Public Cloud

Microsoft schnappt AWS Großprojekt mit Boeing weg

10.08.2016 von Wolfgang Herrmann
Im Public-Cloud-Segment zeichnet sich ein Kopf-an-Rennen ab: Während AWS mit Rekordgewinnen glänzt, gelingt Microsoft mit Azure der Einstieg in große Digitalisierungsprojekte bei Boeing und General Electric.

Die Nachricht dürfte dem Amazon-Management gar nicht schmecken: Der Luftfahrtkonzern und AWS-Kunde Boeing wird seine Analytics-Anwendungen künftig auf Microsofts Azure-Plattform betreiben. Dabei sollen auch die Cortana-Analytics- und die IoT-Suite des Softwarekonzerns zum Einsatz kommen. Mit den neuentwickelten Anwendungen könnten die rund 300 Airline-Kunden Boeings ihre Flotten effizienter verwalten und den Treibstoffverbrauch optimieren, erklärte Andrew Gendreau, Director in Boeings Digital-Aviation-Sparte, gegenüber der CW-Schwesterpublikation CIO.com. Für Microsoft ist der Deal nicht nur finanziell interessant, sondern auch ein dicker Punktgewinn im Kampf gegen den großen Rivalen Amazon Web Services.

Großauftrag: Der Luftfahrtkonzern Boeing entwickelt auf Microsofts Cloud-Plattform unter anderem Predictive-Maintenance-Konzepte.
Foto: Andrey Khachatryan - shutterstock.com

Besonders schmerzen dürfte die AWS-Marketiers, dass Microsoft damit den Einstieg in ein umfassendes Transformationsprojekt geschafft hat. Laut Gendreau wird Microsoft dem Flugzeugbauer dabei helfen, Analytics-Anwendungen zu entwickeln, die etwa Predictive-Maintenance-Konzepte in der Flugzeugwartung ermöglichen. Piloten, Mechaniker oder Flugbegleiter könnten künftig auf Echtzeitdaten aus den Maschinen zurückgreifen und so das Fliegen in der margenschwachen Airline-Branche insgesamt effizienter machen.

"Flugzeuge werden immer intelligenter und die Betreiber wollen immer genauere Daten darüber, was in einer Maschine gerade vor sich geht", kommentierte Greg Jones, Microsofts Global Industry Director für die Travel-Sparte, das Projekt. "Das ist eine gute Gelegenheit, um zu demonstrieren, wie Transformation in der Luftfahrtbranche funktionieren kann." Erst vor wenigen Wochen hatte Microsoft einen ähnlichen Erfolg gemeldet: Der Siemens-Konkurrent General Electric (GE) wird seine IoT-Plattform Predix ebenfalls auf Azure betreiben.

Die beiden Großprojekte zeigen, wie weit Microsoft in den vergangenen Jahren mit seiner Azure-Plattform gekommen ist. Als Pionier im Geschäft mit Cloud-Infrastruktur hatte sich AWS schon früh einen scheinbar uneinholbaren Vorsprung erarbeitet und rasch auch große Unternehmenskunden gewonnen, darunter Netflix, Capital One, Pfizer oder der Geheimdienst CIA. Microsoft dagegen startete spät in die Cloud. Erst unter dem neuen CEO Satya Nadella gewannen die Cloud-Bemühungen rund um Azure an Fahrt. Nadellas Strategie "Mobile first, Cloud first" wird mittlerweile auch von vielen CIOs ernstgenommen.

Azure macht Boden gut im Duell mit Amazon Web Services

"Die Tatsache, dass Boeing sein Projekt gemeinsam mit Microsoft und nicht mit AWS macht, zeigt, dass Azure Boden gut gemacht hat," urteilt denn auch Gartner-Analyst Ed Anderson. "Für Microsoft ist es immens wichtig, solche Deals zu gewinnen." Der Erfolg lässt sich auch an Zahlen festmachen. Zwar weist Microsoft seine Azure-Umsätze nicht separat aus. Für das abgelaufene vierte Quartal meldete der Anbieter aber eine Umsatzsteigerung um 102 Prozent für die Plattform.

