Ausgebrannte IT-Mitarbeiter

Miese Stimmung

02.06.2003 von Marita Vogel
Die Burn-out-Rate unter IT-Profis steigt. Angst um den Job und zunehmende Belastung würden dazu führen, dass Produktivität und Umsatz sänken, warnt die Meta Group. Deutsche CIOs finden die Stimmung unter ihren Mitarbeitern jedoch offenbar gar nicht so schlecht.

"Wahnsinn, hilflos, Schock, brutales Vorgehen" - die Wortwahl ähnelt der von Verbrechensopfern. In der Tat fühlen sich 150 Informatiker des Schweizer Versicherungskonzerns Winterthur als Opfer: Ihre Jobs werden gestrichen. Der Solidaritätsvorschlag aus den Reihen der verbleibenden rund 700 Kollegen, eine Vier-Tage-Woche mit Gehaltsverzicht, lief ins Leere. Die Stimmung ist mies.

Kein Einzelfall: Bei AT&T steht nach Presseberichten mit der Streichung von 1800 Stellen fast die Hälfte der IT-Abteilung zur Diskussion; ABB plant angeblich ebenfalls einen radikalen Personalabbau. In vielen Unternehmen werden Budgets gekürzt, Stellen gestrichen und Projekte verschoben. Dadurch steigt die Arbeitsbelastung.

71 Prozent der IT-Manager, die die Meta Group für eine aktuelle Studie befragt hat, diagnostizieren Burn-out-Symptome in ihrer Abteilung. Das würden längere Turnover-Zeiten, eine niedrigere Produktivität und unterm Strich rückläufige Gewinne belegen, so die Marktforscher. Für Maßnahmen gegen die Stimmungskrise fehle den CIOs oft das Budget. Wohl auch deshalb hätten 77 Prozent von ihnen kein Motivationsprogramm; als Lösungsversuch würden die meisten Mitarbeiterbefragungen durchführen.

CIOs fehlt oft die Nähe zu den Mitarbeitern

Wie ist die Stimmung in deutschen IT-Abteilungen? Darüber wollen nur wenige Verantwortliche sprechen. Möglicher Grund: Um die Situation richtig einschätzen zu können, wäre mehr Nähe zu den Mitarbeitern erforderlich. Dessen ist sich auch Bertelsmann-CIO Ragnar Nilsson bewusst, Chef von rund 4500 IT-Fachkräften: "Ich spreche nicht jeden Tag mit jedem Mitarbeiter. Aber ich glaube, die Stimmung bei uns ist nicht so schlecht. Wir haben auf den Einsatz von Externen verzichtet und haben alle anstehenden Aufgaben mit Inhouse-Kapazitäten bewältigt", sagt Nilsson. Die Entwicklung innerhalb der Bertelsmann-IT brächte zwar Veränderungen mit sich, "aber die Leute haben keine Angst um ihren Job". Und durch Projektverschiebungen könnten sich die Mitarbeiter auf Dinge konzentrieren, die schon länger auf Erledigung warteten.

Durch das Umstrukturierungsprogramm "Ignition" sei ohnehin ein Ruck durch die Bertelsmann-IT gegangen. "Wir sind nicht mehr die Kellerkinder, sondern Partner des Business", sagt Nilsson. "Das motiviert." Sollten allerdings 2004 erneut Budgetkürzungen anstehen, könne sich das Stimmungsbild ändern, fürchtet er.

Auch bei Mercoline, IT-Tochter des krisengeschüttelten Berliner Papier- und Bürowarenherstellers Herlitz, läuft es mittlerweile wieder rund. "Kurz vor der Ausgründung der IT-Abteilung im September 2000 herrschte natürlich große Anspannung", erinnert sich Geschäftsführer Jörg Berends. Kein Wunder: Damals wurden knapp 40 Prozent der 120 Mitarbeiter entlassen. Seitdem habe sich aber alles wieder eingespielt. "Unsere Mannschaft steht geschlossen hinter uns; die Stimmung ist gut", sagt Berends.

