Radikaler Umbau

Neckermann: Ideenloser Strategiewechsel

04.05.2012 von Hartmut  Wiehr
Nur noch eine virtuelle Hülle bleibt übrig. Keine Eigenmarken mehr, keine Kataloge, kein eigener Versand. Neckermann wird ein Online-Shop wie beliebige andere auch.

Und wer ist schuld? Vorstandschef Henning Koopmann äußerte sich laut Süddeutscher Zeitung wie folgt: "Die Zukunft des Versandhandels liegt im Internet. Dieser Entwicklung können wir uns nicht verschließen.“ Vor zwei Monaten war er noch davon ausgegangen, dass man 2012 mehr als eine schwarze Null erzielen könne wie im Vorjahr.

Vorstandschef Henning Koopmann von Neckermann: Alles andere als rosige Zeiten stehen dem ehemaligen Wirtschaftswunderkonzern bevor.
Foto: Neckermann

Bereits vier Fünftel des Umsatzes waren im Online-Geschäft erwirtschaftet worden. Von einer Schließung des klassischen Versandgeschäfts per Katalog und eigenen Kleidermarken war noch nicht die Rede gewesen. Man erwartete ausgeglichene Zahlen und eine gewisse Umsatzstabilisierung.

Dass jetzt der Kurs so radikal geändert wurde, kommt für Beobachter der Wirtschaftspresse und von Analystenseite überraschend. Man sieht darin "kein Zeichen der Stärke, sondern eins der Schwäche“ (Financial Times Deutschland, 30. April 2012) und wirft dem Konzern, der nun über die Hälfte der Belegschaft entlassen will, eine zu spät eingeleitete Umkehr vor. Auch von Management-Fehlern aus der Zeit der Zugehörigkeit zu Arcandor (Karstadt, Quelle, Neckermann) unter der Ägide des damaligen Chefs Thomas Middelhoff (Ex-Bertelsmann) ist die Rede.

Das Erbe Middelhoffs

Neckermann mühte sich jahrelang mit dem Erbe Middelhoffs ab, wie man bei wikipedia.de nachlesen kann: "Im November 2007 verschenkte Arcandor ohne Gegenleistung 51 Prozent des unprofitablen Online-Versandhauses Neckermann.de an den amerikanischen Finanzinvestor Sun Capital Partners. Neckermann.de sollte später an die Börse gebracht werden, was allerdings bisher nicht geschah.“

Anlässlich der jüngsten Entwicklung forderten die Gewerkschaften Sun Capital Partners auf, Kapital nachzuschießen. Dort hat man aber offensichtlich eigene Vorstellungen darüber, wie man doch noch irgendwann die Gewinnzone erreichen kann.

Neckermann gibt Unterscheidbarkeit auf

Letztlich folgt das Versandunternehmen mit der neuen Strategie nur der allgemeinen Marktentwicklung. Kataloge zu verschicken, ist vor allem teuer. Insbesondere, wenn man sich die klassische Klientel von Neckermann vor Augen hält: "Neckermann macht’s möglich“ stand ja vor allem für die Mischung von einem umfassenden Warenangebot für jedermann – Ratenzahlung in kleinen Häppchen machte es in den Jahren des "Wirtschaftswunders“ möglich. Auf schnelle Auslieferung der bestellten Waren kam es nicht so sehr an, Hauptsache sie kamen überhaupt nach einigen (von vornherein eingeplanten) Wochen.

Was Neckermann jetzt aufgibt, ist in erster Linie die Unterscheidbarkeit von anderen Versendern. Das klassische Profil wurde nicht in kleineren oder größeren Schritten zeitgemäß geändert, sondern mit einem Schlag ganz auf den Altar einer vermeintlichen Modernität gelegt. Damit stößt man natürlich auch die klassischen Stammkunden noch einmal vor den Kopf.

Die ehemalige Konzernzentrale in Frankfurt: Abglanz früherer Erfolge.
Foto: Neckermann

Einfach nur die erfolgreichen Online-Händler zu kopieren, erscheint nicht gerade als erfolgreicher Ansatz. Und Eigenmarken einzustellen, wo die Konkurrenz gerade in breiter Front den Weg von neuen Eigenmarken beschreitet, verblüfft ebenfalls etwas.

Unterdessen eilt das große Vorbild Amazon von Erfolg zu Erfolg – und nimmt für ein Ausboten der Konkurrenz durch Niedrigpreise und ein ständig erweitertes Portfolio sogar Gewinneinbußen in Kauf. Angesichts dieser Situation auf die Schärfung des eigenen Profils zu verzichten, erscheint mehr als gewagt. Da helfen alle Bekenntnisse zum reinen Verkaufen im Internet nicht viel. Bestenfalls wird ein "Me too“ daraus.