Meta-Group-Studie

Linux in den Startlöchern

02.09.2002 von Marita Vogel
Neun von zehn Unternehmen in Deutschland denken darüber nach, innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre Linux einzusetzen. Das ergab eine Studie der Meta Group, die Ende September veröffentlicht wird.

Wenn die CIOs deutscher Unternehmen an Linux denken, steht ihnen nicht selten das berühmte Dollarzeichen in den Augen: Der wichtigste Grund, Linux einzusetzen, ist für jeden vierten IT-Leiter die Kostenreduzierung. Immerhin 61 Prozent erwarten allgemein Verbesserungen in der TCO (Total Cost of Ownership) -Rechnung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung des Marktforschungsunternehmens Meta Group unter 90 IT-Entscheidern.

"Die Erwartungen sind durchaus realistisch", so Markus Huber-Graul, Studienleiter und Senior Consultant bei der Meta Group. Obwohl natürlich die jeweilige Einsatzsituation von Linux berücksichtigt werden müsse, "hat kein einziger Anwender angegeben, dass seine Erwartungen gänzlich zu hoch waren".

Linux ist in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Angetrieben vom stärker werdenden Druck, in der IT das Sparkonzept der Unternehmensleitung umsetzen zu müssen, befassen sich immer mehr Unternehmen zumindest in Projekten damit. Auch die heftig kritisierte Lizenzpolitik von Microsoft (siehe CIO 7+8/2002, Seite 16) führt zur Suche nach Alternativprodukten. Inzwischen befassen sich neben vielen anderen DAX-Unternehmen sogar die IT-geprägten Banken und Versicherungen mit dem Gedanken an Open Source.

Weiteren Aufwind bekam die Szene durch die Ankündigung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), in der Bundesverwaltung künftig mit Linux zu arbeiten - und das auch im Desktop-Bereich. "In den vergangenen Monaten ist der Wille, Linux einzusetzen, bundesweit stark gestiegen", bestätigt Alfred Schröder, Geschäftsführer des IT-Beratungshauses Gonicus. "Selbst ohne die rosarote Brille des Dienstleisters ist deutlich, dass immer mehr Unternehmen in die Projektierungsphase gehen."

Das bestätigt die Studie der Meta Group. "Das Interesse an Linux ist groß; erste Erfahrungen sind fast überall vorhanden", so Huber-Graul. Bei immerhin 83 Prozent der 90 Teilnehmer aus Mittelstand und Großunternehmen laufe bereits ein Produktivsystem; 89 Prozent wollen in den nächsten zwei bis drei Jahren auf Linux umsteigen.

Über diese Anfänge ist der Haushaltstechnikhersteller Berndes GmbH längst hinaus. Bereits 1998 entschied sich der Arnsberger Mittelständler, der mit weltweit 270 Mitarbeitern rund 50 Millionen Euro umsetzt, die IT fast komplett auf Linux umzustellen. Abgelöst wurde damals eine IBM-AS/400 mit betriebswirtschaftlicher Software und verschiedenen Anwendungen.

Mittlerweile laufen neben sämtlichen Servern auch 80 Thin Clients in der Hauptverwaltung unter Linux. Dort hatte es zunächst Akzeptanzprobleme gegeben, erinnert sich IT-Leiter Lars Kloppsteck. "Aber die Mitarbeiter hätten sich ohnehin auf ein neues System einstellen müssen." Größte Hürde seinerzeit war die Schulungssituation. Schließlich machten sich einige der Mitarbeiter bei der Arnsberger Volkshochschule mit dem neuen System vertraut.

"Wir standen vor der Frage, ob wir ein klassisches, NT- oder ein Linux-basiertes Netzwerk aufbauen", sagt Kloppsteck. Wir haben uns vor allem aus Kostengründen für Linux entschieden. Sonst wäre Linux damals schwierig durchzusetzen gewesen." Mittlerweile würden sich die dauerhaften Einsparung zwischen 30 und 40 Prozent bewegen. Der 24-Jährige, der sich selbst nicht als "Linux-Freak" sieht, schwärmt dennoch geradezu davon: "Die Stärken liegen vor allem in der Stabilität, der leichten Administration und Anpassung sowie in der Unabhängigkeit von Herstellern, Plattformen und proprietären Umgebungen."

