Schwerpunkt Integration: Salzgitter Gruppe

Netweaver verbindet Salzgitter

06.10.2003 von Lars Reppesgaard
Die Salzgitter Gruppe arbeitet als weltweit erstes Unternehmen mit Netweaver. Mit dem im März 2002 erstmals vorgestellten Produkt will SAP auch in Sachen Integrationsinfrastruktur Maßstäbe setzen.

Zu seinem Abschied machte der ehemalige SAP-Vorstandssprecher Hasso Plattner große Worte: Die Ankündigung, in Zukunft eine eigene Integrationssoftware anzubieten, sei "genauso signifikant wie 1992 die Einführung von SAPs 3-Tier-Client-Server-Architektur". Doch in der Öffentlichkeit wurden die Meldungen zum neuen SAP-Wunderkind skeptisch aufgenommen. Viele vermuteten hinter dem seit Anfang dieses Jahres in Walldorf propagierten Netweaver nur einen Etikettenwechsel für die bekannte My-SAP-Technologie.

Nun hat die Salzgitter Gruppe als weltweit erstes Großunternehmen eine eigene Applikationswelt auf der Grundlage von Netweaver entwickelt. Die so genannte E-Service-Plattform ist eine unternehmensübergreifende Kommunikationsstruktur, die aus dem SAP-Backend-System My SAP Enterprise Portal, der offenen, prozessorientierten Umgebung Exchange Infrastructure, dem SAP-Modul Business Information Warehouse sowie einem Kundenmanagement- und einem Dokumentenmanagementsystem besteht. Netweaver vereint all diese Komponenten und eröffnet ihnen den Zugang zu den Daten, die in den R/2- und R/3-Systemen des Konzerns abgelegt sind.

Stahlwerker waren der Zeit weit voraus

Die neue Serviceplattform vereinheitlicht die Prozessketten zu Kunden und Lieferanten. Die Stahlwerker wollen Informationen für Kunden, Dienstleister und Mitarbeiter bereitstellen, die Auftragsabwicklung automatisieren und zugleich Daten für das CRM-System sammeln.

Die Bestellvorgänge, mit denen die Salzgitter Gruppe zu tun hat, sind komplex: Wer eine Tonne Stahl bestellt, kann bis zu 300 Qualitätsmerkmale definieren. Diese Anforderungen zu erfüllen ist für routinierte Stahlwerker kein Problem. Sie aber informationstechnisch abzubilden machte das E-Service-Projekt zu einer Herausforderung.

CIO Günter König entschloss sich im Mai 2002, auf SAP als Infrastruktur zu setzen - zu einem Zeitpunkt also, als man in Walldorf die eigene Software noch gar nicht als Integrationslösung vermarktete. "Komponenten der Netweaver-Applikationsplattform haben wir zum Teil schon eingesetzt, als es die Produktbezeichnung noch gar nicht gab", erklärt der CIO.

Nicht ohne Risiko

Die Hauptrolle bei der Automatisierung und Verschlankung der Stahlhandelsprozesse sollte die Portaltechnologie spielen. Die Vorteile lagen für König auf der Hand: Ein Portal verspricht mehr Komfort für die Anwender, während gleichzeitig der Administrationsaufwand durch die Zentralisierung der Daten überschaubar bleibt. "Wir glauben, dass das Portal die Benutzeroberfläche der Zukunft ist. SAP sichert zu, dass alle ihre Produkte Schnittstellen zum Portal haben werden", betont König.

Ganz ohne Risiko war der Schritt zu Netweaver dennoch nicht, denn schließlich setzten die Stahlwerker damit auf eine Software, die nur in Grundrissen existierte. "Zweifeln und hadern kann man immer", kommentiert König den Projektstart. Den unfertigen Zustand der Software sah er als Chance: "Wir haben uns entschieden, Inhalt und Design der Komponenten mitzugestalten."