Cloud-Giganten: Microsoft Azure
Azure Microsoft Cloud Deutschland
Cloud-Dienste "Made in Germany" bietet Microsoft seit Mitte 2016 an. Dazu wurden zwei Rechenzentren in Frankfurt am Main und Magdeburg in Betrieb genommen.
Azure Cloud: Nadella in Deutschland
Satya Nadella, CEO von Microsoft bei der Präsentation der Deutschland-Cloud in Berlin im November 2015: "Unser Ansatz besteht darin, eine hoch skalierbare Public Cloud aufzubauen. Wir bieten unseren Kunden eine echte hybride und verteilte Computing-Plattform."
Azure Paired Region
Höhere Ausfallsicherheit durch "Paired Regions": Nutzer von Azure-Cloud-Diensten können Daten sowie Ressourcen wie Virtual Machines und Datenbanken zwischen zwei Rechenzentren von Microsoft replizieren. Beide liegen in benachbarten Regionen, etwa West- und Nordeuropa, müssen aber mindestens 300 Meilen voneinander entfernt sein.
Azure Marketplace
Ebenso wie Amazon Web Services und andere Cloud Service Provider hat Microsoft auf Azure einen Marktplatz für Produkte von Drittanbietern eingerichtet.
Microsoft Cloud Treuhändermodell
In Deutschland hat Microsoft eine separate Azure-Cloud-Infrastruktur aufgebaut. Zugriff auf die Kundendaten hat ausschließlich ein zwischengeschalteter Treuhänder, in diesem Fall T-Systems.
Alex Stüger
Alex Stüger, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland: "Die Verknüpfung unserer Microsoft-Cloud-Plattform mit deutscher Infrastruktur und deutschem Datentreuhänder ist aus unserer Sicht am Markt einzigartig."

Andererseits verkündet auch AWS stetig neue Erfolge und hat sich für den Amazon-Konzern zum entscheidenden Gewinnbringer entwickelt. Im abgelaufenen zweiten Quartal erzielte AWS eine Umsatzsteigerung von 58 Prozent auf fast 2,9 Milliarden Dollar und einen operativen Gewinn von 718 Millionen Dollar. Geht es in diesem Tempo weiter, schafft AWS das von CEO Jeff Bezos für 2016 vorgegebene Ziel von 10 Milliarden Dollar Jahresumsatz locker. Bisher deutet kaum etwas auf ein abflauendes Wachstum hin. Mittlerweile hat auch der SaaS-Gigant Salesforce.com AWS zum bevorzugten Provider für Infrastruktur aus der Public Cloud erkoren. Große Unternehmen wie Kellog's, Brooks Brothers oder Ferrara Candy Company betreiben sogar ihre geschäftskritischen SAP-Anwendungen auf AWS-Systemen.

"AWS hat einen komfortablen Vorsprung und setzt weiter auf schnelle Innovationen als wettbewerbsdifferenzierenden Faktor", kommentiert Meaghan McGrath, Analyst bei Technology Business Research, die Marktverhältnisse. "Angesichts der erstarkenden Konkurrenz und der wachsenden Akzeptanz von Hybrid-Cloud-Szenarien könnte es für AWS aber künftig schwieriger werden, Kunden zu gewinnen."

