SOFTWARE

Oldie-System hemmt die Bahn

05.11.2001 von Johannes Klostermeier
Mangelhaftes IT-Management kann einen Konzern erstarren lassen. Da die uralte Software „Kurs 90“ nicht in der Lage ist, die innovativen Preiskonzepte des Vorstands umzusetzen, muss die lange geplante Tarifreform der Bahn immer wieder verschoben werden.

BEI DER BAHN spricht man nicht gern darüber. „Das ist eine interne Angelegenheit“, betont Bahn-Sprecher Steffen Felger in Frankfurt. „Solche Fragen beantworten wir nicht, weder am Telefon noch via E-Mail“, mailte Wolfgang Franke, Geschäftsführer der Bonner Firma Tools, die seit 1987 am Projekt Kurs 90 mitarbeitet, dem Reservierungs- und Fahrausweissystem der Deutschen Bahn (DB). Anfang 1988 hat die Bahn ihr inzwischen hoffnungslos veraltetes Buchungssystem eingeführt. Doch noch immer tut es seinen Dienst.

Den Bahnern fällt es schwer, Fehler einzugestehen. Ein interner Bericht, den die Süddeutsche Zeitung im April veröffentlichte, hat für jede Menge Ärger zwischen DB und der Frankfurter TLC (Transport-, Informatik- und Logistik- Consulting) gesorgt, die aus der IT-Abteilung der Bahn hervorgegangen ist.

Zoff gab es, als die Zeitung berichtete, dass die Einführung des neuen Preissystems der Bahn, die bereits von Anfang Juni 2001 auf das zweite Halbjahr 2002 verschoben wurde, erneut in Gefahr sei. Denn die vom Bahn-Vorstand beschlossenen neuen Tarife, die bei der Preisberechnung zum ersten Mal die Auslastung der Züge berücksichtigen sollen, setzt ein völlig neues EDV-Vertriebssystem voraus.

Bahn-Tochter TLC nicht sehr angesehen

Auf der Website der TLC ist zwar zu lesen: „Im Jahr 1988 als Projektführungsgesellschaft gestartet, wurde die TLC von der Deutschen Bahn im Lauf der Jahre mit immer größeren und bedeutenderen Aufgaben betraut.“ In IT-Kreisen ist die TLC jedoch nicht sehr angesehen. „Die Bahn muss ihre Projekte zuerst der TLC anbieten“, sagt ein Insider. „Doch dort herrscht immer noch beamtenmäßiges Denken.“

Der Bahn-Vorstand wollte das neue System ursprünglich „so schnell wie möglich“ einführen. Das technische Risiko, aus dem Stand ein völlig neues Buchungsverfahren für die in Deutschland insgesamt 22 Millionen möglichen Verbindungen einzuführen, erschienen allerdings zu groß. Jetzt will die Bahn bei der Tarifreform an Teile des alten Systems anknüpfen. „Das wird keine völlige Neuentwicklung“, bestätigt ein TLC-Referent. Dennoch sind auch hier die Unwägbarkeiten nicht zu unterschätzen: Wir müssen jede Hand im Konzern finden, die uns hilft, das alte Computersystem an das neue Preiskonzept anzupassen“, zitiert die Süddeutsche Zeitung einen Insider.

Totalausfall des Systems befürchtet

Kurs 90 hat seine beste Zeit lange hinter sich. Es sei ein „Kommunikationsnetz mit erheblichen technischen Risiken“, das eigentlich ausgetauscht werden müsste, hatte der Bahn-Vorstand seinem Aufsichtsrat bereits im März dieses Jahres in einem internen Papier mitgeteilt. Programmiert wurde es in der Sprache „Fortran“, die nur noch wenige Fachleute beherrschen. Eingeweihte fürchten schon lange einen Totalausfall des Systems und die Einstellung der Wartung ab 2003.

Der Einsatz des Software-Oldtimers hat schon heute Folgen. So stellte Stiftung Warentest im August 1999 fest: „Die meisten Fahrkartenverkäufer finden sich nicht mehr zurecht zwischen Guten-Abend-, Schönes-Wochenende- und Twen-Tickets, Spar-, Superspar-, ICE-Superspar-, Surf&Rail- und Rail&Fly-Tarifen.“

Die im Juli dieses Jahres vorgestellten neuen Tarife sollen für die Kunden vieles vereinfachen. Die Kernpunkte der Reform: Wer früh bucht, fährt preiswerter; Spontanfahrer zahlen den vollen Preis. Was für den Kunden einfacher wird, bedeutet für die IT-Experten jedoch eine gewaltige Aufgabe. „Das ist keine triviale Sache“, sagt Pro-Bahn-Sprecher Barth. „Heute werden nur einige Sitzplätze reserviert. In Zukunft muss die Bahn fast jede Verbindung einzeln einbuchen.“

Bei weiteren Verzögerungen ist einen Schaden von knapp einer Milliarde Mark pro Jahr zu befürchten. „Das System kommt im Herbst 2002“, bestätigt denn auch die TLC.

Gesteuert wird das Projekt von einer Gruppe, der auch Vorstandsmitglieder angehören, darunter der Vertriebschef Personenverkehr, Hans Koch. Klar ist: Ein Scheitern wegen mangelhafter IT kann sich der Bahn-Vorstand nicht erlauben. „Das System muss funktionieren, sonst kann die Bahn keine einzige Fahrkarte mehr verkaufen“, sagt Barth. Innerhalb des Konzerns, so meldet Bahn-Eexperte Klaus Ott, gebe es aber große Zweifel, ob der Zeitplan einzuhalten sei. „Etliche Manager befürchten ein Fiasko.“