Hellmann Worldwide Logistics

Methoden bringen nichts

09.12.2009 von Lars Reppesgaard
Jürgen Burger hält nichts davon, sich zu sehr mit Methoden zu beschäftigen. Wichtiger ist ihm, bei Hellmann laufend kreatives Feuer zu entfachen.
Jürgen Burger, CIO bei Hellmann Worldwide Logistics: "Man braucht kreative Konflikte, um vorgefasste Meinungen durch neue Perspektiven zu ersetzen. Das Mischen der Teams bringt Kreativität."

Bei einem Begriff wie "Enfant Terrible" muss Jürgen Burger, CIO bei Hellmann Worldwide Logistics in Osnabrück, schmunzeln. Er gefällt ihm. Schließlich will er die Menschen ja bewegen. Die Leute in seinen eigenen Fachabteilungen sowieso, aber auch die lieben Kollegen. Die eigene Mannschaft versucht er in einen permanenten Unruhezustand zu versetzen, damit das kreative Feuer in den Köpfen dort niemals erlischt.

Und den CIOs in den anderen Unternehmen wünscht er den Mut, sich weniger mit Methodiken wie ITIL oder Portfoliosteuerungsprojekten zu beschäftigen. "Viele haben sich regelrecht eingegraben mit ihren Methodikprojekten. Darüber vergessen sie, nach außen zu wirken", kritisiert Burger. "Nie erfährt man bei all den Berichten über Standardisierung und Prozessbibliotheken, wie der CIO als Führungskraft seine Mitarbeiter begeistert und das Unternehmen voranbringt."

Es ist ja nicht so, dass Burger ITIL und Co. nicht kennt. Als ehemaliger Accenture-Consultant beherrscht er alle Werkzeuge, die Berater CIOs für die Erfassung und Steuerung der IT-Landschaften liefern. Nach seinem Wechsel zu Hellmann setzte er sein Beraterwissen lehrbuchgemäß ein: Er löste technische Silos in den Abteilungen durch Standardtechnologie ab, im Zuge eines ITIL-Projekts erfasste er alle Teile der IT-
Infrastruktur und der beteiligten Prozesse, und Ende 2007 verabschiedete er konzernweite Regeln zur IT-Governance. "Eigentlich bin ich ja selbst von Haus aus ein Methodiker und gieße alles in Strukturen", sagt er.

Nun hat Burger aber Bilanz gezogen und ist zu dem Schluss gekommen, dass all die Beschäftigung mit den Methoden allein nichts dazu beiträgt, die Wertschöpfung des Unternehmens zu steigern. "Natürlich hängt der Ausbau einer leistungsfähigen IT an sauberen Methoden", sagt er. "Aber alle Methoden sind kein Selbstzweck, sondern nur ein untergeordnetes Steuerelement, damit wir CIOs unsere Arbeit tun können. Und das wird in der Community schnell verwechselt. Wer ITIL einführt, erntet Anerkennung, auch wenn er zwei Jahre deshalb nichts tut, was darüber hinausgeht."

Viel zu viele KPIs

Die Berater von Experton in München geben ihm indirekt recht. Sie veröffentlichten von Kurzem eine Analyse über den Sinn von IT-Measurement. Während die Analysten davor warnten, dass der halbherzige Einsatz dieser Instrumente Zeit und Geld kostet, ohne Ergebnisse zu bringen, beobachteten sie auch, dass viele CIOs zu viel des Guten tun, etwa beim Definieren von Key-Performance-Indikatoren. "Unternehmen begehen oft den Fehler, zu viele KPIs zu entwickeln", sagt Alexander Hemzal, Director Advisor der Experton Group. Zwischen zehn und 60 KPIs sollten ausreichen, um eine Prozesslandschaft ausreichend zu bewerten. Wenn ein Analyst mit solchen Worten IT-Verantwortliche bremsen muss, dann ist das bemerkenswert.

Dass Burger einen Teil seiner für viele ketzerischen Schlussfolgerungen öffentlichkeitswirksam auf den Hamburger IT-Strategietagen 2009 publik machte, kam nicht bei jedem gut an. Viele IT-Consultants, die davon leben, Methodenwissen zu verkaufen, waren entsetzt. Auch einige CIOs kritisierten den Provokateur hinter vorgehaltener Hand. "Natürlich rufen solche Aussagen Kritik hervor", sagt Burger. "Gerade weil viele wissen, dass sie stimmen."

Unternehmenszahlen der Hellmann Worldwide Logistics.

Doch der Hellmann-CIO will nicht nur kritisieren, er will aufrütteln. Seine Alternative zur Methodenhuberei: Er will zur Not auch mit unorthodoxen Methoden herauskitzeln, was an Kreativität in den Köpfen seiner 250 Mitarbeiter steckt. Seit 2006 reorganisiert er permanent Teams und Arbeitsgruppen, um Wissens- und Erfahrungsschätze zu heben.

In der Anwendungsentwicklung etwa sind die Programmierer nicht in festen Teams, sondern in einem Pool organisiert. Für jede Neuentwicklung wird ein verantwortlicher Application Manager bestimmt. Er stellt aus dem Pool sein Team zusammen und achtet darauf, dass die Zusammensetzung variiert. Dass hier immer das gleiche Dutzend Programmier zusammenarbeitet und über Jahre eingefahrenen Pfaden folgt, ist ausgeschlossen. "Man braucht kreative Konflikte, um vorgefasste Meinungen durch neue Perspektiven zu ersetzen", sagt Burger. "Das Mischen der Teams bringt aber Kreativität in die vordefinierten Prozesse."

