Chronologie des Scheiterns

Politik begräbt IT-Großprojekt Elena

26.07.2011 von Johannes Klostermeier
Der Elektronische Einkommensnachweis sollte Bürokratie abbauen und Meldeverfahren automatisieren. Der Bitkom ist jetzt wütend, Datenschützer jubeln.

Der Elektronische Einkommensnachweis (ELENA) sollte die Wirtschaft entlasten und Verwaltungskosten senken. Eigentlich sollten mit dem System in Deutschland ab 2012 Einkommensnachweise elektronisch mithilfe einer Chipkarte und elektronischer Signatur erbracht werden. Mit dem im Frühjahr 2009 beschlossenen Elena-Verfahrensgesetz wurde nach langer Diskussion eines der größten Datenverarbeitungsvorhaben im Sozialbereich gesetzlich geregelt. Seit Anfang 2010 wurden in der ersten Phase bereits Daten von mehr als 33 Millionen Beschäftigten im Elena-Verfahren gespeichert.

Doch das IT-Großprojekt war seit langem umstritten. Zumindest bei denjenigen, die das Projekt überhaupt kannten. Denn CIO.de meldete Anfang April 2010: Kaum jemand kennt Elena. 40 Prozent der Arbeitnehmer, so eine Studie der Forschungsgruppe Wahlen der kannte die neue elektronische Meldepflicht gar nicht.

Äußerte früh Zweifel an Elena: der ehemalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).
Foto: BMWi/Ossenbrink

Im April 2010 meldete sich der Anbieter von Beratung, Büro- und Verwaltungsdienstleitungen Ultimo in dem Artikel Mehr Bürokratie, Kosten und Aufwand mit Kritik zu Wort: „Elena macht Lohnbuchhaltern und Unternehmen die Arbeit schwerer, hieß es. „Lohnbuchhalter und kleine und mittlere Unternehmen klagen über Elena. Die Vorteile bleiben aus, die Arbeitsbelastung und die Kosten steigen.“ Dabei sollte der elektronische Entgeltnachweis doch eigentlich vieles einfacher machen.

Die Meldung von Daten durch die Arbeitgeber erfolgte seit dem 1. Januar 2010, im Juli 2010 wankte das Projekt schon deutlich: „Der Wirtschaftsminister will das Projekt aussetzen. Vielleicht für immer. Deutscher Städtetag und Datenschützervereinigungen freuen sich, der Bitkom ist sauer über eine ‚Hü-Hott-Politik! hieß es in dem Artikel Lohnmeldeverfahren Elena vor dem Aus?. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle verkündete damals gegenüber dem „Handelsblatt“, er wolle das Verfahren auf unbestimmte Zeit aussetzen: „Wir müssen verschärft über ein Moratorium nachdenken“, sagte er. Brüderle bezweifelte, ob das neue Verfahren tatsächlich die angestrebten Entlastungen von 85,6 Millionen Euro jährlich für die Arbeitgeber erzielen könne.

Im April dieses Jahres tauchte Elena dann auf der Mängelliste im 23. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2009 und 2010 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, auf. CIO.de berichtete in dem Artikel „Die Datenschutz-Mängelliste“. Schaar wies darauf hin, dass das Verfahren kontrovers diskutiert werde und Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sei.

Nun heißt es in einer Presserklärung des Wirtschaftsministerium und des Ministeriums für Arbeit und Soziales kurz und knapp, man habe sich „nach eingehender Überprüfung des Elena-Verfahrens darauf verständigt, das Verfahren schnellstmöglich einzustellen.“ Grund sei „die fehlende Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur“. Es habe sich gezeigt, dass sich der datenschutzrechtlich gebotene Sicherheitsstandard in absehbarer Zeit nicht flächendeckend verbreiten werde. Hiervon hänge aber der Erfolg des Verfahrens ab.