Cloud-Giganten: Amazon Web Services
AWS Umsatz
Im Geschäftsjahr 2015 erzielte AWS einen Umsatz von rund 7,9 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Der Mutterkonzern Amazon verbuchte im Geschäftsjahr 2015 einen Umsatz von rund 107 Milliarden Dollar und ein Betriebsergebnis von 7,88 Milliarden Dollar.
Cloud-Ausprägungen
Die Abgrenzung von Infrastructure, Platform und Software as a Service (IaaS, PaaS, SaaS), die Experton Group sie sieht.
Weltweiter Umsatz mit Public-Cloud-Diensten
Der weltweite Umsatz mit Public-Cloud-Diensten und entsprechender Hard- und Software weist hohe zweistellige Zuwachsraten auf. Das gilt mit einem Plus von 49 Prozent vor allem für Infrastructure as a Service (IaaS).
AWS Services
Übersicht über die Services von AWS: Ausgehend von Kernservices wie Rechenleistung und Speicherressourcen aus der Cloud hat das Unternehmen seit 2007 seine Produktpalette sukzessive erweitert, im Jahr 2015 beispielsweise um Workspaces und Analytics-Applikationen.
AWS Innovationen
AWS steigert sein Angebot an Cloud-Diensten und neuen Funktionen für bestehende Services in rasantem Tempo. So kamen im Jahr 2015 an die 720 Ergänzungen des Produktportfolios hinzu.
AWS im Mittelstand
Laut einer Studie von Crisp Research setzen nicht nur Großunternehmen in Deutschland Cloud-Services von AWS ein, sondern auch mittelständische Unternehmen.
AWS versus Microsoft Azure
AWS versus Microsoft Azure: Ein Vergleich der wichtigsten Services und Funktionen
Umsatzverteilung IaaS-Markt
Umsatzverteilung bei Infrastructure-as-a-Service-Angeboten: Nach Daten der IT-Community Wikibon war AWS im ersten Halbjahr 2015 weltweiter Marktführer im Bereich IaaS-Dienste, die über eine Public Cloud bereitgestellt werden.
Amazon Workspace Application Manager
Mit dem Amazon Workspace Application Manager können Unternehmen Cloud-basierte IT-Arbeitsplätze (Amazon Workspaces) einrichten und mit den benötigten Applikationen bestücken.
Cloud Vendor Benchmark
Der Cloud Vendor Benchmark 2015 der Experton Group sieht AWS in Deutschland im Bereich IaaS-Dienste vor Microsoft. Bei Platform-as-a-Service-Angeboten ist es dagegen umgekehrt.
AWS-Nutzung
Beherrschende Position: Rund 57 Prozent aller Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen nutzen zumindest einen Public-Cloud-Dienst von Amazon. Die Daten basieren auf einer Befragung von IT-Fachleuten und Business-Managern in Nordamerika, Europa und Asien/Pazifik.
AWS Infrastruktur
Die Cloud-Infrastruktur von AWS: Derzeit verfügt das Unternehmen über 32 Availability Zones in zwölf Weltregionen, unter anderem in Frankfurt am Main. Weitere fünf Regionen sollen 2016 hinzukommen, davon eine in Europa (Großbritannien).
AWS Marketplace
Über den Marketplace bietet AWS Applikationen und Systemsoftware aller Art an. Anwender können diese über die Amazon-Cloud nutzen.
Cloud-Markt Deutschland
Ein Umsatzwachstum von jährlich 38 Prozent prognostiziert die Marktforschungsgesellschaft Crisp Research für den Cloud-Markt Deutschland bis 2018.
AWS Architektur
Eine typische AWS-Architektur: Die Basis bildet eine virtuelle private Cloud-Umgebung, die der Nutzer über eine Web-Konsole verwaltet. Ergänzend dazu können Unternehmen Web Application Firewalls und weitere virtualisierte Sicherheitssysteme einsetzen, beispielsweise von Anbietern wie Imperva

Der Konkurrenzkampf im Cloud-Geschäft wird sich jedenfalls weiter verschärfen, darin sind sich die meisten Experten einig. Und das liegt nicht nur an Microsoft, sondern auch an mächtigen Playern wie Google, Oracle und IBM, die nun ebenfalls voll auf die Cloud-Karte setzen. Erst kürzlich erklärte Jim Comfort, CTO für die IBM Cloud, wie der Konzern mit einer ausgeprägten Branchenorientierung im Cloud-Markt punkten will. Oracle will gar 9,3 Milliarden Dollar für den Cloud-Pionier Netsuite auf den Tisch legen.

Für AWS sind auch das keine guten Nachrichten, denn die oft als Dinosaurier verspotteten IT-Riesen können auf eine riesige installierte Basis bei ihren Kunden bauen. Gelingt es IBM, Microsoft und Oracle, auch nur einen kleinen Teil dieser Legacy-Systeme durch Cloud-basierte Systeme abzulösen, würde das schon ein sattes Wachstum bedeuten. Zwar hat auch AWS diverse Migration Services für solche Fälle im Angebot. Doch dem Cloud-Pionier dürfte es ungleich schwerer fallen, einschlägige Projekte an Land zu ziehen.

Dessen ungeachtet entwickelt sich der Cloud-Markt insgesamt weiter positiv und bietet damit nicht nur den großen Playern gute Perspektiven. Nach Erhebungen des Marktforschungsunternehmens Canalys sind die weltweiten Ausgaben für Infrastruktur-Services aus der Cloud im zweiten Quartal 2016 um 52 Prozent gewachsen.

Mit Material von IDG News Service.