrauen."
Wenn Manager Mist bauen
... Während alle anderen rumstanden und klagten, haben ein Kollege und ich einfach den Monitor aus dem Regal genommen und auf den Tisch gestellt. War deutlich besser als auf die IT-Jungs zu warten. Seltsam, dass sonst keiner auf die Idee kam …"

(Quelle: Klaus Schuster, "Wenn Manager Mist bauen" )

Warten auf die IT-Jungs
"Der Arbeitsplatz einer Kollegin war für ihre neue Aufgabe ungeeignet: Sie musste abwechselnd auf den Tisch und dann 45° nach oben schauen. Dort war ihr Monitor im Regal untergebracht. Also standen alle ratlos ums Regal herum und beklagten sich, dass die IT-Jungs, die für solche Umbauten eigentlich zuständig sind, nicht endlich kommen, um den Monitor umzubauen ...

Am Beispiel seines Alter Egos Lukas Frey ("Heute früh bin ich fast daran gescheitert, überhaupt ins Büro zu kommen"), der in einem großen Konzern die Markteinführung eines neuen Produktes begleiten soll, zeigt Ramge, welche absurden Blüten die modernen Managementmethoden treiben und vergleicht gerne auch mal einen 30.000 Euro teuren "interdisziplinären" Innovationsworkshop, bei dem alle 15 Teilnehmer lernen sollen, "Out-of-the-Box" zu denken, mit einem dadaistischem Theaterexperiment, wo alle Schauspieler zwei Stunden lang nichts anderes sagen als die Wortfolge murmel, murmel, murmel und so weiter. Kurzweilig wie ein Roman, entlarvend wie ein Sachbuch.

Die Hauptcharaktere sind zwar allesamt frei erfunden, aber doch so authentisch beschrieben, dass sie in der realen Welt branchenübergreifend überall zu finden sind. Da gibt es beispielsweise den ehrgeizigen Aufsteiger und Überstundenrekordhalter Daniel, (kommt in der Woche mit fünf Stunden Schlaf gut aus) der seinen Kollegen, wenn sie um halb sieben ihre Sachen packen, regelmäßig den Spruch reindrückt: "Na, halben Tag Urlaub genommen?".

"Wir haben in punkto Produkteinführung noch null results"

Unterdessen legt sich die schöne Julia ("Wir sind doch alle in unseren Beruf reingescheitert") gerade mit ihrem Gehalt ein finanzielles Polster für ihr Start-up an, um aus der Konzern-Matrix auszubrechen und Sebastian, der Vorzeige-Papa mit 80-Prozent-Stelle, beschließt, dienstags und freitags grundsätzlich im Home Office zu arbeiten. Denn: Die Ergebnisse zählen, sonst nichts. "Leute werden für ihren Kopf bezahlt, nicht für ihren Arsch."

Und es gibt noch Dr. Meyerbeer, in dessen Eckbüro auch abends um acht noch Licht brennt. Anfang 50, mindestens 1,90 Meter groß, schlank, trägt seine grauen Haare im akkuraten Seitenscheitel und läuft seit 2000 jedes Jahr den New-York-Marathon immer noch deutlich in unter drei Stunden mit. Alle angeführt vom neuen Chef Dr. Jan-Philip Wendenschloss, Ex-McKinsey-Berater, der gerne vom Ending her denkt, die kreative Challenge annimmt und tight getaktet einen neuen Innovationsapproach entwickelt. Schwarzer Anzug, schwarzes Haar, Figur wie mindestens dreimal die Woche Holmes Place.

