Sahra Wagenknecht im Interview

"Roboter und KI könnten uns von Mühsal und Stress befreien"

19.10.2016 von Jan-Bernd Meyer
Sahra Wagenknecht, die gemeinsam mit Dietmar Bartsch den Fraktionsvorsitz der Partei DIE LINKE bildet, hat auf unsere Fragen zur Digitalisierung, Automatisierung und Roboterisierung der Gesellschaft Antworten gegeben, die überraschen. Wirklich bedrohlich scheint sie die technischen Umwälzungen übrigens nicht zu finden.

Als wir sie interviewen wollten, war das Abstimmungsergebnis über den Brexit gerade mal ein paar Stunden alt. Damit war klar, dass das politische Berlin Kopf stehen wird und Politiker vom Rang einer Sahra Wagenknecht nicht abkömmlich sein würden. Die Fragen der COMPUTERWOCHE zur Digitalisierung, Automatisierung, zur Roboterisierung oder etwa zum bedingungslosen Grundeinkommen hat sie später dann aber doch beantwortet.

Sahra Wagenknecht ist Fraktionsvorsitzender der Partei DIE LINKE im Deutschen Bundestag.
Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Technikentwicklung vernichtet keine Jobs

Nicht wenige Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und eben der Politik bezeichnen die durch die technischen Entwicklungen in der IT-Branche angestoßenen Veränderungen in der Arbeitswelt und in Gesellschaften mindestens als Evolution, eigentlich aber als Revolution. So etwa die beiden in Oxford tätigen Wissenschaftler Michael Osborne und Carl Frey. In ihrer Studie "The Future of Employment" zeichneten sie ein düsteres Bild: Sie hatten, bezogen auf die USA, 702 Berufsfelder untersucht und sich gefragt, wie gefährdet diese durch den Einsatz automatisierter Systeme, Roboter etc. sein würden. Nach Osborne und Frey werden 47 Prozent der amerikanischen Arbeitsplätze in den kommenden 20 Jahren verschwinden.

Mittlerweile gibt es diverse andere Untersuchungen, die diese Entwicklung ebenso sehen. Ähnliches Bild in Deutschland: Eine Gruppe von Wissenschaftlern um den Ökonomen Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim glaubt, dass 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland einer Arbeit nachgehen, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit im Zeitrahmen von 20 Jahren digitalisieren oder automatisieren lässt.

Wissenschaftler wie Michael Osborne und Carl Frey, aber etwa auch das World Economic Forum rechnen vor, dass durch die Digitalisierung, Automatisierung und Roboterisierung der Arbeitswelt millionenfach Arbeitsplätze verschwinden. Sahra Wagenknecht hält das für einen Irrtum.
Foto: Everett Historical - shutterstock.com

Was will DIE LINKE unternehmen, um diese Entwicklung bezüglich der Arbeitsplätze abzufedern?

Sahra Wagenknecht: Es ist ein beliebter Irrtum zu glauben, dass die technologische Entwicklung Arbeitsplätze vernichtet. Die Organisation von Arbeit ist eine gesellschaftliche Angelegenheit. Wenn wir dank moderner Maschinen für die Produktion von Lebensmitteln und anderen Waren weniger Zeit brauchen, dann eröffnet das doch schöne Perspektiven: Die Leute könnten für den gleichen Lohn fünf statt acht Stunden täglich arbeiten. Dann hätten sie mehr Zeit für ihre Familie und ihre Freunde, für Sport oder Kultur, für ein gutes Buch oder für Politik.

Gerade im Bildungs- und Gesundheitswesen gibt es außerdem einen riesigen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Es ist dem Kapitalismus geschuldet, dass dieser Bedarf nicht gedeckt wird und technischer Fortschritt dazu beiträgt, dass Menschen arbeitslos werden. Unternehmen haben kein Interesse an Vollbeschäftigung, da es die Löhne drückt, wenn die Leute verschärft um Arbeitsplätze konkurrieren müssen.

