Mängel werden zwar erkannt, aber unzureichend bekämpft

Projekte scheitern am Anforderungs-Management

25.09.2008 von Nicolas Zeitler
Immer noch schlagen IT-Projekte fehl, weil die Anforderungen vorab unzureichend geklärt werden. Oft entstehen Schwierigkeiten aufgrund missglückter Kommunikation, wie eine Studie der Fachhochschule St. Gallen zum Requirements Engineerung zeigt.

Mit dem Requirements Management in seinem Unternehmen ist nur jeder vierte Teilnehmer einer Umfrage der Fachhochschule St. Gallen zufrieden. Dennoch packen die meisten das Übel nicht an der Wurzel an. Spezielle Fachleute bilden nur drei von vier Unternehmen aus, etwas weniger noch stellen Requirements Engineers gezielt ein. Eine eigene Fachlaufbahn für dieses Gebiet gibt es der Studie zufolge nur in jedem zehnten Betrieb.

Nachholbedarf beim Requirements Engineering
Workshops sind der Standard bei der Ermittlung von Anforderungen an eine IT-Lösung. Andere Kreativtechniken kommen seltener zum Einsatz.
Wie stellt sich Ihr Unternehmen zum Thema Requirements Engineering? fragten die St. Gallener Wissenschaftler. Nur ein Drittel der Firmen befasst sich eingehend damit.
Frauen hält Studienautorin Ott für besonders geeignet fürs Anforderungsmanagement. Ihr Anteil in diesem Bereich ist allerdings gering.
In mehr als der Hälfte der Firmen ist das Anforderungsmanagement rein auf der IT-Seite angesiedelt.
Mangelnde Kommunikation ist eine häufige Fehlerquelle beim Requirements Engineering.
Studienleiterin Devamani Ott wünscht sich ein professionelleres Anforderungsmanagement. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es in vielen Firmen allerdings keine gezielte Förderung entsprechender Fachleute gibt.

Unter Requirements Engineering verstehen die Forscher um Projektleiterin Devamani Ott das Erheben, Dokumentieren, Prüfen und Verwalten der Anforderungen an IT-Lösungen. Mancherorts scheint dieser Begriff noch überhaupt nicht angekommen zu sein. So berichtet Ott von Rückfragen sogar von Projektleitern, die mit dem Terminus nichts anzufangen wussten.

Fast ein Drittel der Befragten verwendet auf das Anforderungsmanagement - so die halbdeutsche Übersetzung - höchstens zehn Prozent des Volumens an einem IT-Projekt. Gleichzeitig sehen 77 Prozent der Umfrageteilnehmer einen der Hauptgründe dafür, dass sich in laufenden Vorhaben die Anforderungen verändern, in missglückter Verständigung zwischen den Beteiligten.

Auch die Frage, welche Anspruchsträger in die Vorbereitung eines Projekts einbezogen werden sollen, wird offenbar vielerorts stiefmütterlich gehandhabt. In mehr als einem Drittel der Firmen gibt es eine überlegte Auswahl und Analyse von Stakeholdern nicht. In weiteren 30 Prozent der Fälle entfällt auf diesen Schritt nur ein Personentag.

Die Qualität des Anforderungsmanagements zu erhöhen, versuchen der Umfrage zufolge 34 Prozent der Firmen. Allerdings sagen auch 22 Prozent, andere Fragen wie Sicherheit oder Business Intelligence spielten im Unternehmen eine wichtigere Rolle. Dass das Thema bei ihnen nicht mit Schwierigkeiten behaftet sei, gaben nur drei Prozent der Befragten an.

Frauen unterrepräsentiert

Studienleiterin Ott will im Requirements Engineering speziell eine Lanze für Frauen brechen. Sie seien wegen ihrer Stärken im "vernetzten und komplexen Denken" besonders gut dafür geeignet - und gleichwohl, wie grundsätzlich in der Informatik, unterrepräsentiert. So arbeiten bei 16 Prozent der Firmen gar keine Damen im Anforderungsmanagement, in jedem dritten Betrieb beträgt der Frauenanteil in diesem Bereich bis zu zehn Prozent. 15 Prozent der Befragten machten zu dieser Frage keine Angabe.

In mehr als der Hälfte der Betriebe sind Fachleute für das Anforderungsmanagement auf der IT-Seite angesiedelt, bei einem guten Drittel auf der Fachseite. Eine unabhängige Einheit für diese Zuständigkeit gibt es nur in vier Prozent der Firmen.

Workshops und Analysen

Um die Anforderungen an eine neue IT-Lösung zu erheben, setzen die meisten Betriebe auf Workshops. Neun von zehn Firmen veranstalten derartige Runden. Für fast genau so viele Unternehmen dient die Analyse bestehender Systeme oder von früheren Anwendungsfällen dem Herausarbeiten der Anforderungen.

Bei der Auswahl der Beteiligten, die ihre Interessen in ein Projekt einbringen, achten fast alle Firmen auf deren Fachkompetenz. In mehr als acht von zehn Betrieben entscheidet auch die Entscheidungsbefugnis darüber, ob jemand mitreden darf oder nicht. Weiche Faktoren wie Kommunikations-Fähigkeiten oder soziale Kompetenz spielen hingegen in der Mehrzahl der Fälle keine Rolle.

Bei der Prüfung von Anforderungen kommt es in mehr als drei von vier Firmen immer oder häufig zu sprachlichen Fehlern: Es treten Un- oder Missverständnisse auf. Widersprüche und Redundanzen machen 75 Prozent der Firmen beim Anforderungsmanagement zu schaffen. Zu inhaltlichen Fehlern kommt es fast genau so oft. Devamani Ott macht dafür unter anderem das Naturell vieler Mitarbeiter in der IT verantwortlich: Sie sähen die Beschäftigung mit Sprache häufig nur als "Zeit- und Geldverschwendung an und geraten schon beim Schreiben von Urlaubspostkarten in akuten Formulierungsnotstand", wettert die Studienautorin.

Wenige arbeiten mit UML

Möglicherweise entstehen manche Fehler auch, weil das Kommunikationsmedium falsch gewählt wird. Die natürlichsprachliche Beschreibung von Anforderungen ist in 94 Prozent der Betriebe immer oder oft das Mittel der Wahl. Auch Tabellen werden häufig eingesetzt. Methodische Darstellungsformen, etwa auf Grundlage der Modellierungssprache UML (Unified Modeling Language) sind zwar vielen bekannt, werden aber derzeit nicht von vielen regelmäßig eingesetzt.

Die Prüfung von Anforderungen wird in vielen Unternehmen erschwert durch knappe Zeitvorgaben. Um die 80 Prozent leiden darunter immer oder häufig. Fast ebenso viele geraten bei der Prüfung in Schwierigkeiten, weil der Umfang der IT-Systeme so groß ist.

Das "Requirements Engineering Barometer" basiert auf einer Online-Umfrage des Instituts Instituts für Informations- und Prozessmanagement der FHS St. Gallen. 80 Firmen aus dem deutschen Sprachraum nahmen teil; gut die Hälfte ist in der Informatik- und der Finanzdienstleistungsbranche tätig. Bei 43 Prozent der Teilnehmer arbeiten mehr als 1.000 Angestellte. Beantwortet haben die Umfrage zum großen Teil IT-Projektleiter, Requirements Engineers und fachliche Projektleiter oder Führungskräfte.