Das ahnt auch Holger Hagedorn, Hauptabteilungsleiter Informationssysteme bei den Bremer Stahlwerken. Die Tochter des französisch-spanischen Stahlkonzerns Arcelor muss 35 Prozent der 4800 Mitarbeiter abbauen. Ob es auch die IT-Abteilung mit ihren 47 Experten trifft, ist noch unklar. "Ich kommuniziere so offen wie möglich", sagt Hagedorn. An Spekulationen werde er sich auf keinen Fall beteiligen: "Das beunruhigt doch nur."

Motivationsbedürfnis wird unterschätzt

Klar ist jedoch, dass die Rationalisierungen in der Fertigung zu deutlicher Mehrarbeit in der IT führen werden. "Seit dem vergangenen Jahr wissen alle, dass sie ihre Arbeitszeit besser organisieren müssen", so Hagedorn. Obwohl viele Mitarbeiter erweiterte Aufgabenbereiche zugewiesen bekamen und Einsparungen drohten, "ist die Situation recht stabil", meint der 43-Jährige. Die Leute wüssten, was auf sie zukäme, seien aber noch optimistisch. Momentan durchforstet ein Team das Unternehmen nach Einsparpotenzial; im August sollen Ergebnisse vorliegen.

Viele Manager stehen der Frage, welche Motivationsmaßnahmen den gefürchteten Burn-out-Symptomen vorbeugen, hilflos gegenüber. Personalberaterin von Atzigen stellte 2002 bei einer Umfrage unter rund 150 IT-Leitern und 250 IT-Mitarbeitern fest, dass Führungskräfte das Motivationsbedürfnis ihres Teams offenbar falsch einschätzen. Galten bisher vor allem Gehaltshöhe oder Boni als Anreiz, habe sich dies in den vergangenen zwei Jahren geändert: "Heute ist wichtig, dass Aufgaben mit Kompetenzen und Verantwortung verknüpft werden", so die Personalberaterin. Als größter Motivationsfaktor gälten "Anerkennung der Leistung" und "Lob". Bei den Chefs folge anschließend "Förderung und Weiterbildung", während sich die Mitarbeiter mehr "interessante, herausfordernde Aufgaben" wünschten.

Dennoch sahen die meisten der befragten IT-Experten der Studie zufolge wenig Anlass zur Kritik an ihren Vorgesetzten: 12 Prozent gaben an, "immer" mit ihrem Chef zufrieden zu sein, 59 Prozent "meistens"; für ein knappes Drittel allerdings war es nur "manchmal" oder sogar "nie". Der Grund für das Missfallen könnte die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild der Chefs sein: 81 Prozent der IT-Manager, so ein Ergebnis der Studie, glauben, ihren Mitarbeitern ein fachliches Vorbild zu sein; von denen sehen das aber nur 40 Prozent so. Ein ähnlicher Unterschied zeigt sich danach auch bei der Einschätzung der "Karriereförderung" (siehe Grafik).

Als nicht vorbildlich wurde das Verhalten des neuen Winterthur-CIOs Martin Frick von vielen Mitarbeitern beurteilt. Als Ende April die Wogen der Empörung hochschlugen, war er im Urlaub. "Ein komischer Moment, um zu entspannen", kritisiert Applikationsentwickler Kaspar Hohler. Die Stimmung unter den verbleibenden Kollegen schwanke zwischen Galgenhumor und Frustration: "Die Leute können nicht mehr hinter der Firma stehen."

Managern in solchen Krisen bricht von Atzigen aber auch eine Lanze: "Sie sind oft nur ein Rädchen im Getriebe und müssen sich der Unternehmenskultur beugen." Vielen Chefs, die als ausgezeichnete Fachkräfte in ihre Position gekommen seien, fehle nun Führungserfahrung. Ihr Rat: "Wichtiger als jede Weiterbildung wäre der Austausch mit anderen, erfahrenen Managern."