Dagegen wird DIE LINKE sich an der Seite der Gewerkschaften immer dagegen wehren, dass Menschen ihre Erwerbsarbeit verlieren und daraufhin sozial abstürzen. Man kann Beschäftigte ja auch umschulen und neue Arbeitsplätze für sie schaffen. Oder man kann sie ohne Abschläge früher in den Ruhestand schicken. Zentral ist letztlich der Kampf um Verkürzung der gesellschaftlichen Arbeitszeit: Wenn dank Automatisierung und Digitalisierung die Arbeitsproduktivität in einer Gesellschaft steigt, sollte dies zu mehr Freizeit und Freiheit für alle Menschen führen. Darüber hinaus werden wir als LINKE natürlich Druck machen, dass die Arbeitsverhältnisse in der digitalen Wirtschaft sozial reguliert werden. Es muss selbstverständlich werden, dass es auch dort Betriebsräte gibt und dass anständige Tariflöhne und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.

Sinnvoll: das bedingungslose Grundeinkommen?

Diskutiert man heute die möglichen Folgen der technischen Entwicklungen, die sich mit KI/AI, selbstlernenden Systemen in neuronalen Netzen etc. ergeben könnten, wird gerne der ersatzlose Arbeitsplatzverlust von Menschen angesprochen. In die gleiche Kerbe schlug das World Economic Forum (WEF) in seiner Studie "The Future of Jobs" im Januar 2016. Durch die Digitalisierung und den Einsatz von Robotern würden bis zum Jahr 2020 sieben Millionen Arbeitsplätze weltweit überflüssig werden.

Dem stünden lediglich zwei Millionen neu geschaffene Jobs gegenüber. Im Saldo fallen nach dieser Berechnung fünf Millionen Arbeitsplätze in den Industrieländern weg. Auch diese Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass es nicht nur Fabrikarbeiter, sondern auch "Weiße-Kragen"-Jobs treffen wird. In der Folge diskutierte das WEF im Januar 2016 über ein bedingungsloses Grundeinkommen, das Wagenknechts Parteikollegin Katja Kipping auch fordert.

Wie ist Ihre Haltung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen als Antwort auf die Veränderungen durch die Digitalisierung?

Sahra Wagenknecht: Statt jene Beschäftigte, die von Unternehmen als überflüssig definiert werden, mit einem Almosen zu versehen, sollten wir besser für gute Arbeitsplätze und kürzere Arbeitszeiten für alle kämpfen. Arbeit ist ja auch mit sozialen Kontakten, mit sozialer Anerkennung und Selbstbestätigung verbunden - all das steht auf dem Spiel, wenn Menschen aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt werden. Trotzdem kann ich natürlich gut verstehen, dass Leute, die sich in miesen Jobs abrackern müssen, die vom Jobcenter schikaniert werden oder die Probleme haben, als Selbstständige über die Runden zu kommen, sich zur Absicherung ihrer Existenz ein bedingungsloses Grundeinkommen wünschen, das ohne bürokratische Hürden einfach an sie ausgezahlt wird.

Doch die Sache hat aus meiner Sicht ein paar Haken. Zwar bin ich natürlich dafür, dass die derzeitige soziale Grundsicherung deutlich angehoben wird. Vor allem müssen all die Sanktionen, die zu Kürzungen der Grundsicherung führen und damit Leute in unwürdige Arbeitsverhältnisse drängen, endlich abgeschafft werden. Ein nicht am Bedarf orientiertes, sondern bedingungsloses Einkommen birgt aber das Risiko, dass die Löhne flächendeckend gedrückt und die Kräfteverhältnisse noch mehr zugunsten des Kapitals verschoben werden. Denn jeder Lohn hätte ja den Charakter eines Zuverdienstes zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die Bereitschaft, für drei oder vier Euro Stundenlohn etwas hinzuzuverdienen, wäre enorm. Damit würde der Mindestlohn, würden sämtliche Tariflöhne unter extremen Druck geraten.

Es ist ja kein Wunder, dass auch viele Unternehmer sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) stark machen - natürlich auf mickrigem Niveau und bei Streichung aller anderen Sozialleistungen. Diesen Leuten geht es nicht zuletzt darum, Kosten zu sparen. Das geschieht, indem die bisherigen Sozialversicherungen, die aus Beiträgen der Unternehmen und Beschäftigten finanziert werden und den Lebensstandard absichern sollen, durch ein "billigeres" BGE ersetzt werden. Das wird dann aus Steuern finanziert und schützt lediglich vor krasser Armut. Ich sehe die Gefahr, dass man mit der Forderung nach einem BGE diesen neoliberalen Kräften in die Hände spielt.

