Karriere-Tipps

Networking für Introvertierte

08.05.2014 von Constantin Gillies
Jede Sekunde muss man neue Menschen kennen lernen, neue Kontakte knüpfen - nur so geht es im Job voran. Doch was ist, wenn man lieber allein ist und bei Smalltalk lieber flüchten will? Wie funktioniert Networking für Networking-Muffel?
Ein Abendessen zu zweit stresst Networking-Muffel viel weniger als Small Talk mit vielen (fremden) Menschen.
Foto: J.K. Deklofenak/Fotolia.de

Was ist das Schlimmste an seinem Job? Bei dieser Frage muss Daniel R. nicht lange überlegen: "Gesetztes Essen mit Kunden”, sagt der 42-Jährige und lacht. Seit fast 15 Jahren arbeitet er in der IT-Industrie, zunächst als Softwareentwickler, später im Vertrieb. Mit dem Aufstieg kam auch eine neue Aufgabe: Networking. Daniel R. muss Messen besuchen, mit potenziellen Kunden anbändeln, bei "Wine & Dine" mitmachen.

Für den eher stillen Manager keine leichte Aufgabe: "Ich bin einfach kein Sozialtier”, entschuldigt sich der studierte Informatiker. Vor allem vermeintlich lockere Umtrünke lösen in ihm Fluchtinstinkte aus. "Alle stehen nur rum und warten darauf, dass jemand etwas sagt - schrecklich." In solchen Situationen greift der IT-Profi manchmal sogar zu Tricks, tut zum Beispiel so, als ob eine Mail auf seinem Blackberry eingetroffen sei. "So kann ich mich wenigstens ein paar Minuten abseilen!", lacht R.

Kommunikationstrainerin Sylvia Löhken: "Man muss nicht extrovertiert sein, um wahrgenommen zu werden."
Foto: Sylvia Löhken

Aber Halt - verstößt das nicht gegen alle Karriereregeln? Schließlich verkünden reihenweise Ratgeber, dass heute jeder Angestellte ein Networking-Weltmeister sein muss - online wie offline. Sonst geht es auf der Karriereleiter garantiert nicht nach oben. Sylvia Löhken findet das nicht. Die 46-Jährige arbeitet als Kommunikationstrainerin in einem "Biotop für leise Menschen”, wie sie sagt. Viele ihrer Kunden kommen aus IT-Abteilungen, Forschungseinheiten und der Wissenschaft. Für diese oft verschlossenen Menschen hat Löhken eine gute Nachricht: "Networking geht auch anders. Man muss nicht extrovertiert sein, um wahrgenommen zu werden.”

Von Gates bis Page: Prominente Networking-Muffel

Beispiele für Networking-Muffel, die es nach ganz oben geschafft haben, gibt es vor allem in der IT-Industrie reichlich: Larry Page, Chef des Milliardenkonzerns Google, gilt als verschlossen, genau wie Microsoft-Gründer Bill Gates. Hundertprozentig scheint der Mythos vom Networking als Karriereturbo also nicht zu stimmen. Das zeigt auch ein Blick auf den Markt für Business-Bücher: Derzeit erscheinen reihenweise Titel, die gegen den allgegenwärtigen Zwang zur Kontaktmaximierung Stimmung machen. Bücher wie "Still” von Susan Cain oder "Networking für Networking-Hasser” versprechen Genugtuung für gestresste Sozialallergiker, die sich fragen "Wie viele Facebook-Freunde brauche ich denn noch?”.

Christoph Thoma von Kienbaum Consultants: Networking-Profis sammeln nicht blind Visitenkarten, sondern laden gezielt zum Essen ein.
Foto: Kienbaum Consultants

Dabei haben die Vitamin-B-Junkies gute Argumente: Schätzungsweise 85 Prozent aller Positionen werden über Beziehungen besetzt. Einsame Wölfe dürften es vor allem in Großorganisationen schwer haben, nach oben zu kommen. Führen also doch nur Happy Hours und Händeschütteln nach oben? Experten widersprechen. "Gute Netzwerker rennen nicht mit der Herde, sondern schaffen sich selbst ihre Plattform”, sagt Christoph Thoma von Kienbaum Consultants. Die Erfahrung des Personalberaters: Networking-Profis sammeln nicht blind Visitenkarten, sondern laden zum Essen ein oder organisieren ein Expertentreffen im kleinen Kreis. "Wichtig ist, dass Sie Mehrwert bieten”, rät Thoma, "die Leute interessiert nicht Ihre Martinsgans, sondern Inhalte - und die Möglichkeit, Beziehungen zu knüpfen”.

