Kai Gottschlich

Richtig gelandet

01.09.2003 von Andreas Schmitz
Als Schüler hat er Flugzeuge fotografiert, als Student hat er sie abgefertigt. Thema seiner Diplomarbeit: das ticketlose Fliegen. Heute feilt Kai Gottschlich, IT-Chef der Chartergesellschaft Air Berlin, an Buchungs- und Speichersystemen - damit andere preiswert um die Welt fliegen können.

Wie so viele Diplomarbeiten verschwand auch die von Kai Gottschlich zunächst im Regal. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin hat er vor sieben Jahren bei der Fluggesellschaft Deutsche British Airways (dba) seine Diplomarbeit geschrieben. Titel: "Ticketless Air Travel". Der 35-Jährige zieht das Werk aus dem Regal und entfaltet auf vier DIN-A4-Doppelseiten die für die Umsetzung des ticketlosen Fliegens bei einer Airline nötige Prozesskette. Die ist seit einem Jahr bei Air Berlin im Einsatz.

Gottschlich ist damit nach eigener Auskunft Vorreiter im Charterverkehr - so wie mit vielen anderen Systemen, die dem Kunden das Buchen von Flügen erleichtern sollen. Bei Air Berlin (Umsatz 2002: 696 Millionen Euro, Gewinn/ Verlust: keine Angaben; 1800 Mitarbeiter) machte er als Erster überhaupt Buchungen für One-Way-Flüge möglich, die Bezahlung per Lastschriftverfahren und die Online-Sitzplatzreservierungen (für acht Euro Aufschlag). Beim Hannoveraner Reiseunternehmer TUI (Umsatz 2002: 20,3 Milliarden Euro, Verlust: 5,4 Milliarden Euro; 70300 Mitarbeiter), seinem vorherigen Arbeitgeber, waren ihm dafür die Entscheidungswege zu lang.

"Nur sechs Wochen haben wir für die Umsetzung des neuen Ticketkonzepts gebraucht", sagt Gottschlich, froh über die schlanke Struktur seines Verantwortungsbereichs. Als er im März 2000 zur damals sechsköpfigen IT-Mannschaft bei Air Berlin stieß, war er noch anderes gewohnt. Als einer von mehr als 20 Mitarbeitern hatte er bis dahin in der Prozessorganisation von TUI gearbeitet. "Die TUI ist strukturiert wie eine Behörde", urteilt Gottschlich heute.

Jonglieren mit Altlasten

Als sein Ex-Kollege Dirk Göllner Assistent von Air-Berlin-Geschäftsführer Achim Hunold wurde, holte er Gottschlich nach. "Der Überblick in Sachen IT-Management fehlte bis dahin", erinnert sich Gottschlich. Mit Hunold hat der IT-Manager einen Chef, mit dem er auf Augenhöhe diskutieren kann. Das erste Verkaufssystem programmierte Hunold Anfang der 90er-Jahre selbst. Als die USA im November 1989 die Lufthoheit über Berlin abgaben, kaufte der Autodidakt die bis dahin vom Amerikaner Kim Lundgren geführte Airline. Mit der bestehenden Flotte bot Hunold dann außerordentlich günstige Flüge an - etwa für 29 Euro nach London, Rom oder Zürich.

"In Zukunft wollen wir noch unabhängiger werden", beschreibt Gottschlich das Ziel von Air Berlin. Derzeit dominieren noch die Reiseveranstalter das Geschäft; doch bald soll das Online-Geschäft zur tragenden Säule werden, ohne dabei die anderen Vertriebswege zu vernachlässigen. "Wir haben den entscheidenden Vorteil, auf mehreren Beinen zu stehen, während Billigfluganbieter wie zum Beispiel Ryanair, Hapag-Lloyd-Express oder Germanwings ihren Verkauf hauptsächlich über das Internet abwickeln."

Alle Buchungsvorgänge docken über ein automatisiertes Verteilsystem an die zentrale Bestandsliste an. Die ist das Lieblingsinstrument des Airline-Chefs Hunold: "Mithilfe von Citrix schaut er ständig auf die Netzwerke", verrät Gottschlich. Irgendwie omnipräsent sei er, der Besitzer, ein Verkaufsgenie, das seiner Nase folge. In diesem Punkt treffen sich die Talente von Hunold und Gottschlich. Zwar müsse er seine Zahlen beisammenhaben, so Gottschlich; doch liege der Grund für den gemeinsamen Erfolg vor allem darin, aus dem Bauch heraus zu entscheiden, Trends zu erspüren. Dazu zählt auch das ticketlose Fliegen. Um ans Gate vorgelassen zu werden, sind am Flughafen nur die Buchungsnummer und der Personalausweis nötig. Seine Diplomidee wurde damit realisiert - "mit einem gewissen Mut zur Lücke", wie Gottschlich hinzufügt.

Rekordinvest in Speichernetz

Die längste Diskussion mit Hunold hatte der IT-Chef kürzlich wegen des Speichernetzes, ein Storage Area Network (SAN), das er Air Berlin "verordnen" wollte. Ausgestattet mit sechs Web Servern und einem Load Balancer, der die Last auf die Server verteilt und Lastspitzen besser abfedert, sollte es zwei Millionen Euro kosten. "Das war eine nie da gewesene Investition für die IT", sagt Gottschlich. Anfang des Jahres begann das Projekt, der wichtigste Teil, das Blank-System, ist seit Mai ins SAN eingebunden. Die Projekte werden größer, mit Air Berlin wächst auch die IT-Abteilung. Heute sitzen 450 Kollegen in der Zentrale in Berlin-Tegel, 34 in der Systembetreuung und dem Helpdesk-Bereich, für den Gottschlich noch sechs Experten sucht. 1800 Mitarbeiter sind insgesamt für Air Berlin im Einsatz gegenüber 1350 im Jahr 2000. Deshalb der Umzug vom hinteren Teil des Hauses 2 im Air Bureau Center in Berlin-Tegel in den vorderen.

Einige Bodenplatten im neuen Server-Raum sind noch nicht verlegt, die darunter liegenden, bunt ummantelten Glasfaserkabel noch zu sehen. An den Wänden in den Fluren lehnen gerahmte Fotografien von Flugzeugen - Gottschlichs Fotos. Schon zu Schulzeiten in Düsseldorf lief er zum Flughafen hinüber und fotografierte im Morgengrauen Flugzeugflossen. Nachdem er 1990 für 38 Mark Miete im Monat in den Berliner Osten gezogen war, vergaß er Düsseldorf schnell - nicht aber seine Leidenschaft fürs Fliegen. Drei Jahre lang arbeitete Gottschlich parallel zum Studium für verschiedene Airlines in der Abfertigung in Berlin-Schönefeld.

Zum (Mit-) Fliegen kommt Gottschlich derzeit kaum: "Mehr als zwei Wochen Urlaub am Stück habe ich nicht." Deshalb bucht er seinen nächsten Flug fürs Wochenende: nach Rom; Internetkunden bezahlen dafür nur 29 Euro. Und weil es für Mitarbeiter von Fluggesellschaften noch etwas günstiger als günstig ist, nimmt Gottschlich seine 33 IT-Kollegen gleich mit - ticketlos, versteht sich.