Genau dies sind auch die Vorteile, die die Teilnehmer der Meta-Group-Studie nennen: "Die Anwender sind in puncto Kosteneinsparung, Performance und Stabilität der Anwendungen sehr zufrieden", sagt Huber-Graul. Allerdings:"Die Software-Unterstützung, der Installations-Support und der Administrationskomfort werden noch als neuralgische Punkte betrachtet", so der Marktforscher. Richtig unzufrieden seien die Anwender aber an keiner Stelle. Sogar die Integrationsfähigkeit mit anderen Plattformen erhalte relativ gute Noten.

Genau hier setzt jedoch die Kritik von Dieter Geile an, CIO von Sartorius in Göttingen. Beim Wäge-, Umwelt- und Biotechnikhersteller (Umsatz 2001: 450 Millionen Euro) laufen im kaufmännischen Bereich alle Systeme in einer Windows-Umgebung, im produktionsnahen hingegen einige auf Linux. Diese Situation "ist einfach aus der Ablösung des ehemaligen Betriebssystems VMS erwachsen", erklärt der 45-Jährige. Als 1998 die Restrukturierung der IT anstand, habe Linux auf ihn keinen professionellen Eindruck gemacht. Die rund 70 Linux-Anwender in der Produktionssteuerung hätten zu dieser Zeit jedoch schon einige Programme selbst entwickelt, die sie nicht wieder aufgeben wollten. "Warum soll man auch verändern, was gut läuft - Linux ist ja kein schlechtes Produkt", sagt Geile pragmatisch.

Unkompliziert ist die Zusammenarbeit zwischen den Supportern für die rund 1000 NT- und 70 Linux-Anwender trotzdem nicht. Um die "eingeschworenen, subjektiven Einstellungen" in diesem Dialog zu versachlichen, hat Geile eine Arbeitsgruppe eingerichtet: "Hier werden die Grundsätze diskutiert und mit der IT-Strategie in Einklang gebracht." Geiles Resümee: "An eine Komplettmigration zu Linux denkt bei Sartorius niemand." Angesichts Microsofts Lizenzpolitik , vermutet der CIO, würden viele seiner Kollegen diese Alternative jedoch in Betracht ziehen.

Doch ob diese Überlegungen dazu führen, Linux nicht nur als Server-Betriebssystem, sondern auch auf Großrechnern einzusetzen, bezweifelt Meta-Group-Berater Huber-Graul. "Letztlich wird sich Linux wohl 'nur' als weiteres Betriebssystem etablieren. Linux auf dem Mainframe wird zwar als interessant bewertet, aber nicht als Hauptkriegsschauplatz angesehen", sagt er. Am stärksten werden nach seiner Einschätzung die Marktanteile von Unix zu leiden haben.

Linux oder Unix - vor dieser Frage stand auch die deutsche Niederlassung des schweizerischen Kunststoffkonzerns Ems-Chemie, der weltweit etwa 1,2 Milliarden Franken umsetzt. Weil Performance- und Kapazitätsengpässe die IT-Abteilung auszubremsen drohten, entschloss sich IT-Koordinator Axel Schünke im vergangenen Jahr, den Hardware-Park zu modernisieren. Dabei wurde das Betriebssystem von HP-UX auf Linux umgestellt. Entscheidend waren auch für Schünke die Kosten: "Wir haben den Server-Preis um 50 Prozent gesenkt", so der 33-Jährige, der für die 66 Rechner in Deutschland zuständig ist. Sein Fazit zu Linux: "Es ist wie der VW-Käfer: Es läuft und läuft ..."

Ob die deutschen Ems-Chemie-Kollegen bald mit Linux- Clients arbeiten, ist unklar: "Die Anwender sind halt an Windows gewöhnt", so Schünke. Für ausgeschlossen hält er dagegen die Umstellung der weltweiten Unternehmens-IT, da dann 1400 Anwender geschult werden müssten.

Auf diese Überlegung führt auch Huber-Graul die noch immer bestehende Scheu gegenüber Linux zurück. "Bei der aktuellen Marktlage sind Infrastrukturprojekte schwierig durchzusetzen. Wegen der Migrationskosten für Linux ist von einer Euphoriewelle noch nichts zu spüren." Doch das - so seine Deutung der Marktstudie - werde sich in den kommenden zwei bis drei Jahren ändern.