Anonymisierter Fall von Business-IT-Alignment

Neuanfang im Kloster

23.11.2007 von Andreas Schmitz
Vor sieben Jahren begann ein Chemiekonzern in Süddeutschland damit, an einer besonderen "Chemie", nämlich der zwischen Bereichs-informatikern und Zentraler IT, zu arbeiten. Missverständnisse sind nach harten und offenen Auseinandersetzungen heute ausgeräumt. Der neue CIO kann sich auf seine Messinstrumente verlassen.
Mitarbeiter des IT-Managements zogen sich zum Thema Führung in ein Kloster zur Klausur zurück.

Marco Trott* hat wenig Zeit. Analysten sind in die Konzernzentrale gereist, um sich mit dem Top- Management über die Entwicklung der Aktiengesellschaft auszutauschen. "Da muss ich gleich wieder hin", sagt der Ex-CIO, der inzwischen ins Business gewechselt ist. Seit Kurzem ist das Unternehmen an der Börse. Der Kurs hat sich fast verdoppelt, das Tempo beschleunigt: "Und es wird sich weiter beschleunigen - gerade in der IT", prophezeit Trott, der in seinen Jahren als CIO zwischen 1999 und 2005 völlig neue Verbindungen schuf - mit dem besonderen Augenmerk auf das "chemische Gleichgewicht“ zwischen IT und Geschäfts-IT.

Vor sieben Jahren kam Trott aus dem Fernen Osten zurück zum Mutterunternehmen, um die IT zu übernehmen. Kaum war er da, schon kamen Vorbehalte bei den Mitarbeitern auf. Denn es war das erste Mal, dass Manager Trott eine verantwortliche Position im IT-Management übernahm. Deshalb zweifelten die künftigen Kollegen die Kompetenz des neuen Nicht-IT-lers an. Zudem machten Bereichs-ITs, was sie wollten. "Es war ein einziger Albtraum", erinnert sich Trott, "die IT war ein einziger Streithaufen, nur die Lufthoheit über dem Stammtisch war wichtig." Häufig reagieren Führungskräfte hilflos, wenn sie sich in derartigen Situationen befinden. "Die Voraussetzung, um überhaupt etwas in Gang zu bringen, ist, bei den Mitarbeitern ein Problembewusstsein zu schaffen“, so der Rat von Klaus Doppler, der als Coach am neuen Mind-Set dieses Konzerns mitgearbeitet hat. "Das Ziel sollte sein, im Anschluss an den Prozess verbindliche Regeln zu etablieren", sagt Doppler.

Unvorbelasteter Blick aufs Team

Manager Trott hatte das "Glück", unvorbelastet Kopf eines Teams zu werden. Und er sah die Missstände. Ein Beispiel: Als sich der Konzern auf ein gemeinsames Tool für die Kommunikation einigen wollte, entstanden schnell zwei Fraktionen, eine war für Microsoft, eine für Lotus Notes. Es dauerte schließlich ein Jahr, bis über externe Hilfe und eine demokratische Befragung der Mitarbeiter klar war: Die Mehrheit der IT-Mitarbeiter will Microsoft. "In diesem Jahr haben sich die Parteien gegenseitig paralysiert", resümiert Trott.

Veränderungen angehen

Da Entscheidungen ohne hitzige und emotionale Debatten nicht möglich waren, setzte Trott externe Berater und Coaches ein, um "die Entscheidungsprozesse zu objektivieren". Coach Doppler versuchte, in Workshops herauszufinden, wo die Widerstände waren. Die einfache Formel "Je mehr Server in der Verantwortung, desto wichtiger bin ich" galt ab sofort nicht mehr. Die Ausgangsposition war nicht sonderlich gut. "Mit Führungsfragen und Change-Management hatten sich weder die IT-Manager noch sonstige Führungskräfte jemals auseinandergesetzt", konstatiert Trott. Doch gerade bei der Fokussierung auf das Servicegeschäft der IT-Abteilung war es nötig, "bestehende Verhaltensweisen, eingefahrene Trägheiten, Bewertungskriterien und beharrlich ignorierte Probleme aufzubrechen".

