US-Buchkette Borders

Pleite ohne Online-Handel

25.08.2011 von Hartmut  Wiehr
Der US-Buchhändler Borders hat dicht gemacht, vor allem wegen der Konkurrenz aus dem Web. Analysten gehen von einer Schwäche aller klassischen Retailer aus.

Am Schluss waren es nur noch zwei: Zwei nationale Retail-Ketten, Borders und Barnes & Noble, überall im Land vertreten mit Büchern, Zeitschriften, Schallplatten und DVDs. Anders als man sich das in Europa so vorstellt, hatten diese Läden einen gewissen Charme mit ihren hölzernen Bücherregalen, angeordnet wie in einer Bibliothek, mit Starbuck’s-Cafés zum gemütlichen Bücherstöbern sowie Spielecken für Kinder. Und mit jeder Menge Toleranz für Leser, die sich manchmal den ganzen Tag im Laden herumdrückten, ohne etwas zu kaufen, besonders im Winter. Mit Studenten und ihren Notebooks, die sich wie in einer Uni-Bibliothek aus den gut sortierten Regalen bedienten, um ihre schriftlichen Arbeiten anzufertigen.

Claudia Paul, Pressesprecherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, sieht den deutschen Buchhandel in einer besseren Position als in den USA. Das liege vor allem an der Preisbindung für Bücher.
Foto: Börsenverein

Das war und ist eine Art von Gegenkultur, die Barnes & Noble noch immer am Leben erhält. Und die sicher zum Niedergang einer früheren Generation von kleinen Buchläden um die Ecke oder im Stadtviertel geführt hatte – aber eben ihren eigenen Stil selbst jenseits der großen Städte entwickelt hatte. Nicht zu vergleichen mit den Bücher-Supermärkten, in denen die Tische mit immer den gleichen Bestsellern dominieren, wie es hierzulande von Hugendubel bis Thalia so üblich geworden ist.

Mehr Ausreden als Gründe

Als Gründe für den Untergang von Borders, der Nummer zwei im Retail-Buchhandel der USA, werden genannt: Das nachlassende Interesse am Lesen von gedruckten Büchern, die schwindende Kaufkraft weiter Bevölkerungskreise wegen der noch immer anhaltenden Rezession, die Konkurrenz durch Internet-Angebote, vor allem durch Amazon, und schließlich die immer billigeren E-Book-Reader, für die man sich den Lesestoff aus dem Web besorgt. Außerdem würden die in den USA stark verbreiteten iPads von Apple auch für das Lesen von E-Books benützt.

Alle diese Gründe klingen etwas nach Ausrede. Denn es wird vollkommen vernachlässigt, dass offenbar auch die Geschäftsführung von Borders mit einer gehörigen Portion an Missmanagement an dem Desaster beteiligt war. Borders hatte es nicht verstanden, sich gegen Barnes & Noble abzugrenzen, wo man zum Beispiel eine eigene Tradition von Lesungen und sonstigen Events pflegt und damit eine heute so moderne Community, in diesem Fall von Lesern, geschaffen hatte.

Und der Nook, das Pendant von Barnes & Noble zum E-Book-Reader Kindle von Amazon, ist auf Grund seines niedrigen Preises und der Fähigkeit, E-Books auch in Farbe darzustellen, äußerst erfolgreich. Hier hatte Borders einfach den Trend verschlafen.

Internet und E-Book auf dem Vormarsch

Darüber hinaus muss man laut Faye Landes von Consumer Edge Research berücksichtigen, dass sich der klassische Retail-Markt in den USA grundsätzlich geändert hat – eine Entwicklung, die früher oder später auch auf die europäischen Märkte übergreifen dürfte. Pro Sektor wird es nur noch einen großen Retailer geben, meint Landes.

New York, Unions Square: Einer der großen Buchläden von Barnes & Noble mit einem sehr breiten Angebot, inklusive E-Books.
Foto: Barnes & Noble

Sie erläutert ihre These: "Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es keine Entschuldigungen mehr gibt. Amazon und die Rezession bedeuten, dass es nicht mehr viel Platz gibt für Unternehmen, die nichts vom Retailing verstehen." Heute herrschten Händler vor, die über ein breites Sortiment und eine Verankerung im Internet verfügten. Fast in allen Branchen gibt es nur noch einen großen Anbieter, und diese Entwicklung werde auch auf das Internet übergreifen.

So sei bei Consumer Elektronik fast nur noch Best Buy am Markt vertreten, nachdem 2009 der Mitbewerber Circuit City aufgeben musste. Bei den klassischen Musikläden hat nicht einmal eine einzige große Kette in den USA überlebt.