"Seit Jahren prangern wir Steuertricks an"

Der englisch-amerikanische Autor und Unternehmer Andrew Keen rechnet in seinem Buch "Das digitale Debakel" hart mit US-amerikanischen Startups à la Uber, AirBnB, WhatsApp etc. ab. Diese Unternehmen würden so gut wie keine Arbeitsplätze schaffen, durch ihre Geschäftspraktiken aber viele Jobs vernichten. Die Zukunftsarchitekten aus dem Silicon Valley würden an einer vernetzten Wirtschaft und einer Gesellschaft arbeiten, "die niemandem nutzt als ihren mächtigen und reichen Eigentümern." Keen zitiert Robert Reich, den Ex-Arbeitsminister in der Clinton-Regierung, der am Beispiel WhatsApp feststellt: Dieses Unternehmen stehe "für all das, was in der amerikanischen Wirtschaft schiefläuft." Diese kritik müsste Sahra Wagenknechts als Steilvorlage empfinden.

Sahra Wagenknecht sagt: "Gerade die sogenannte Share Economy sollte von einer gemeinnützigen Grundlage aus operieren. Es bringt aber nichts, die Share Economy pauschal zu bekämpfen."
Foto: Stefan von Gagern

Teilen Sie diese Art der Kritik? Wie will DIE LINKE dieser Art von Unternehmen begegnen?

Sahra Wagenknecht: Ich teile die Kritik an Konzernen, die aus der Vernetzung und Vergesellschaftung über das Internet ihren Profit ziehen, aber der Gesellschaft kaum etwas zurückgeben. Die stattdessen ihre Steuern kleinrechnen, nur mickrige Löhne zahlen, ihre Mitarbeiter schikanieren und Gewerkschaften unterdrücken. Seit Jahren prangern wir die Steuertricks dieser Konzerne an. Und wir kämpfen seit Jahren an der Seite der Beschäftigten etwa bei Amazon, damit diese endlich einen anständigen Tarifvertrag erhalten sowie einen Betriebsrat, der ihre Interessen vertritt.

Mir graut vor einer Welt, in der Konzerne wie Google, Facebook, WhatsApp oder Amazon unsere Kommunikation kontrollieren können. Vor einer Welt, in der sie über unsere Freunde, unsere Einkäufe, unseren Gesundheitszustand und unseren jeweiligen Aufenthaltsort Bescheid wissen. Das Geschäftsmodell von WhatsApp basiert ja darauf, kostenlose Dienstleistungen anzubieten und trotzdem Profite zu machen, indem man sich massenhaft private Daten aneignet. Gerade als junger Mensch kann man sich diesem Datendiebstahl auch nur schwer entziehen. Deshalb denke ich, dass die gesamte digitale Infrastruktur öffentlich organisiert und dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollte. Nur so kann verhindert werden, dass unsere Daten missbraucht werden oder wir am Ende von privaten Monopolen abgezockt werden.

Gerade die sogenannte Share Economy sollte von einer gemeinnützigen Grundlage aus operieren. Es bringt aber nichts, die Share Economy pauschal zu bekämpfen - obwohl es stimmen dürfte, dass der Verkauf über eBay dem Einzelhandel schadet und die Vermietung über AirBnB den Hoteliers. In der Praxis sollte man wohl zwischen Gelegenheitsanbietern und professionellen Anbietern unterscheiden.

Wer seine Wohnung für ein paar Wochen im Jahr vermieten oder auf seinem Arbeitsweg jemanden in seinem Auto mitnehmen will, sollte dies tun dürfen. Es kann aber nicht sein, dass über AirBnB Wohnungen ganzjährig an Touristen vermietet und so dem normalen Wohnungsmarkt entzogen werden, wo sie dringend gebraucht werden. Und wer seinen Lebensunterhalt als Fahrer verdienen will, der sollte dafür eine entsprechende Lizenz haben - wie Taxifahrer oder Chauffeure sie besitzen."

