Führungskräfte erleben ihr Scheitern - Gravierende Überforderung

"Paralysiert aus Angst vor dem Absturz"

01.12.2008 von Nils-Viktor Sorge
Mit den Aktienkursen stürzt auch manche Managerkarriere in den Abgrund. Die Angst vor dem freien Fall macht viele Führungskräfte krank, sagt Topmanagercoach Ulrich Sollmann. Viele müssten ihre Rolle nun radikal überdenken.

Herr Sollmann, die Märkte spielen verrückt, die Unternehmen stürzen in eine Krise. Wie geht es unseren Managern dabei?

Ich stelle eine gravierende Überforderung fest. Es geht damit los, dass Führungskräfte nicht mehr schlafen können. Sie leiden unter Herz-Kreislauf-Problemen und all den anderen klassischen psychosomatischen Symptomen. Ich kenne ein IT-lastiges Unternehmen, in dem der Krankenstand bei 10 Prozent liegt.

In einer anderen Firma fallen in einem hohen Maße Führungskräfte für lange Zeit aus - das ist für das Unternehmen natürlich tödlich, denn in solchen schlanken Firmen gibt es keine Vertreter mehr. Vielen fällt es schwer, am Abend den Griffel hinzulegen. Sie wähnen sich auch in einem materiellen Überlebenskampf. Viele sind abhängig von ihrem Status, ihrer Rolle als Führungskraft. Aber auch von der eigenen Illusion: mehr von demselben, was sie gemacht haben, würde aus der Krise helfen. Sie haben dabei eine tiefe ohnmächtige Angst vor dem Absturz, dem sie auf der Medienbühne und im eigenen Unternehmen beiwohnen. Dessen Element sie sind. Sie sind völlig paralysiert.

Dieses Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
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Wie infiziert die Krise den einzelnen Menschen?

Viele Manager sagen, sie haben keine Zeit mehr, innezuhalten, sich zu besinnen. Das sind klassische Symptome und Ausreden, die sich nun in zugespitzter Form zeigen. Wer davon betroffen ist, hat keine Reserven mehr in der Not. Und gibt das letzte bisschen Selbstverantwortung ab.

Manager erleben ihr eigenes Scheitern. Offen thematisieren sie diese Frage zwar nicht. Es heißt dann eher, der Markt hat sich gegen mich gewendet. Doch tatsächlich müssen viele Führungskräfte sehen, dass sie mit ihrem Latein am Ende sind. Und sie haben keine Möglichkeit mehr, das schönzureden, was passiert ist und welchen Anteil sie daran haben.

Damit spüren sie auch ihre eigene Ohnmacht und ihre Grenzen. Die sind durch die Einbrüche am Markt deutlich geworden. Hinzu kommt die Ohnmacht, dass der Staat Druck macht oder eine Übernahme im Raum steht. Viele Manager werden unter solchen Umständen krank. Krank, statt über das eigene Gefühl von Ohnmacht trauern zu können.

Sind die Führungskräfte für die jetzigen Aufgaben nicht gerüstet?

Manager haben gelernt, Rollen zu spielen. Das haben sie bisher ganz gut gemacht. Es ging darum, die Schraube immer enger zu drehen, Strukturen immer schneller zu ändern. Dabei entstand die Illusion, dass, wenn ich etwas tue, wird es eine positive Wirkung haben. Kleine Misserfolge ließen sich dabei mit kosmetischen Änderungen kaschieren.

Diese alte Rolle ist nun völlig zusammengebrochen. Viele Manager haben tiefe Zweifel an ihrer eigenen Identität. Sie sagen, sie können ihren Leuten nicht mehr in die Augen sehen. Jetzt hat es verheerende Folgen, dass sie nur diese Rolle gespielt, aber nicht gemerkt haben, welches ihr persönlicher Bezug zu ihrem Handeln ist.

Sie fühlen sich nun bloßgestellt. Im Freundes- und Kollegenkreis bekommen sie den Spiegel vorgehalten, durch die Medien gnadenlos. Sie merken auf einmal, dass sie an den Pranger gestellt sind, nach dem Motto: Eure Inkompetenz ist belegt und bewiesen. Sich dem zu stellen, weckt Scham. Die Rollen, die eine trügerische Sicherheit gegeben haben, sind weg. Die Manager sind auf sich selbst zurückgeworfen. Die meisten können mit dieser Scham aber nicht umgehen.