Networking für Sozialallergiker bedeutet also, auf Klasse statt auf Masse zu setzen. Nicht die ganze Abteilung wird umgarnt, sondern der eine, interessante Kollegen zum Abendessen eingeladen. Denn nur in solchen Eins-zu-Eins-Situationen könnten Introvertierte ihre Stärken ausspielen, erklärt Coach Löhken, die ihre Erfahrungen mittlerweile sogar in Buchform gebracht hat (Titel: "Leise Menschen - starke Wirkung”). "Wer gut zuhören kann und in die Tiefe geht, bleibt in Erinnerung - nicht nur die lauten Selbstvermarkter.” Dagegen sollten es Introvertierte vermeiden, die Initiative in chaotischen Gesprächssituationen zu ergreifen, Löhken: "Das kostet viel Energie!”

Reicht die Überwindungskraft nur für einen neuen Kontakt pro Monat, sollte die Anbahnung allerdings sitzen. Ein Treffen zum Abendessen etwa bedarf einer minutiösen Planung: Zunächst sollte über Bekannte der Kontakt zur Zielperson hergestellt werden; außerdem gilt es, vor dem Treffen Lieblingsthemen und Lebenslauf zu recherchieren. Wem all das noch zu viel menschlicher Kontakt ist, der kann auch Beziehungspunkte sammeln, indem er zum Beispiel zwischen zwei Menschen in seinem Bekanntenkreis einen Kontakt herstellt.

Doch was ist, wenn das Horror-Szenario trotzdem eintritt, wenn in der Seminarpause wirklich nur noch der Platz am Stehtisch mit völlig Fremden frei ist? Coach Löhken lacht: "Stehtische gehen ja noch, da kann man sich relativ diskret entfernen.” Sie rät Introvertierten jedoch grundsätzlich, sich vom Kontaktdruck frei zu machen. Wer gehen wolle, der solle gehen, so Löhken.

Ein Link ist noch keine Beziehung

Weitere Erste-Hilfe-Tricks für Introvertierte: Wer kurzfristig Ruhe braucht, um den mentalen Akku aufzuladen, kann sich in einen (gepflegten) Waschraum zurückziehen. Schutz vor zuviel Kommunikation versprechen ebenfalls Warteschlangen jeder Art. Denn wer ansteht, braucht nur zwei Gesprächspartner zu bedienen - und die Konversation hat einen fixen Endpunkt. Und noch ein etwas kontra-intuitiver Tipp: Networking-Muffel sollten sich für bestimmte Aufgaben freiwillig melden, zum Beispiel zum Namensschildchen austeilen. So ist die eigene Rolle klar definiert und einen Gesprächsanlass gibt es auch gleich.

Beim Networking im Internet raten Karriereberater übrigens eher zu einer spärlichen Dosierung. Einhelliges Urteil: Es schadet nicht, auf Profiplattformen wie Xing oder LinkedIn mit einem Profil präsent zu sein, weil man so für Headhunter auffindbar wird. Um gezielt Personen zu kontaktieren, sind die aufgebohrten Adressverzeichnisse ebenfalls nützlich. Die Plauderei auf Facebook oder Twitter dagegen bewerten Profis skeptisch. "Ein Link ist ein Link - kein Kontakt und schon gar keine Beziehung”, meint Peter Näf, Karrierecoach aus Zürich. Er hält das berechnende "Freunde”-Sammeln für überbewertet und zieht die Parallele zur realen Welt: "Allein mit einer Partyplauderei wurde noch nie ein Geschäft aufgebaut.”

Erste Hilfe für Networking-Muffel

Gut planen. Sich in einer größeren Gesellschaft zu bewegen kostet Introvertierte viel Energie. Der Stress lässt sich durch gezielte Planung minimieren. Optimales Vorgehen: Vor der Veranstaltung gezielt eine Person herauspicken und dann in einen Dialog verwickeln. Gelingt die Kontaktaufnahme, ist es völlig in Ordnung, danach alleine zu essen und dabei wieder Energie zu tanken. Große Runden, in der viele Gespräche gleichzeitig ablaufen, sollten Introvertierte grundsätzlich meiden.

Dinner für zwei. Das perfekte Networking-Format für leise Menschen: Laden Sie eine (!) Person, die sie interessant finden, zu einem Abendessen ein. Recherchieren Sie vorher Lebenslauf und Lieblingsthemen.

Stärken ausspielen. Introvertierte können gut zuhören und auf ihren Gesprächspartner eingehen. Kultivieren Sie diese Fähigkeiten - denn so bleiben Sie besser in Erinnerung als platte Selbstvermarkter.