Schließlich gingen Repräsentanten der IT-Führung und Bereichsinformatik in einem Kloster in Klausur, um eine Idee einer konstruktiven Zusammenarbeit zu entwickeln und überhaupt eine Vorstellung vom Thema Führung zu bekommen. Ein vom damaligen CIO anberaumtes Kamingespräch mit dem Thema "Führung heute" zeigte seiner Ansicht nach, dass "außer Allgemeinplätzen zum Thema Führung keine weiteren Vorstellungen vorhanden waren". Eine Rose schmückte als Symbol der Verschwiegenheit die massive Holztür zum Diskussionsraum des Klosters. "Es durfte niemandem etwas übelgenommen werden. Das war sehr wichtig", erinnert sich Trott.

Coaching-Tipps. Den Change-Prozes begleiten.

Zwei unterschiedliche Kulturen von Menschen prallten aufeinander. Eine Pinwand nach der anderen schrieben die Bereichsinformatiker voll, um darzustellen, welche Aufgaben sie in der Fachbereichs-IT zu bewältigen haben. Die Zentrale IT hingegen benötigte nur eine Seite. Und schon waren Vorbehalte da: "Die wissen doch gar nicht, was sie tun", hieß es daraufhin, erinnert sich Trott an die damalige Konfrontation. Dennoch gab es nach der Zusammenkunft Konsens in einem wesentlichen Punkt: Die IT muss sich mit den Wünschen der Geschäftsbereiche auseinandersetzen.

"Wir haben die Bereichsinformatiker ins Boot geholt", sagt Trott, "und ihnen Mitspracherecht gegeben." Ohne gemeinsame Entscheidungen hätte das Ziel der Globalisierung der IT in Frage gestanden. In 14-tägigen Jour fixes diskutiert die Bereichs-IT nun mit. Heute spricht der neue IT-Chef von einer IT-Fabrik, die entstanden sei. Je nach den Fähigkeiten der Mitarbeiter wurden sie auf die verschiedenen Bereiche verteilt. Wer "es gut mit den Kunden konnte", orientierte sich in Richtung Business Relationship Management.

Change generalstabsmäßig planen

Die IT-Führungskräfte kamen zu einem Seminar zusammen, um Probleme zu definieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Höchste Priorität bekam die Kundenorientierung. Ein halbes Jahr später (Mitte 2000) dann trafen sich dafür die Bereichsinformatiker mit dem IT-Führungskreis zu einem zweitägigen Workshop. "Die Abwehrhaltung der IT-Manager war fast verschwunden", so der Eindruck von Trott, und man einigte sich auf eine gemeinsame Stoßrichtung für die Konzern-IT - mit dem Willen, eine gemeinsame IT-Strategie auf den Weg zu bringen. Freiwillige Einzel-Coachings begleiteten den Workshop. Das ermöglichte es, auch schmerzhafte Personalgespräche zu führen, da in dem Coach auch "eine neutrale Instanz" zur Seite stand. Offenbar ließen sich so auch Gespräche über Veränderungswünsche führen, was vorher tabu war.

Ein weiteres halbes Jahr später versammelte sich die gleiche Runde zu einem zweitägigen "Diagnose-Workshop mit Feedbackrunden". IT-Führung, Bereichs-IT und Business saßen an einem Tisch. IT-Themen von "Konsolidierung der IT" über "Skill Management" bis zu "Globalisierung der IT" standen an. Hier stellte sich heraus, dass das Business die IT zu 90 Prozent als Verwalter wahrnahm, nicht als Innovator. Mithilfe eines Steering Comittee, so einigten sich die Teilnehmer, wolle man sich künftig besser darüber austauschen, wo die IT das Business besser unterstützen könnte. "Dieser Workshop war die Voraussetzung, dass innerhalb von drei Monaten die neue IT-Strategie stand", erläutert Trott.