Im Oktober 2002 wurde das Kundeninformationssystem auf Basis des Business Information Warehouse aktiviert. Über Netweaver wurden die BackendSysteme SAP R/2 und R/3, mit denen die einzelnen Konzernteile arbeiteten, zu einem einheitlichen Datenpool zusammengefügt.

Diese Schlüsselfunktion übernimmt eine Komponente der Integrationssoftware, der Integration Broker. Er führt Anwendungsmodule zusammen, indem er mittels der Datenübertragungsstandards XML und SOAP den Austausch von Daten aus den Systemen ermöglicht. Sie werden nach vorgegebenen Routing-Regeln zu den entsprechenden Anwendungen weitergeleitet. Konzernmitarbeiter nutzen über den so erschlossenen Datenpool Reporting-Werkzeuge.

Die Anpassung ist einfacher

Im Zuge dieses Prozesses sei deutlich geworden, dass Netweaver tatsächlich mehr sei als die alte My-SAP-Technologie in neuer Verpackung, sagen die Projektbeteiligten. "Erstmals findet sich in der SAP-Welt eine klare Aufteilung in Softwareschichten. Datenbanken, Middleware und Applikationen sind sauber getrennt. Das vereinfacht die Anpassungsarbeit", so Holger Schultz, Consultant bei Gesis, IT-Tochter der Salzgitter Gruppe.

Zum wichtigsten Integrationsbaustein in der Netweaver-Welt hat sich die SAP Exchange Infrastructure entwickelt: Die von Gesis konzipierte E-Service-Plattform basiert auf XML und unterstützt bei externen Transaktionen auch andere Standards. Die offene Technologie erlaubt es laut SAP, auch proprietäre Anwendungen mit verhältnismäßig wenig Aufwand mit dem System zu verknüpfen. Sie arbeitet mit Websphere, J2EE-Plattformen und .Net-Produkten.

"Das brachte vor allem für Design und Monitoring von Schnittstellen dramatische Vorteile", erklärt CIO König. Individuell programmierte, teure Schnittstellen sind die Ausnahme. Mithilfe der Exchange Infrastructure wurden die Systemlandschaft und Datenschnittstellen einheitlich gestaltet. Das erlaubt eine standardisierte Problemanalyse und -behebung. "Durch die Normierungen der Verfahren verschwindet die Abhängigkeit vom Wissen Einzelner", sagt König.

Über eine einheitliche Portaloberfläche greifen heute einige hundert Mitarbeiter auf eine durchgängige Datenbasis zu. Nach dem Single Sign on können sie rollenbasiert Anwendungen in verschiedenen Unternehmensteilen nutzen. Interne und externe Anwender genießen im Rahmen ihrer Rollenfreigabe eine weitgehende Gestaltungsfreiheit.

Der Kunde administriert sich selbst

Entsprechend berechtigte Mitarbeiter externer Gesellschaften können ihren Zugang zur E-Service-Plattform sogar nutzen, um selbst weitere Anwender in ihren Häusern frei zu schalten und ihnen vordefinierte Nutzerrollen zuzuweisen. "Der Kunde administriert sich selbst", erklärt König das Konzept. Nachdem die Leistung des Portals optimiert wurde, lassen sich alle Funktionen mit Analogmodem auch über das Internet nutzen.

Über Zahlen mag König mit Blick auf Netweaver nicht reden. Er erklärt lediglich, die Salzgitter Gruppe könne dank der neuen Plattform schneller als früher reagieren: "So konnten wir zum Beispiel eine Anforderung aus der Automobilindustrie innerhalb von zwei Tagen erfüllen, für die früher zwei Wochen erforderlich gewesen wären." Und er ergänzt: "Wir liegen klar unter unseren geplanten Kostenansätzen." Projektleiter Ingo Lampe von Gesis: "Wir haben ein halbes Jahr Vorsprung auf die eigentliche Terminplanung bezüglich der verfügbaren Funktionalitäten." Er rechnet für die E-Service-Plattform mit 3000 Nutzern in den nächsten sechs Jahren. Bislang spricht nichts dagegen, dass Netweaver auch damit fertig wird.