Bei Schreib- und Bürowaren sowie Computerartikeln gibt es noch drei große amerikanische Ketten – Office Depot, Staples und Office Max. Analysten erwarten für diesen Sektor die nächsten Zusammenbrüche oder Übernahmen. Ähnlich sei die Situation bei Sportartikeln und den großen Drogeriemärkten. Überall machen sich Online-Spezialisten und besonders Amazon als Konkurrenten bemerkbar.

Ein weiterer Faktor ist darin zu sehen, dass die Konsumenten heute informierter und preisbewusster seien, meint Steven Burd von Safeway, wie die Financial Times berichtet. Die Käufer würden sich heute zu 25 Prozent auf jene Familien und Personen verteilen, die nach wie vor als vermögend einzustufen sind, und auf die große Mehrheit von 75 Prozent, die jeden Cent dreimal umdrehe, bevor sie ihn ausgibt.

Der neueste Trend: Fast Fashion mit Forever 21

Flagship Store von Forever 21 in Pasadena, USA: Die Kette expandiert rasant, auch nach Europa.
Foto: Forever 21

Diese Entwicklung lässt sich auch bei dem harten Wettbewerb auf dem Kleidungsmarkt beobachten. Erst kamen Zara oder H&M, die die klassischen Retailer auf diesem Sektor mit ihren Preisen unterboten. Nun ist eine neue Kette mit dem süßen Namen "Forever 21" auf dem besten Weg, neue Preis- und Modemaßstäbe zu setzen. Der amerikanische Retailer ist dabei, nun auch Europa zu erobern und hat in einigen europäischen Ländern die ersten Läden für "Fast Fashion" eröffnet.

Während man in den USA ziemlich klar die Auswirkungen der Borders-Pleite und ihre weiteren Konsequenzen sieht, gibt man sich in Deutschland ziemlich unbeeindruckt. Motto: Deutschland ist nicht die USA.

Foto: Forever 21

So urteilt Claudia Paul, Pressesprecherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, der Standesvertretung der Buchhändler und Verlage: "Die Situation des Buchmarktes in Deutschland und den USA ist nicht vergleichbar. In Deutschland gibt es eine flächendeckende Versorgung der Leser mit Buchhandlungen. In jedem kleinen Ort finden Sie so eine "geistige Tankstelle", an der Sie jedes lieferbare Buch im Normalfall innerhalb von 24 Stunden bestellen können."

Das ist mit Sicherheit nicht der Unterschied zu den USA, denn auch dort gab es ja bis vor kurzem diese flächendeckende Versorgung mit den Hunderten von Filialen von Borders und Barnes & Noble sowie dem überall funktionierenden Versand bis hin zum kleinsten Dorf.

Der Börsenverein weiß das und schiebt deshalb sein Lieblingsargument nach: "Weil es hier die Preisbindung gibt, kostet ein Buch überall in Deutschland dasselbe, egal ob man es beim kleinen Buchhändler um die Ecke oder beim großen Online-Versender kauft." In den USA gebe es – "nicht zuletzt, weil dort keine Buchpreisbindung gilt" – nur vereinzelte Buchhandlungen, die Konzentration sei sehr viel größer als in Deutschland.

Buchpreisbindung rettet deutschen Buchhandel

Allerdings konzediert der Verband, dass es allein im letzten Jahrzehnt auch hierzulande Umsatzverschiebungen vom stationären Sortiment hin zum Internet-Buchhandel gegeben habe. So hatte der Sortimentsbuchhandel 2006 noch einen Umsatzanteil von 54,3 Prozent am gesamten Markt (5,03 Milliarden Euro), und 2010 waren es nur noch 50,6 Prozent (4,92 Milliarden Euro). Im Gegenzug sei der Umsatzanteil des Online-Buchhandels im gleichen Zeitraum von 7,6 Prozent auf 14 Prozent gestiegen.

Thalia setzt bereits auf Online-Verkauf und bietet wie Amazon kostenlosen Versand an.
Foto: Thalia

Von der brisanten Konzentration durch die großen Ketten mit ihrem immer mehr auf Bestseller ausgedünnten Angebot, wie sie in Deutschland vorherrscht, schweigt der Börsenverein vornehm. Keine Parallelen zu den USA? Es wäre nicht verwunderlich, wenn auch hier demnächst ein Buchriese aufgeben müsste, weil er den Trend zum Internet und zu E-Books verpasst hat.