Was eine IT-Strategie leisten soll

Mysterium IT-Strategie

27.09.2018 von Stefan Pechardscheck und Roger Fischlin  
IT-Strategie-Dokumente enthalten oft nur allgemeine IT-Ziele und eine Auflistung technischer Maßnahmen. Dieser Ratgeber zeigt, wie ein IT-Strategiepapier aussehen muss, damit ein Unternehmen mit ihm nachhaltig Wettbewerbsvorteile erzielen kann.

Die Disziplin der strategischen Unternehmensführung entstand vor 50 Jahren, besonders geprägt durch die Harvard Business School. Richtungsweisend ist Chandlers Ansatz einer Strategie "als Formulierung der langfristigen Unternehmensziele sowie der Wahl eines Maßnahmenbündels und der Ressourcenzuordnung, um die Ziele zu erreichen".

Strategien sind prinzipiell geplante Verhaltensweisen zur Erreichung von Zielen.
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Mit der Strategie gibt die Führung ihre Intention für das Unternehmen vor – die Strategie soll der Organisation Stabilität verleihen und gleichzeitig die Weitentwicklung für ihren Fortbestand gewährleisten. In der klassischen Sicht wird eine Strategie geplant (Intended Strategy) und dann umgesetzt (Realized Strategy). In der Praxis ist zu beobachten, dass nicht jede Strategie umgesetzt wird und im Rückblick manchmal die umgesetzte Strategie nicht bewusst geplant war. Eine Strategie kann sich mit der Zeit durch übereinstimmendes Verhalten entwickeln, ohne das Resultat rationaler Planung zu sein. Bei dieser Strategie lernt die Organisation schrittweise ein Muster.

Strategieentwicklung

Aus unserer Sicht gibt es zwei Grundmodelle, wie sich Strategien entwickeln:

Das präskriptive Planungsmodell beschreibt, wie Unternehmen ihre Strategie bilden sollen. Das Inkrementalmodell als deskriptiver Ansatz beschreibt empirisch, wie realisierte Strategien sich entwickeln. Beide tragen zum Verständnis der Strategieentwicklung bei und sind wertneutral – richtig oder falsch gibt es nicht.

Im Planungsmodell ist Strategie das Ergebnis einer systematischen Folge von Schritten – Planung und Umsetzung sind getrennt. Der Ansatz stammt aus der Anfangszeit des strategischen Managements. Die Gestaltungsschule sieht Strategieentwicklung als konzeptionelle Aufgabe. Ihr ist das Standardverfahren zu verdanken: Man verbindet interne Fähigkeiten und externe Möglichkeiten (SWOT-Analyse) und wählt eine passende Strategie aus.

Die Positionierungsschule beschäftigt sich hingegen mit der Strategie selbst. Das Unternehmen beschränkt sich auf Positionen, die es am Markt verteidigen kann. Die Positionierungsschule ist Ausgangspunkt für das Baukastenprinzip, der Kombination von generischen Strategien. Im Inkrementalmodell entstehen Strategien anstatt nach vorgegebenem Muster – unregelmäßig und dezentral etwa als Verhandlung (Machtschule), als sich bildender Prozess (Lernschule) oder als Reaktion der Organisation auf äußere Faktoren (Umfeldschule).

IT-Strategie – Demand & Supply

Governance der IT ist der Rahmen für die IT-Nutzung im Unternehmen. Innerhalb dessen legt das Unternehmen mit seiner IT-Strategie fest, wie es die Potenziale der IT für seine Ziele nutzen möchte:

Die Fähigkeit der Verzahnung ist die IT-Steuerung oder das IT-Demand-Management. Schnittstellen bilden Informationen (Daten) und Anwendungen. Mit der IT-Strategie bestimmt ein Unternehmen den Beitrag der IT für den Unternehmenserfolg:

Die IT-Strategie konkretisiert die Geschäftsstrategie gerade hinsichtlich auf IT-Supply.

Business Alignment

IT- und Geschäftsstrategie beeinflussen sich wechselseitig, sie sollten sich verzahnen (strategic fit). Die traditionelle Sicht der IT-Strategie als Funktionalstrategie greift zu kurz: Die IT hat Geschäftsabläufe revolutioniert, Märkte nachhaltig verändert und fungiert als Enabler.

