Branche auf ungebremsten Wachstumskurs

Nach Air-Berlin-Aus nimmt das Airline-Monopoly Fahrt auf

04.12.2017
Air Berlin ist vom Himmel verschwunden, die Lufthansa fliegt Rekordgewinne ein. Zurücklehnen kann sich der "nationale Champion" aber nicht - denn noch kann die Übernahme an Brüssel scheitern.
Die Lufthansa könnte vom Air-Berlin-Deal stark profitieren.
Foto: Dmitry Birin - shutterstock.com

Deutschlands einst zweitgrößte Fluggesellschaft Air Berlin ist Geschichte - doch das Airline-Monopoly nimmt weiter Fahrt auf. Die Konzentration wird nach der bislang größten Pleite einer europäischen Fluglinie weitergehen, sind sich Firmenchefs und Branchenexperten einig. Denn der Markt ist immer noch extrem zersplittert. Mehr als 160 Gesellschaften tummeln sich an Europas Himmel, und längst nicht jede hat eine eigenständige Zukunft, sagt etwa der erfahrene Airline-Berater Gerd Pontius.

Noch ist unklar, ob Air Berlin tatsächlich wie geplant zwischen Easyjet und Lufthansa aufgeteilt wird. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist offenbar nicht gewillt, den Lufthansa-Deal zur Übernahme der Air-Berlin-Töchter LG Walter und Niki unverändert durchzuwinken. Besonders auf den österreichischen Ferienflieger Niki haben auch Thomas Cook (Condor) und IAG (British Airways, Iberia, Vueling) ein Auge geworfen - und in Brüssel viele Zweifel gesät.

Die Lufthansa hat ein Entgegenkommen angeboten, um die wettbewerbsrechtlichen Vorbehalte zu zerstreuen. Man wolle an großen Flughäfen wie Berlin oder Düsseldorf Start- und Landrechte abgeben, um dort Konkurrenzangebote zu ermöglichen, berichtete eine mit den Unterlagen vertraute Person.

Monarch ist abgewickelt, Alitalia wartet darauf

Air Berlin war 2017 nicht das einzige Unternehmen in starken Turbulenzen. Die britische Monarch musste von einem Tag auf den anderen aufgeben, weil ihr nicht der Staat beiseite gesprungen ist. Die Slots von Monarch gingen an IAG und den aufstrebenden Billigflieger Wizz aus Ungarn. Der einst so stolzen Staatslinie Alitalia droht im kommenden Jahr trotz massiver Staatshilfe eine ähnliche Zerschlagung wie der Air Berlin. Auch in Rom hat die Scheich-Airline Etihad die finanzielle Unterstützung eingestellt.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr wurde unter anderem wegen des frühzeitig eingefädelten Air-Berlin-Deals zum "Manager des Jahres" gewählt. Gleichzeitig hat er Tariffrieden mit seinen dauerstreikenden Piloten geschlossen und die belgische Brussels Airlines geräuschlos in den Konzern integriert.

Falls die EU-Kommission das Air-Berlin-Geschäft doch noch vor Weihnachten kartellrechtlich abnickt, hat Spohr sich einen großen Teil des nationalen Konkurrenten samt der wichtigen Flugrechte gesichert - ohne die hohen Schulden und das vergleichsweise gut bezahlte Personal übernehmen zu müssen. Selbst ein Teil-Übernahmeverbot für die Niki könnte der Kranich verkraften und sich die Flugrechte auf anderen Wegen sichern.

Altes Personal zahlt die Zeche

Dass sich Piloten und Flugbegleiter von Air Berlin neu bei der Lufthansa-Tochter Eurowings bewerben müssen, um ihre alten Flugzeuge zu schlechteren Konditionen weiter zu fliegen, hat die Gewerkschaften nachhaltig empört. Mindestens für das Personal scheinen die goldenen Zeiten der Luftfahrt vorbei zu sein, während sich die Lufthansa-Aktionäre auf einen weiteren Rekordgewinn freuen dürfen. Und die Passagiere zahlen vorläufig Höchstpreise für ihre Tickets, weil viele Air-Berlin-Jets bis zur Entscheidung aus Brüssel am Boden bleiben müssen.

Das Ende von Air Berlin war der Auftakt, den deutschen und den europäischen Luftverkehrsmarkt neu aufzuteilen. Spohr reagiert auf den Siegeszug der Billigflieger mit einem schnellen Aufbau der eigenen Billigtochter Eurowings, die bereits im kommenden Sommer mehr als 200 Flugzeuge umfassen soll.

Easyjet wird wichtiger

Easyjet wird nach der Genehmigung des Deals auch innerdeutsch unterwegs sein und dabei ein weit stärkerer Konkurrent werden, als es die sieche Air Berlin je sein konnte. An der Alitalia ist der neue Easyjet-Chef Johan Lundgren ebenso dran wie die Lufthansa.

Die zunächst vor allem auf Berlin beschränkten Briten können zudem wie die irische Ryanair auf attraktive Slots hoffen, die die Lufthansa möglicherweise noch als Kartellauflage freimachen muss. Ryanair muss allerdings zunächst selbstgeschaffene Probleme mit den Piloten lösen, die zunehmend gegen die extrem liberalisierten Arbeitsverhältnisse aufbegehren.

Die Geschäftsmodelle zumindest auf der Kurz- und Mittelstrecke werden sich immer mehr angleichen, erwarten Experten. Schon heute sind in der Holzklasse angebliche Premium-Carrier und Billigflieger nur noch in Nuancen zu unterscheiden. "Vorne eine echte Business-Klasse und hinter dem Vorhang Ultra-Lowcost ohne jedes Extra - das ist das Modell, das die Masse braucht", sagt beispielsweise der Chef der erfolgreich sanierten Air Baltic aus Lettland, Martin Gauss.

Lowcost-Operation

Ob das auch auf längeren Verbindungen nach Übersee funktioniert, testen gerade Gesellschaften wie Norwegian oder die isländische WOW Air. Vorteile der harten Lowcost-Operation wie kurze Wendezeiten und geringe Übernachtungskosten für die Crews fallen bei langen Flügen aufgrund der Sicherheitsvorschriften weg. Außerdem wollen die eingesessenen Netzanbieter nicht schon wieder einen Trend verschlafen und halten mit eigenen Gesellschaften wie der Eurowings (Lufthansa), Level (IAG/British Airways) oder Joon (Air France) dagegen.

International versuchen die Airlines zudem, mit gegenseitigen Kapitalverflechtungen und Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures), den Wettbewerb zu minimieren. So sprechen beispielsweise Lufthansa und Air China ihre Flugzeiten ab und vereinheitlichen die Preise, um hinterher gemeinsam abzurechnen. Die Passagiere erhalten so zwischen China und Mitteleuropa zwar in beiden Richtungen ein weit gefächertes Angebot mit zahllosen Anschlussflügen, dürfen aber nicht auf niedrige Preise hoffen. Über den Nordatlantik, so berichtet Berater Pontius, werden bereits 82 Prozent der Tickets über die Joint Ventures verkauft. Von Europa nach Japan sind es 65 Prozent.

Weltweit betrachtet sieht sich die Branche weiterhin auf einem ungebremsten Wachstumskurs. Sie wird 2017 erstmals über 4 Milliarden Passagiere transportiert haben, ein Zuwachs von mehr als 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dem Airline-Verband IATA zufolge kletterten die Umsätze nach zwei schwachen Jahren wieder deutlich um über 5 Prozent auf insgesamt geschätzte 743 Milliarden US-Dollar. Besonders ertragsstark waren erneut die Airlines im konzentrierten US-Markt. (dpa/rs)