"Unbundling" in Strom- und Gaskonzernen

Netze entflechten

16.06.2006 von Holger Eriksdotter
Aktuell haben alle Energieversorger das Problem, ihre IT-Prozesse an die vom Gesetzgeber geforderte Trennung der Vertriebs- und Verteilnetze „Unbundling“) anpassen zu müssen.

Berichte über Verbraucherbegehren zur Offenlegung der Gaspreiskalkulation oder steigende Energiepreise sind in den Nachrichten an der Tagesordnung. Der Gesetzgeber will die Energiekonzerne mit Auflagen und Verordnungen zu mehr Wettbewerb und Transparenz zwingen. Für die Versorger bedeutet das nicht nur mehr öffentliches Interesse, sondern auch eine Restrukturierung ihrer internen Prozesse. Auf Ebene der ITSysteme gibt es jedoch noch viele Unklarheiten.

Die vier großen deutschen Konzerne EnBW, E.ON, RWE und Vattenfall, die unter sich 80 Prozent des Marktes und fast die gesamte Netzinfrastruktur aufteilen, haben alle ähnliche Probleme, da sie vergleichbare IT-Systeme einsetzen. Die SAP-Branchenlösung für Energieversorger IS-U ist bei ihnen Standard.

Besonders das nach der Novelle des Energie-Wirtschaftsgesetzes (EnWG) geforderte „Unbundling“, also die Entflechtung von Netzbetrieb und Vertrieb bei Strom- und Gasversorgern, stellt die CIOs der großen
deutschen Energieunternehmen vor Probleme. Betroffen sind Versorgungsunternehmen mit mehr als 100000 Kunden. Das Gesetz ist zum 13. Juli 2005 in Kraft getreten, aber klare Vorgaben für das informatorische Unbundling gibt es bisher nicht.

Grundsätzlich sieht das Gesetz vor, dass die Energieversorger Informationen, die sie als Netzbetreiber über die Kunden ihrer Konkurrenten erhalten, nicht für die Zwecke des eigenen Vertriebs einsetzen dürfen. Denn in Deutschland sind, abgesehen von kleineren kommunalen Versorgern, die Stromproduzenten gleichzeitig die Betreiber der Verteilnetze.Wie aber die Abschottung der Informationen aus dem Netzbetrieb und dem eigenen Stromverkauf genau umgesetzt werden soll, darüber diskutieren die Bundesnetzagentur, Energiewirtschaftsverbände und die IT-Branche derzeit noch.

Anzahl der nötigen Systeme unklar

Bisher beherbergen die Billing-Systeme der Versorger die kompletten Kunden- und Abrechnungsdaten für Netznutzung und Stromlieferung. Ob bei der angestrebten Trennung im Extremfall jedes Unternehmen ein zweites System installieren muss oder ob ein System mit separaten Verträgen und Firmen ausreicht; ob eine abteilungsspezifische Zugangsberechtigung oder eine einfache Dienstanweisung – „Bitte nur die erlaubten Systeme und Daten benutzen“ – die Anforderungen erfüllt, steht noch nicht fest. „Eine Dienstanweisung allein wird wohl auf Dauer nicht reichen“, vermutet Hans Rösch, als CIO für die Informationstechnologie bei Vattenfall Europe verantwortlich. „Eher wird es wohl auf ein Zwei-Vertrags-Modell hinauslaufen. Dafür bedarf es aber noch einiger zusätzlicher Funktionen, die IS-U im Standard jetzt noch nicht bietet“, sagt Rösch und formuliert damit auch die Sorgen der CIOs anderer Energieversorger. Seit Herbst 2004 sitzen die Versorgungsunternehmen in der IDEX-Initiative mit SAP zusammen und diskutieren die Anforderungen an IS-U, die sich aus der Umsetzung des Unbundlings ergeben.

„Die deutsche Energiebranche investiert schon seit einiger Zeit erfolgreich in effizientere Prozesse. Aber die Anforderungen, die auf der IT-Seite aus dem Unbundling resultieren, werden das Einsparpotenzial durch Effizienzsteigerung weit übersteigen und zu höheren IT-Investitionen der Versorger führen“, sagt Zarko Sumic,Vice President Research für die Energiebranche bei der Gartner Group. „Denn das Unbundling“, so Sumic weiter, „führt zwangsweise zu ineffizienteren, redundanten Strukturen und zwingt die Unternehmen darüber hinaus, eine Vielzahl neuer Prozesse aufzusetzen.“ Davon seien alle Bereiche von der Stromerzeugung über die Stromübertragung bis zum Verkauf betroffen.