Geschäfts- und IT-Strategie sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, die eigentliche IT-Strategie ist Teil der Geschäftsstrategie - wenn auch nicht immer klar herausgearbeitet. Viele Unternehmen konkretisieren ihre IT-Strategie in einem separaten Dokument. Meist liegt die alleinige Verantwortung für die Ausarbeitung der IT-Strategie bei der IT-Abteilung. Fehlt die Verbindung zur strategischen Unternehmensführung, werden allgemeine Ziele für die IT festgeschrieben - etwa Effizienzverbesserung durch Standards wieITIL und Kostensenkung durch Systemkonsolidierung oder neue Hard- und Software. Für sich genommen sind dies keine strategischen Ziele, sondern taktische Maßnahmen. Andere Strategiedokumente listen Einzelmaßnahmen auf und ähneln eher einem Budgetantrag.

Ansätze für eine IT-Strategie

Der marktorientierte Ansatz hilft beim Verständnis für das Umfeld - das Baukastenprinzip ist für die IT-Strategie jedoch nur bedingt relevant, denn die IT bestimmt selten das Marktsegment. Die Wertedisziplinen sind aber sinngemäß übertragbar:

Davon sollte eine Disziplin als Grundmuster gewählt werden, etwa operative Exzellenz für Standard-IT. Der ressourcenorientierte Ansatz beschreibt die Kernkompetenzen im IT-Umgang, die einen Wettbewerbsvorteil generieren. Zur Identifizierung bietet sich die Gliederung der Service-Assets nach ITIL beziehungsweise die COBIT 5-Enabler an gegebenenfalls ergänzt um die Prozessmodelle. Aspekte wie Finanzierung und Sourcing werden meist grundsätzlich geregelt. Dank Best-Practice nutzen viele Unternehmen gleiche IT-Praktiken, bei der Struktur gibt es dagegen konkurrierende Muster:

Eine generische Strategie für Kosteneffizienz sind standardisierte IT-Services, einheitliche IT-Infrastruktur und zentrale Leistungserbringung. Individualität und Agilität spiegeln sich in dezentralen Strukturen und dem Nebeneinander von IT-Services wider.

Service-Assets (ITIL) und Enabler (COBIT 5)
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Entwicklung einer IT-Strategie

Identifikation des Kontexts - Was ist der Lösungsraum?

Als Vorbereitung ermittelt man das Umfeld, das den Lösungsraum für die IT-Nutzung einschränkt. Dieses wird bestimmt durch den Einfluss der Stakeholder auf die Wertschöpfung des Unternehmens, also dessen Nutzenrealisierung, Ressourceneinsatz und Umgang mit Risiken. Erfolgsziele werden in der Geschäftsstrategie konkretisiert. Einige Aspekte beziehen sich auf die allgemeine IT-Nutzung (etwa IT als Innovator oder Dienstleister), andere auf einzelne Punkte.

Aufnahme der Ist-Situation - Was sind die Merkmale der IT-Nutzung?

Im nächsten Schritt wird die gegenwärtige IT-Nutzung aufgezeichnet, das heißt alle Merkmale erfasst, die diese von Wettbewerbern differenzieren. Es fällt vielen leichter, erst IT-Supply zu beschreiben etwa anhand der Service-Assets oder Enabler (und deren Dimensionen). Hier hilft das Konzept der Kernkompetenzen mit der Identifizierung der Kernanwendungen und anschließender Bestimmung genutzter Kernkompetenzen. Für die Merkmale der Fachseite (IT-Demand) kann man von den Geschäftsprozessen oder den übergreifend genutzten Informationen (analog zu Kernprodukten) ausgehen. Hier bedeutet "aktuell" nicht die gegenwärtige Situation, sondern die in der Geschäftsstrategie dargestellte, denn IT-Supply und IT-Demand sollen aufeinander ausgerichtet sein. Kritischer Erfolgsfaktor der Ist-Aufnahme ist der adäquate Detaillierungsgrad.

Analyse der Ist-Situation - Was sind Stärken und Schwächen?

Anschließend werden die Kompetenzen (Fähigkeiten und Ressourcen) bewertet und zwar auf einer Skala nach Stärken und Schwächen relativ zum Mitbewerber vor dem Hintergrund des formulierten Kontexts (insbesondere der Grundausrichtung der IT-Nutzung). Zur Analyse gehört auch die Einschätzung, inwieweit und mit welchem Aufwand man Stärken ausbauen und Schwächen beheben will beziehungsweise kann. Diskrepanzen und Engpässe sind zu identifizieren und zu klären:

Analyse der Ist-Situation - Was sind Chancen und Risiken?