Welche Mitarbeiter geliebt und welche gehasst werden.
Der treue Paladin
Der verlängerte Arm des Chefs - vor allem für kleinere Aufgaben. Kein schlechtes Wort über den Chef kommt über seine Lippen, aber für höhere Aufgaben eignet er sich auch nicht.
Der Vorzeigestar
Das Talent, der Vorzeigestar, dessen Heldentaten die gesamte Firma aufschauen lassen. Der Chef ist stolz auf sein bestes Pferd im Stall, zumindest wenn es keinen Grund zum Zweifel an der Treue gibt.
Die graue Eminenz
Manchmal gibt es Urgesteine in einer Anteilung, die allerdings immer noch hellwach dabei sind und voller Tatkraft stecken. Der "alte Hase" steht dabei nicht im Verdacht, ehrgeizig auf den Chefsessel zu schielen.
Der Oberexperte
Der Oberexperte ist quasi der Staatssekretär des Chefs, der, der die fachlichen Mängel ausgleicht. Er bereitet die Entscheidungen im Hintergrund vor und stärkt nach außen den Rücken.
Das Alpha-Tier
Gefördert werden vom Chef dagegen Mitarbeiter-Typen wie das Alpha-Tier: Er ist ein geborener Führer wie der Rivale, allerdings fordert er den Vorgesetzten nicht zum Kampf auf. So schafft er es, vom Chef als Stellvertreter akzeptiert zu werden - auch ohne offizielle Ernennung. Das Team akzeptiert ihn als Leitwolf.
Die Schlafmütze
Wer tief im Brunnen der Frustration festsitzt und in Sitzungen apathisch aufs Ende wartet - der zieht auch gern die Wut des Chefs auf sich. Die Schlafmütze zeichnet sich dadurch aus, dass sie bei anfallender Arbeit selten zuständig ist und mit den dicken Däumchen der Routine auf die Frühverrentung wartet.
Der Miesmacher
Wenn Mitarbeiter Pessimismus verbreiten und schlechte Laune und nur Probleme sehen, wo andere Herausforderungen vermuten - dann sind sie Miesmacher und ebenfalls im Visier des Chefs. Wer die Seifenblasen der Motivation zerbläst, muss mit Mobbing-Attacken rechnen.
Der Rivale
Wenn ein Mitarbeiter alles hat, was eine Führungsposition braucht und sich zur Opposition aufbauen, muss sich der Chef Gedanken machen. Erstrecht wenn sie natürliche Autorität, Ehrgeiz und Fachwissen mitbringen. Es kann oft nur einen geben - und der Chef sitzt am längeren Hebel.
Der Besserwisser
Besserwisser haben zwei Fehler: Erstens sind sie anderer Meinung als der Chef. Und zweitens sagen sie das auch noch öffentlich. Sie kratzen an der Autorität des Chefs und brauchen sich nicht wundern, wenn dieser sie zum Abschluss freigibt.
Wer kommt ins Fadenkreuz?
Was müssen Sie tun, um auf die Abschussliste zu geraten? Welche Mitarbeiter sind Lieblingsopfer von Mobbing? Martin Wehrle identifiziert die verschiedenen Typen. Die Vorstellung in aller Kürze ...

Immer wieder fallen zwischen den zwei Buchdeckeln herrliche Sätze wie "Wir haben schon KW 13. Aber in punkto Produkteinführung noch null results", "Vielleicht sollten wir uns den Case noch mal genauer anschauen, um aus den Fehlern zu lernen" und "Ist es nicht eine Überlegung wert, dem Vorstand vorzuschlagen, mal einen Testballon steigen zu lassen?", die aus der Lektüre der 25 knackigen Kapitel eine kurzweilige Freude machen. Da muss man selbst auch gar nicht in irgendwelchen Agentur- oder Konzernhamsterrädchen gefangen sein, um Gefallen an den bitterbösen Anekdoten von Thomas Ramge zu finden, die er in den vergangenen 20 Jahren aufgesammelt hat.

"Montags könnt ich kotzen" ...

... ist eine gelungene weil kurzweilige und amüsante (Liegestuhl-)Lektüre für zwischendurch. Es empfiehlt sich vor allem auch für all diejenigen Workaholics unter uns, die im Urlaub zwar gerne ein bisschen abschalten möchten, eigentlich aber gar nicht mehr richtig wissen, wie das geht. Mit dem Buch befinden Sie sich in einem gesunden Abstand zur Arbeitsatmosphäre, entspannen aber trotz hochkonzentrierten Bullshits noch ganz ordentlich dabei. Scrollen Sie also jetzt ein letztes Mal durch Ihre E-Mails, lassen Sie nun die Finger vom Smartphone und schnappen Sie sich dieses bitterböse Buch - "da sind Sie doch sicher voll und ganz bei mir."

Bibliografie

"Montags könnt ich kotzen" von Thomas Ramge
Foto: Rowohlt Verlag GmbH

Thomas Ramge
Montags könnt ich kotzen
Vom ganz normalen Bullshit
256 Seiten
ISBN: 978-3-499-61744-7
€ (D) 9,99/ € (AT) 10,30/ sFr 14,90
Auch als E-Book erhältlich
ISBN: 978-3-644-52081-3
Das Buch direkt bei Rowohlt bestellen

(Quelle: Handelsblatt)