Für die Integration verschiedener Systeme – in Form zweier separater Systeme oder als Mandanten in einem einzigen ERP-System – werden auf Konzernebene zusätzliche Investitionen in Data-Warehouse- und BI-Systeme für das Reporting erforderlich. Aber nicht nur das Unbundling zwingt zu besseren Berichtssystemen. Denn die Bundesnetzagentur verlangt zudem ein verbessertes Monitoring. Laut einer Studie der Gen Group BV glauben zwar 80 Prozent der betroffenen Unternehmen, dass ihre Controlling-Systeme die Anforderungen der Regulierungsbehörden bezüglich Transparenz und Detailiertheit vollständig oder zum großen Teil erfüllen. Aber nur 25 Prozent der befragten Versorger sind nach dieser Studie auf das Unbundling vorbereitet.

Schon heute müssen die Energieversorger monatlich umfassende Fragebögen mit mehreren hundert Fragen ausfüllen. Noch werden sie per PDF in Dokumentenform verschickt, die Forderung nach einem automatisierten Verfahren ist jedoch absehbar. Parallel dazu sind Meldungen an die andeskartellbehörden und die EUKommission Pflicht, die als europäische Kartellorganisation fungiert.

In vielen Unternehmen allerdings ist nach wie vor Excel der Grundpfeiler von Controlling und Reporting. Ein Data Warehouse als Basis konsistenter Daten wird deshalb immer wichtiger. Gartner-Mann Sumic nennt einen weiteren Grund: „Weil die Stromerzeugung ja zur Zeit des Verbrauchs stattfinden muss – Real-Time-Business im Wortsinne –, sind verlässliche Zahlen für die Kapazitäts- und Bedarfsplanung von essentieller Bedeutung.“

Aber von der Gesetzesnovelle sind nicht allein die Kernsysteme für Billing und BI betroffen: Eine weitere Regelung sieht den Datenaustausch unter Energieversorgern und Netzbetreibern per EDI-Datenformat mit Verschlüsselung und Signatur vor. Der bisher in großen Teilen noch papierbasierte Datenaustausch zwischen den etwa 1000 deutschen Marktteilnehmern soll damit einheitlich geregelt und beschleunigt werden. „Im Sinne der Gleichbehandlung aller Anbieter ist das ein vernünftiger Plan. Natürlich entsteht ein Wettbewerbsvorteil daraus, dass ich innerhalb eines Konzerns in Millisekunden Informationen zwischen Netz und Vertrieb austausche, konzernexterne Vertriebe aber im Extremfall mehrere Wochen auf Vertrags- und Kundendaten warten und diese dann vom Papier wieder erfassen müssen“, sagt Vattenfall-CIO Rösch.

Um einheitliche Bedingungen für alle zu schaffen, plant die Bundesnetzagentur, dass Energiekonzerne intern genauso kommunizieren sollen wie mit externen Partnern, Lieferanten und Netzbetreibern – also per EDI. „Das wäre natürlich eine riesige Herausforderung für die IT und würde neben zusätzlichen Projektkosten auch höhere Aufwände im laufenden Betrieb nach sich ziehen“, sagt Rösch. Allerdings sieht der Entscheidungsvorschlag vor, dass verbundene Unternehmen bestehende Informationsaustausch- und -bereitstellungsprozesse beibehalten können, wenn sie sicherstellen, dass eine vom vorgegebenen Standard abweichende interne Kommunikation keine diskriminierenden Auswirkungen hat. „Das ist natürlich ein bisschen wie die Quadratur des Kreises – trotzdem lohnt es sich wohl eher, das eigene Verfahren wasserdicht zu machen, anstatt Millionen in den Aufbau eines weiteren SAP-Systems zu stecken, das dann intern per EDI kommuniziert“, sagt CIO Rösch.

CRM für Kundenwechsel nötig

Und auch die CRM-Strategien sind betroffen. Denn die heutigen CRM-Systeme der Energieversorger richten sich primär auf die gewerblichen und Industriekunden. „Aber sobald mehr Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt herrscht, dürften die Wechselraten auch der privaten Kunden steigen“, schreiben die Analysten der Experton-Group im Branchennewsletter für die Energiebranche. Das hätte zwangsläufig Investitionen in CRM-Systeme zur Folge.

Nach Schätzungen der Experton-Group beliefen sich die IT-Ausgaben der Energieversorger im Jahre 2005 auf etwa 2,8 Prozent des Umsatzes. Für dieses Jahr prognostizieren sie einen Anstieg auf drei Prozent. Insgesamt 1,2 Milliarden Euro hätten die Versorger 2005 für IT-Dienstleistungen ausgegeben – neun Prozent mehr sollen es in diesem Jahr sein. Für IT-Dienstleister sehen die Experton-Analysten hier Potenzial beim Outsourcing von Infrastruktur und Geschäftsprozessen.