Alle gespeicherten Daten werden wieder gelöscht

Der BvD fordert, die Beantragung von Sozialleistungen zu vereinfachen.
Foto: Fotolia, D. Lyson

Die bisher gespeicherten Daten würden „unverzüglich gelöscht und die Arbeitgeber von den bestehenden elektronischen Meldepflichten entlastet“. „In Kürze“ wolle man einen Gesetzentwurf dazu vorlegen sowie ein Konzept ausarbeiten, um die bestehende Infrastruktur und das Know-how für ein einfacheres und unbürokratisches Meldeverfahren in der Sozialversicherung weiter zu nutzen.

Es bleibe ab zu warten, wie die bereits bestehende Elena-Struktur weiter genutzt werden könne, meint der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) e.V. in einer Stellungnahme dazu. Statt ein kompliziertes Melde- und Antragsverfahren übertragungstechnisch vereinfachen zu wollen, fordert der BvD mit Sitz in Berlin die Beantragung von Sozialleistungen zu vereinfachen. Die angabepflichtigen Daten für die Verfahren seien zu reduzieren. Es sei darüber hinaus zu prüfen, zu welchen Zwecken solche Meldungen benötigt würden.

Der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands begrüßte die Einstellung. Das Elena Verfahren sei unverhältnismäßig, eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung, trage das Risiko des Datenmissbrauchs in sich und wecke Begehrlichkeiten. Auch seien grundlegende Datenschutzprinzipien nicht erfüllt gewesen. Die Kosten für die bundesweite Einführung und Umsetzung seien explodiert, der bürokratische Aufwand habe zu statt abgenommen, so der BvD.

Es seien ausnahmslos Daten von jedem Beschäftigten (Gehalt und Gehaltsbestandteile, Fehlzeiten, die Wochenarbeitszeit, Streiktage, Anzahl unbezahlter Urlaubstage, bei Kündigung auch die Hintergründe der Kündigung) auf Vorrat gespeichert worden. Unabhängig davon, ob ein Beschäftigter jemals einen Antrag auf Sozialleistungen stellt, noch welche Sozialleistung er einmal beantragt. Es fehlte ein konkreter Verwendungszweck. Es habe lediglich das abstrakte Ziel gegeben, Anträge auf Sozialleistungen elektronisch abzuwickeln und so das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Investitionen der Wirtschaft waren umsonst

Bitkom-Präsident Dieter Kempf schimpft über die "aktuelle Hüh-Hott-Politik".
Foto: Datev

Der Lobbyverband der IT-Industrie Bitkom kritisiert hingegen den Stopp des elektronischen Entgeltnachweises. Ihr neuer Präsident Dieter Kempf kommentierte: „Der Praxisbetrieb von Elena hat keinerlei Erkenntnisse zutage gefördert, die nicht vor dem Start dieses Systems bekannt gewesen wären. Es erstaunt uns, dass man mit großem Aufwand und nach langer Vorbereitungszeit ein modernes Verfahren einführt und dann handstreichartig wieder beendet. Anstatt das Rad zurückzudrehen, hätte man besser den Umfang der einzusammelnden Daten kritisch überprüft und Verbesserungen im laufenden Betrieb vorgenommen, wie das bei Technologieprojekten üblich ist.“

Die Wirtschaft habe im Vertrauen auf ein Bundesgesetz viel in Elena investiert. Diese Investitionen der Wirtschaft, aber auch jene der Verwaltung zum Aufbau der Elena-Infrastruktur, seien nun obsolet. Kempf dazu: "Noch schlimmer, die Wirtschaft trägt jetzt auch noch den Aufwand des Rückbaus."

Bitkom-Präsident Kempf ist erkennbar wütend auf die Politik: „Wir konnten in den letzten Jahren mehrfach beobachten, wie mit großem Aufwand Technologieprojekte eingeführt und dann plötzlich gestoppt wurden. Deutschland hinkt anderen Ländern im E-Government um Jahre hinterher und befindet sich im internationalen Vergleich auf einem beschämenden Platz im hinteren Mittelfeld. Die Verwaltung sollte schnellstmöglich und umfassend modernisiert werden“, schimpft er.

Ob der Stopp von Elena wirklich zu einem Menetekel für zukünftige IT-Großprojekte wird oder ob es nicht ganz spezifisch an den unglücklichen Umständen des spezifischen Projektes lag, das wird wohl erst die Zukunft zeigen.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.