Es schließt sich die Untersuchung externer Einflüsse auf die künftige IT-Nutzung an. Dies betrifft erwartete Entwicklungen, deren Auswirkungen man mit der IT-Strategie antizipieren möchte. Hilfsmittel sind der PESTLE-Ansatz, typische Techniken sind Brainstorming oder Prognosen externer Marktbeobachter. Einige Chancen und Risiken beziehen sich auf die allgemeine IT-Nutzung, andere auf einzelne Kompetenzen, beziehungsweise Service-Assets oder Enabler. Die Bewertung orientiert sich an den identifizierten Stärken und Schwächen sowie dem Kontext, vor allem der Grundausrichtung. Kritischer Erfolgsfaktor ist die Identifizierung und korrekte Einstufung relevanter Chancen und Risiken. Ein Patentrezept gibt es nicht, zumal Prognosen mit Unwägbarkeiten verbunden sind.

Strategische Gestaltung - Wie nutzt man die IT, um erfolgreich zu sein?

Es werden Optionen für die IT-Strategie ermittelt, der Lösungsraum ist gegeben durch Kontext, Ist-Situation und mögliche Entwicklungen. Das Unternehmen beurteilt mögliche IT-Strategien und bestimmt diejenigen, die es umsetzen möchte. Die Bewertung berücksichtigt auch die Umsetzung, etwa anhand von Kosten und Risiken, sowie den Vorteil der angestrebten Position. An dieser Stelle ist Kreativität gefordert - Strategie hat auch Elemente eines geschickten Spielzugs. Es bedarf auch Disziplin und einer klaren Entscheidung, mit welchen Merkmalen man sich differenzieren will, ohne sich in Umsetzungsdetails zu verlieren. Je länger das Dokument, desto eher verfehlt es sein Ziel. Gartner geht von 10 bis 15 Seiten aus; der Kern der IT-Strategie kann auf eine Seite passen.

Strategiedokument - Wie dokumentiert man die IT-Strategie?

Die gewählte Strategie wird mit folgender Gliederung festgehalten (angelehnt an Gartner):

  1. Management-Summary

  2. Kontext der IT-Strategie

  3. Übersicht IT-Strategie

  4. IT-Demand

  5. IT-Demand-Management/IT-Steuerung

  6. IT-Supply

Die ersten beiden Abschnitte geben Vorgaben und Annahmen für die IT-Strategie, sowie den Kern der Motivation für diese IT-Strategie wieder. "IT-Demand" erfasst den geschäftlichen Kontext, die Erfolgsfaktoren und wie die strategische Nutzung der IT diese unterstützt. In "IT-Demand-Management" zählt man markante Merkmale der IT-Steuerung auf, unter anderem als Grundsätze für den Umgang mit der IT (Gartner spricht von fünf bis zehn Prinzipien). Diese betreffen Themen wie die Informationssystemarchitektur (Daten und Anwendungen) und deren Bereitstellung (Portfolio-Management, Finanzierung, Sourcing und Performance-Management). Der Abschnitt "IT-Supply" beschreibt, wie das Unternehmen die IT-Unterstützung strategisch bereitstellt, insbesondere was seine technische Architektur von der der Mitbewerber unterscheidet. Für die Strategie-Umsetzung sollte separat ein Plan mit Handlungsfeldern erstellt werden.

Ausblick

Porter hat in der Strategie das Ziel gesehen, dem Unternehmen einen stabilen Zustand durch einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu verleihen. Dem wird heute aber auch widersprochen. Wichtiger sei vielmehr die Fähigkeit, vorübergehende Vorteile für sich zu nutzen (Agilität). Durch disruptive Technologien kann eine einmal gewählte Strategie hinfällig werden.

Daneben sinkt die strategische Bedeutung von IT-Supply: Jeder nutzt heute Best-Practices, jedem stehen die gleichen Leistungen kostengünstig zur Verfügung (Cloud Computing). Braucht man dann noch eine separate IT-Strategie? Bei der Frage, wie man die IT strategisch für seine Geschäftsziele einsetzt, kommt der Aspekt "Resilience" hinzu: Wie ist sichergestellt, dass der eingeschlagene Weg nicht bald hinfällig wird? Ein Ansatz mag sein, sich auf das zu besinnen, was eine Strategie ist: Eine außergewöhnliche Idee auf einer abstrakten Ebene.