"Menschliche Intelligenz wird unterschätzt"

Nach den Analysten von der Bank of America Merrill Lynch wird eine "Robotik-Revolution" die globale Ökonomie in den nächsten 20 Jahren verändern. Die Kosten, zu denen heute Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, ließen sich deutlich reduzieren. Gleichzeitig aber würden soziale Ungleichheiten verstärkt. Demach werden Maschinen Tätigkeiten von der Altenpflege bis zum Umdrehen von Burgern in Fast-Food-Läden übernehmen. Die Durchdringung mit Robotern und künstlicher Intelligenz (KI) erfasse, so die Analysten, jeden Industriesektor. Was uns zur nächsten Frage führt und der Überlegung, hier nun könnte Sahra Wagenknecht KI- und Robotersysteme als Ausbund des bösen Kapitalismus brandmarken. Tut sie aber nicht.

Sahra Wagenknecht bezweifelt, das Menschen sich von Robotern pflegen lassen wollen. Allerdings gibt es auch Untersuchungen, die besagen, dass Menschen umso eher bereit sind, sich von Automaten bedienen zu lassen, je mehr diese Menschen ähneln.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratories Advanced Telecommunications Research

Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein und was werden die Folgen sein?

Sahra Wagenknecht: Ich halte diese Analyse für übertrieben. Wer möchte denn von einem Roboter gepflegt werden? Es nervt ja schon, wenn man am Telefon genötigt wird, sein Anliegen einem Computerprogramm zu schildern statt einem echten Kundenberater. Die Komplexität der menschlichen Intelligenz wird von vielen deutlich unterschätzt.

Einen Burger umdrehen, Tomaten schneiden, Flecken vom Tisch wischen und eine Bestellung im letzten Moment ändern, wenn der Kunde doch lieber Senf statt Ketchup auf dem Burger will - damit ist jeder Roboter immer noch überfordert. Mal davon abgesehen, dass seine Konstruktion für diesen Zweck viel zu teuer wäre. Sicher werden wir in den nächsten Jahrzehnten enorme Veränderungen erleben. Selbst fahrende Autos, S-Bahnen und Busse werden viele Taxifahrer, Bus- und U-Bahnfahrer überflüssig machen.

Programmierte kleine Drohnen werden womöglich den Postzusteller ersetzen. Automatische Scanner im Supermarkt, die die Preise aufaddieren, werden einige Verkäuferinnen und Verkäufer überflüssig machen. Wenn die früheren Kassierer, Postzusteller, Taxi- und Busfahrer umgeschult werden und woanders einen guten Job finden, werden sie die alte Arbeit aber kaum vermissen.

Die Durchdringung mit Robotern und künstlicher Intelligenz könnte unser Leben von Mühsal und Stress befreien und uns Freiräume für interessantere Arbeiten eröffnen. Das Problem ist nur: Im Rahmen der heutigen ökonomischen Strukturen und Machtverhältnisse wird das kaum passieren. Denn solange nicht gutes Leben, sondern höchstmögliche Rendite der Maßstab unseres Wirtschaftens ist, führt die Ersetzung von Arbeit durch Kapital dazu, dass soziale Existenzen zerstört werden und sich noch mehr Macht und Reichtum bei den Kapitaleigentümern konzentriert.

"Ich sehe die Gefahr sozialer Unruhen"

In einem Beitrag des ZDF wurde der US-Professor Neil Jacobstein zu den Folgen zitiert, die die Digitalisierung, Automatisierung und Robotik auf die Arbeitswelt und damit auf die Gesellschaften haben könnte (Jacobstein ist Professor für Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, Anm.d.Red.). Er warnt bezüglich der möglichen Entwicklungen am Arbeitsmarkt: "Wir werden es erleben: Viele Menschen werden verdrängt." Es sei zwar richtig, wenn Optimisten argumentierten, dass KI, lernfähige Maschinen und Roboter auch neue Jobs schaffen würden.