Rückschläge verkraften

Im Januar 2002 dann kam es zum Showdown. Der gesamte IT-Führungskreis fand sich zu einem Workshop ein, in dem Mitarbeiter gebeten wurden, der höheren hierarchischen Ebene zu erläutern, wie sie Führung erleben. Das Ergebnis war niederschmetternd: "Wir werden nicht als Team wahrgenommen, Ziele werden unzureichend definiert und verfolgt und zudem als Pflichtübung betrachtet, die Kommunikation über die IT-Strategie lässt stark zu wünschen übrig."

Und doch hatte die langfristige Vorbereitung gewirkt. Eine konstruktive und offene Auseinandersetzung zu Themen wie Team- und Netzwerkfähigkeit in der Führungsebene, Strategien und Visionen oder Mitarbeitergespräche und Zielvereinbarungen waren möglich. Im Sommer 2002 dann, wiederum ein halbes Jahr später, gab es den nächsten Workshop. Diesmal ging es erstmals nicht mehr um Befindlichkeiten, sondern um die fachlich-inhaltliche Fragen, denen man sich schon Jahre vorher stellen wollte .

Und doch hielten sich beharrlich einzelne Blockierer. Zu dem anvisierten Konsolidierungsprozess gehörte auch die größte IT-Sektion "Es kamen enorme Widerstände aus diesem Unternehmensbereich", erinnert sich Trott, der einen weiteren Tag anberaumte, um die Pläne zu vertiefen und zu diskutieren. "Wir brauchen doch keinen ganzen Tag für Diskussionen", beschwerte sich ein Vorstand und wandte sich an den CEO. Daraus entwickelte sich wiederum eine "intensive Konversation" zwischen dem CIO und dem CEO. Die Eskalation in die Chefetage war offenbar dringend nötig - und sie entfaltete Wirkung. Von hier an zeigte sich auch die größte IT-Einheit der Geschäftsbereiche willens, den bevorstehenden Umbau mitzugehen.

Die absolvierten Veränderungen machen Entscheidungen heute einfacher. Das ist der Eindruck, den der neue IT-Chef bei seinem Einstieg bekam. Allerdings geht der IT-Manager auch weiterhin davon aus, dass Veränderungen nie abgeschlossen sein werden. Der CIO: "Der große Umbau, die Revolution, ist gemacht, jetzt folgt die Evolution."

Governance ersetzt Workshops

Damit niemand auf die Idee kommt, man könne wieder in die Zeiten vor dem großen Change zurückfallen, hat die Konzernleitung unumstößliche Governance-Prinzipien geschaffen: "Governance-Meetings ersetzen heute die Workshops", sagt der neue CIO, der sich nun nicht mehr mit den großen Konflikten der Mitarbeiter beschäftigen muss. Das Steering-Komitee trifft sich vierteljährlich. Ein IT-Strategie-Meeting findet zweimal im Jahr statt. Hinzu kommen Jour fixes, in zweiwöchigem Wechsel ein deutscher und ein globaler Jour fixe. "Wir haben die Governance immer mehr operationalisiert", bemerkt der CIO.

So sollte sich künftig niemand mehr beschweren können, dass Themen an einzelnen Bereichen vorbei durchgezogen wurden. Und jene, die immer noch nicht glauben, dass sich das Klima in der IT enorm geändert hat, mögen dem CIO zusehen, wenn er einmal im Jahr seine IT-Mitarbeiter einlädt und sich auf den imaginären "heißen Stuhl" begibt. "Immer mehr Bürokratie in der IT", wirft ein Mitarbeiter dem CIO vor, der erst kürzlich ein Projekt-Management eingeführt hat. Der CIO redet, argumentiert und erläutert. Ein Tumult ist nicht zu erwarten - nicht mehr.

* Name der Redaktion bekannt.