Schämen würde sich auch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, wenn er sich vom Staat helfen lassen müsste.

Das ist eine bemerkenswerte Aussage, denn sie bringt das Dilemma von Managern auf den Punkt. Ackermann weiß um seine Rollenverantwortung, wenn er sich zusammen mit der Kanzlerin für das Hilfspaket einsetzt. Wenn die Rolle es erfordert, müsste man sich helfen lassen. Ackermann spricht zu seinen Führungskräften aus seiner eigenen Verantwortung heraus.

Als Manager sich jetzt und in besonderem Maß verantwortlich zu fühlen, würde im Fall Ackermann heißen: Wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen. Jeder ist jetzt besonders gefordert. Und wir wollen unseren Beitrag dazu leisten und uns nicht auf jemanden anderes verlassen wie beispielsweise den Staat. Das ist vor dem Hintergrund des Schameffekts enorm wichtig.

Viele Führungskräfte versuchen also geradezu krampfhaft, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Wie finden sie aus der persönlichen Krise?

Manager haben brutal durch die Realität mitgeteilt bekommen: Das was ihr gemacht habt, geht nicht auf, ihr seid gegen die Wand gefahren. Euer Wissen hat nicht dazu geführt, dass es allen gut geht. Mit diesen Scherben der Rollenzerstörung klarzukommen, ist ganz schwierig.

Jetzt besteht aber die Chance, dass dem Manager klar wird: Ich muss mir und anderen eingestehen, dass ich nicht auf alles eine Antwort habe. Ich muss mich meinen blinden Flecken stellen. Das unbewusste Nichtwissen muss an die Oberfläche. In den Unternehmen ist es aber ein Tabu gewesen, sich dieser Frage zu stellen. Da galt einfach höher, schneller, weiter.

Wenn ich mir meine Hilflosigkeit aber nicht eingestehe, nicht über sie trauern kann, führt alles was ich tue, in die falsche Richtung. Wenn ein Manager vor eine völlig neue Situation gestellt wird, und das passiert tagtäglich, muss er wie ein Kind wieder staunen lernen, um dann die Situation zu erforschen, zu ergründen. Das ist Lernen, wenn der Manger sich wieder selbst zu hinterfragen beginnt. Die eigenen Grenzen kennenzulernen, bereitet Schmerzen und Zweifel, ist aber zwingend notwendig. Dann können sie sich wieder trauen, sich im Spiegel anzuschauen und müssen nicht mehr das Gefühl haben, die eigenen Kinder müssen sich auf dem Weg in die Schule ihres Vaters schämen.

Was heißt das konkret?

Lehman Brothers hat meines Wissens 50 Psychologen nach der Insolvenz angestellt. Vorstände müssen sich als Gesamtvorstand mit dem Erleben von Scham und Scheitern befassen. Und die Mitarbeiter sollten wissen, dass auch ihre Chefs sich mit solchen Fragen befassen. Dann können Manager wieder glaubwürdig werden. Dann können Menschen wieder Vertrauen in die Manager gewinnen. Gerade dies kann ein wichtiger, überzeugender Baustein des gegenseitigen Vertrauens werden.

Fühlt mancher sich durch die Krise nicht auch befreit? Schließlich ist eine solche Ausnahmesituation die optimale Gelegenheit, die Schuld auf andere zu schieben oder beispielsweise eine harte Sanierung durchzusetzen.

Es ist eine vordergründige Entlastung, wenn man sagen kann, die Welt war so böse, oder die Politiker nehmen mir alles. Oder aber durch eine neue Variation eigener Allmacht zu glänzen versucht. Es ist dann eine persönliche, verinnerlichte Entlastung, wenn man die Dinge annehmen lernt, sich selbst auch im Spiegel anschauen kann und sein Scheitern als Teil von Management akzeptiert. Und den Umstand in Kauf nimmt, dass es morgen wieder genauso sein kann.