ONLINE-AUSSCHREIBUNGEN

Pilotprojekt mit Schrott

05.11.2001 von Marita Vogel
Als erste deutsche Großstadt schrieb Hamburg einen kommunalen Auftrag online aus zur Elektronikschrottentsorgung. Mit Erfolg: Mehr Anbieter als üblich bewarben sich, die Projektkosten sanken, Steuergelder wurden gespart.

HEIDRUN IWEN ist ein pragmatisch denkender Mensch; den Internet-Hype beobachtete die Referatsleiterin der Finanzbehörde in Hamburg zunächst zurückhaltend. Trotz – oder gerade wegen – ihrer ruhigen, sachlichen Art konnte Iwen dann aber im Herbst die erste abgeschlossene öffentliche Ausschreibung per Internet vermelden. „Das war ein voller Erfolg“, sagt sie – und so viel versprechend, dass ab 2002 alle 17 zentralen Vergabestellen der Hansestadt den elektronischen Weg nutzen und insgesamt 130 Millionen Mark online vergeben können. Zu Anfang 2002 soll die Vergabe-Software auch anderen Kommunen angeboten werden.

Ebenso pragmatisch wie die Finanzbeamtin reagierte zunächst der Niederlassungsleiter des Entsorgungsunternehmens Hans Dassler, das an der Ausschreibung mitbot. „Sehr euphorisch sind wir nicht an die Ausschreibung gegangen – aber natürlich sind wir den Neuen Medien gegenüber aufgeschlossen“, beschreibt Michael Brietzke die Einstellung des Hamburger Unternehmens. „Wir wollten es einfach mal ausprobieren.“ Die Mühe hat sich gelohnt: Der 65-Mann-Betrieb setzte sich gegen 16 Mitbewerber durch und erhielt den Auftrag für die Entsorgung von vierzig Tonnen Elektro- und Elektronikschrott.

Ursprünglich wollten 26 Unternehmen an der Ausschreibung teilnehmen, die neben der Online-Bewerbung auch das konventionelle Verfahren auf Papier erlaubte. Nur fünf Bewerber wählten dann allerdings tatsächlich die neue Variante; elf beschritten doch lieber den traditionellen Weg. Iwen über die Gründe: „Bei einigen fehlten die technischen Voraussetzungen, andere hatten Probleme mit ihren Browser-Einstellungen oder dem Druckertreiber oder trauten es sich noch nicht zu.“

Die niedrige Online-Beteiligungsquote widerspricht dem, was manche Marktforscher verkünden: Nach einer Umfrage der Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner wünschen sich zwei von drei Unternehmen, ihre Geschäfte mit dem Staat über Business-to-Business-Marktplätze abwickeln zu können. Durch E-Procurement könnten staatliche Organisationen bis zu acht Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens – das jährlich 500 Milliarden Mark beträgt – einsparen, heißt es dort.

Für Iwen sind diese Zahlen nicht realistisch. „Drei bis fünf Prozent sind vorstellbar – aber auf keinen Fall mehr“, schätzt die 56-Jährige. Diese Kostenreduzierung ergebe sich durch den stärkeren Wettbewerb, der zu niedrigeren Preisen führe. Ein erster Erfolg zeichnet sich jedoch schon bei diesem Pilotprojekt ab: Deutlich mehr Bewerber als üblich hätten sich für die Ausschreibung interessiert. Sogar Unternehmen aus anderen Bundesländern und aus Holland informierten sich, „was bei einer lokalen Ausschreibung sehr ungewöhnlich ist“, stellte Iwen fest. Offensichtlich seien sehr viel mehr Firmen bereit, die gesamten Unterlagen aus dem Netz zu ziehen, als sie sich kostenpflichtig zusenden zu lassen. Einsparungen aus den Prozesskosten erwartet Iwen erst zu einem späteren Zeitpunkt, da zunächst die IT-Infrastruktur angepasst und viele Mitarbeiter geschult werden müssten.

Der Preisvorteil spielte bei den fünf Online-Bietern eine untergeordnete Rolle. Ihr Urteil über den Verlauf der Ausschreibung war dennoch sehr positiv; keiner meldete einen negativen Gesamteindruck. In einer Befragung hoben die Bewerber vor allem Rationalisierungseffekte hervor, die durch die vereinfachte Angebotserstellung entstanden seien.

Zwei von drei Unternehmen möchten ihre Geschäfte mit dem Staat über Business-to-Business-Marktplätze abwickeln.

Positiv bemerkt wurden auch der Wegfall der sonst üblichen Papierberge und die Verkürzung der Abgabezeiten. Diesen Vorteil sehen die Mitarbeiter bei Dassler nicht unbedingt, so Brietzke: „Zunächst mussten wir uns ja mit dem Programm vertraut machen; das hat schon Zeit gekostet.“ In die Gesamtbewertung spielt dieser Faktor aber ohnehin kaum hinein. „Das Verfahren war absolut unkompliziert“, resümiert Ausschreibungsgewinner Brietzke.

Kein Wunder: Den Weg zur Teilnahme hatte die Behörde möglichst einfach gestaltet. Nach einer laut Iwen „viel zu kurzen Ankündigungsphase“ nahmen die Interessenten an einer Informationsveranstaltung teil, in der das Verfahren erläutert wurde. Vor dem Download der Ausschreibungsunterlagen musste eine schriftliche Anmeldung erfolgen. Die Windows-konforme Benutzeroberfläche wurde gewählt, weil sie selbsterklärend arbeitet und in den meisten Unternehmen bekannt sei, so Iwen. Der ausgefüllte Mantelbogen musste per Fax an die Behörde geschickt werden. Das Postfach war nur zu einer bestimmten Zeit geöffnet, der Zugang erfolgte per Passwort. Auf den Einsatz einer elektronischen Signatur (siehe auch Seite 50) verzichteten die Finanzbeamten noch, weil die bisher „weder technisch noch politisch im Lot ist“, so Iwens Einschätzung.

Für die Entwicklung des Projekts „Eva“ (elektronische Vergabe) zeichneten die Dortmunder Software-Firma Materna und der Business-to-Business-Anbieter Healy Hudson aus München verantwortlich. Sie erweiterten die bereits in der Industrie eingesetzte Vergabeplattform um die notwendigen Verdingungsordnungen VOL und VOF (Verdingungsordnung für Leistungen bzw. freiberufliche Leistungen). „Industrie-Erfahrung war uns wichtig“, sagt Iwen; „davon profitieren auch die Bieter.“ Aufgrund der einfachen Handhabung ist sich Dassler-Chef Brietzke sicher: „Beim nächsten Mal werden wir wieder online abgeben.“

Jeder kann online bieten

Um an den elektronischen Ausschreibungen der Hansestadt Hamburg teilnehmen zu können, benötigten die Bieter lediglich

Durch diese überschaubaren technischen Voraussetzungen sollen möglichst viele Unternehmen online mitbieten können.