Schlange stehen. Eine perfekte Situation für Networking-Muffel: Es gibt maximal zwei Ansprechpartner und das Gespräch hat ein natürliches Ende.

Vermittler spielen. Wer Menschen aus seinem Bekanntenkreis miteinander in Kontakt bringt, kann auch punkten.

Rechtzeitig gehen. Gerade beim Networking gilt: Viel hilft nicht viel. Wenn Sie Ihren Kontakt bearbeitet haben, sollten Sie nicht zögern, nach Hause zu gehen.

Seichten Smalltalk vermeiden. Sie sollten versuchen, ein wirklich substanzielles Gespräch zu starten. Fragen Sie zum Beispiel nicht "Was tun Sie?”, sondern lieber "Was gefällt Ihnen an Ihrem Job am meisten?”.

13 Regeln für Smalltalk
Das Geheimnis des Small Talk
Wir verraten Ihnen die wichtigsten Regeln für einen erfolgreichen Small Talk, damit sie mühelos kommunizieren.
Nur Mut!
Small Talk findet in der Regel nur unter Fremden statt. Aber auch wenn Sie Angst davor haben: ein bißchen Plaudern ist viel leichter als Sie denken!
Der erste Eindruck
Stellen Sie sich sympathisch dar, der erste Eindruck zählt. Aber sehen Sie Small Talk auch als Aufwärmphase. Gerade bei Geschäftspartnern aus anderen Kulturen kommt es nicht gut an, wenn Sie gleich mit der Tür ins Haus fallen.
Nehmen Sie sich selbst zurück
Damit geben Sie Ihrem Gegenüber Raum zum Reden und Sie erhalten oft wertvolle erste Informationen.
Finden Sie Gemeinsamkeiten
Das geht am besten, indem Sie offene Fragen stellen, mit denen Sie Interesse am Gegenüber bekunden.
Potenzielle Themen
Falls Sie sich schwertun, passende Fragen zu finden, beziehen Sie sich einfach auf das Umfeld oder den Anlass der Begegnung. "Wie haben Sie von dieser Veranstaltung gehört?" oder "Über welchen Kontakt sind Sie heute hier?" können der Auftakt zu einem netten Small Talk sein.
Achtung, Tabu-Zone!
Gefährlich wird es bei Gesprächsthemen, die polarisierend wirken wie z.B. Politik oder Religion. Falls Ihr Gegenüber da eine andere Meinung haben sollte als Sie, sind Sie schnell in die Falle getappt. Und hüten Sie sich vor negativen Themen wie verspätete Flüge! Gemeinsam jammern verbindet in den seltensten Fällen.
Halten Sie keine Monologe!
Die Wirkung auf Ihre Zuhörer dürfte absehbar sein.
Hören Sie aktiv und aufmerksam zu.
Ein gelegentliches Nicken oder "ja, ja" zeigt wenig Interesse und Wertschätzung. Hören Sie statt dessen wirklich zu und greifen Sie Informationen erinnernd wieder auf, die Ihr Gesprächspartner erwähnt hat: "Sie sagten vorhin, dass Sie..."
Halten Sie Blickkontakt.
Gerade auf einer größeren Veranstaltung ist die Versuchung groß, die Blicke schweifen zu lassen, um möglichst wenig zu verpassen. Das ist unhöflich gegenüber Ihrem aktuellen Gesprächspartner! Halten Sie deshalb Blickkontakt.
Viele Gesprächspartner
Das Wort 'SMALL Talk' beschreibt es perfekt: Auf größeren Veranstaltungen geht es um kurze Gespräche, um ein erstes Kennenlernen. Nutzen Sie die Möglichkeiten, indem Sie mit vielen verschiedenen Menschen in's Gespräch kommen.
Beenden Sie das Gespräch positiv.
Wie schon gesagt, verbinden negative Themen nur selten und hinterlassen oft einen faden Beigeschmack. Setzen Sie stattdessen einen positiven Schlußpunkt. "Unser Gespräch hat mir viel Spaß gemacht, ich hoffe, wir können es später fortsetzen." kann ein schöner Abschluss sein, wenn Sie es ehrlich meinen.
Small Talk ist zum Netzwerken da.
Beobachten macht Spaß, aber nutzen Sie auch die Chance, Beziehungen zu knüpfen, indem Sie sich aktiv auf die Suche nach neuen Gesprächspartnern machen. Halten Sie deshalb Ausschau nach Gruppen, die offen beieinander stehen oder Menschen, die Ihnen einen längeren Blickkontakt gewähren.
Vorbereitung ist nützlich
Gespräche kommen oft leichter zustande, wenn Sie sich im Vorfeld ein bißchen über Ihren Gastgeber/Ihre Kunden informiert haben.