Kleine Gruppen immer wieder aufzubrechen ist ein Prinzip, das Burger auch in anderen Bereichen wie dem Service Desk und dem Infrastrukturbetrieb praktiziert. Grundsätzlich hält er die Methode aber für sinnvoll, auch um das Wissen innerhalb der Organisation Hellmann zu verteilen. Der eine lernt von der Erfahrung des anderen. "So lässt sich Know-how transferieren, ohne dass man umständliche Systeme aufbauen muss", sagt Burger.

Auch außerhalb der IT-Abteilung können Burgers Fachleute arbeiten, sofern es dem Unternehmen dient ,wie bei einer neuen E-Commerce-Einheit. "Dort betreiben wir für Unternehmen den Online-Shop, wickeln aber auch alles andere ab", sagt Burger. "Wir begleiten die Ware vom Lager bis zu den Kunden, kümmern uns auch aber um Zahlungsströme, die Kreditkartenabwicklung oder den Kundenservice."

Anderen eine E-Commerce-Infrastruktur anzubieten ist keine Kernkompetenz für ein Logistikunternehmen. Burger setzt deshalb auf Arbeitsteilung. So hat Hellmann für das Projekt ein Joint Venture mit einem erfahrenen E-Commerce-Anbieter gegründet. Fünf von Burgers Leuten arbeiten in einer Art Start-up an dem Projekt. Burger selbst kommt zum Gesprächstermin gerade von einem Besuch bei einem großen Elektronikversender zurück. "Mit dem hatte ich dann intensiv über Themen wie das Pricing von Online-Produkten diskutiert", sagt er.

IT-Organisation - Neun Regeln für den Stillstand

Wie man es schafft, damit in einer Organisation alles beim Alten bleibt.
Launige Ratschläge von CIO Jürgen Burger.

  • 1. Erzeugen Sie viele detaillierte KPIs für kleine Teams. Auf je mehr KPIs die Kollegen achten, umso mehr glauben sie an eine Weiterentwicklung "von selbst".

  • 2. Sorgen Sie für ausreichend "SOA-Stoff". Das Verdeutlichen von Komplexität führt bei mehr Leuten zu Stillstand als zu Bewegung

  • 3. Treffen Sie Technologieentscheidungen ausschließlich selbst. Es kann ja sowieso auf strategischer Ebene keiner besser wissen.

  • 4. Stellen Sie sicher, dass es ausreichend semi-manuelle Schnittstellen in Ihrer Anwendungslandschaft gibt, das hält die Teamgröße konstant – oder vergrößert diese sogar.

  • 5. Messen Sie Führungskräfte nach methodischem Erfüllungsgrad. So können sie keine wirkliche Führungsstärke entwickeln.

  • 6. Nutzen Sie möglichst viele verschiedene Titel und Jobbezeichnungen in der Organisation: je mehr Rollen, umso weniger Verantwortung.

  • 7. Erzeugen SieOrganisations-Charts, die nicht mehr lesbar auf eine
    DIN-A4-Seite passen

  • 8. Sourcen Sie so viel wie möglich aus. Eine niedrige Wertschöpfungs-
    tiefe und -veränderbarkeit stabilisiert die Organisation nachhaltig auf Basis komplexer Verträge.

  • 9. Stellen Sie Reporting-Zyklen ab. Wer will denn schon regelmäßig reden, wir kennen doch das Geschäft.

Entfesselte Kreativität bändigen

Auch das ist sicher keine klassische CIO-Aufgabe. Wohl aber kann das mal wichtig sein, wenn seine Arbeit auch außerhalb der IT dem Unternehmen nützen soll. "Natürlich muss der CIO versuchen, das Kerngeschäft zu unterstützen“, sagt Burger. "Noch ist das Ganze ein zartes Pflänzchen. Aber die Einheit steht, und sie hat schon drei Kunden an Bord." Möglicherweise ist auch das Full-Service-Angebot für Online-Händler bald ein wichtiger Umsatzbringer, so wie sich Zusatzdienste wie der Zusammenbau von Komponenten, etwa für den Kopfhörerhersteller Sennheiser, im Laufe der Zeit zu wichtigen Standbeinen entwickelt haben.

Damit die entfesselte Kreativität aber nicht im Chaos endet und jeder nach Lust und Laune Anwendungen baut, sind am Ende doch wieder die Methodiken wichtig. "Die Leitlinien für die Arbeit ändern sich nicht, auch wenn die Zusammensetzung der Teams und ihre organisatorische Anbindung mitunter wechseln", sagt Burger. Genau auf dieser Ebene machen die Methodiken für ihn Sinn: Er sieht sie als Gerüst, um Orientierung zu geben, wenn mit Feuereifer gearbeitet wird, während andere sie als Alibi nutzen, um überhaupt etwas zu tun zu haben.

Jürgen Burger wird auf den kommenden Hamburger IT-Strategietagen Rede und Antwort stehen.