Die Frage sei aber, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten." Wenn das aus den Fugen geriete, würden viele Menschen ihre Jobs verlieren - auch "Leute mit hohen Erwartungen, die Universitäten absolviert haben." Jacobstein mahnt, dass die Betroffenen auf diese bedrohliche Situation wütend reagieren werden. Es könne zu Situationen kommen, in denen "die Reichen ihre Kinder von Bewaffneten in die Schulen eskortieren lassen müssen", während die Armen im Elend leben.

Professor Neil Jacobstein, Professor für KI und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, fragt sich in punkto Arbeitsplatzverlusten beziehungsweise neu zu schaffender Jobs durch die digitale Entwicklung, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten".
Foto: ECO Media/ZDF.de

Hat DIE LINKE auf diese denkbare Entwicklung eine Antwort? Welche? Sehen Sie die Gefahr größerer sozialer Verwerfungen, vielleicht gar von sozialen Unruhen?

Sahra Wagenknecht: Ich sehe durchaus die Gefahr, dass es im Zuge weiterer Wirtschaftskrisen zu massenhafter Arbeitslosigkeit, wachsender Armut und großen sozialen Unruhen kommt. Aber wo liegen die Ursachen dafür und was kann man dagegen tun? Es hat doch keinen Sinn, gegen Windmühlen zu kämpfen. Wir müssen die Gesellschaft so verändern, dass alle vom Einsatz der Windmühlen, das heißt vom Einsatz moderner Maschinen profitieren.

In einer vernünftigen Wirtschaft würde die Anwendung arbeitssparender Technologien den Freiraum schaffen, unsere Arbeit auf andere Bereiche zu konzentrieren: beispielsweise auf Gesundheit und Pflege, die Kinderbetreuung, Schulen und Universitäten. Aber das funktioniert nur, wenn die Gewinne aus steigender Produktivität nicht allein den Branchen zugutekommen, in denen sie anfallen. Und wenn sie nicht nur in die Taschen der reichsten paar Prozent der Bevölkerung fließen, die überhaupt Produktionsmittel besitzen.

Wir müssen also über eine gerechte Steuerpolitik Reichtum umverteilen: Von oben nach unten und von den produzierenden Branchen zum Dienstleistungssektor. Davon haben am Ende sogar die Reichen etwas. Denn die Perspektive, dass sie ihre Kinder von Bewaffneten in die Schule bringen und vom Rest der Bevölkerung streng abschotten müssen, ist ja auch für sie nicht wirklich attraktiv.

"Autos kaufen keine Autos"

In einem "FAZ"-Artikel weist der Sprecher des Chaos Computer Club (CCC), Frank Rieger, auf einen Aspekt der Veränderungen hin, der sich im Zuge von Digitalisierung, Automatisierung und durch den Einsatz von Robotik und KI ergeben könnte. Betrachte man "die Automatisierungseffekte auf gesellschaftlicher Ebene, entsteht ein Bild, das die Grundannahmen der Demokratien in Frage stellt. Das einzig verbleibende relevante Produktionsmittel ist Kapital", schreibt Rieger.

Das aber habe Folgen: "Wer in moderne Maschinen und Software investieren kann, streicht im derzeitigen System den Mehrwert aus deren Produktivität ein." Die Folgen hieraus dürften allerdings nicht im Interesse der Kapitalgeber liegen: "Je weniger Menschen an der Wertschöpfung finanziell beteiligt sind, desto weniger können sie noch die Waren kaufen, welche die Maschinen produzieren." Für Sahra Wagenknecht, die bereits im Teenager-Alter ihren Karl Marx gelesen hat, sollte das Riegersche Credo quasi ein Heimspiel sein.

Frank Rieger vom Chaos Computer Club wies in einem FAZ-Artikel darauf hin: "Wer in moderne Maschinen und Software investieren kann, streicht im derzeitigen System den Mehrwert aus deren Produktivität ein." Sahra Wagenknecht sagt: "Das hat schon Karl Marx beschrieben." Zu den Unternehmen, die investieren können, gehört sicherlich Google.
Foto: Google

Wenn die Produktionsmittel mit dem Kapital gleichgesetzt werden, dann scheint doch eine Entwicklung, wie sie Rieger beschreibt, unausweichlich. Was bedeutet das für das Wirtschafts- und damit Gesellschaftssystem westlicher Nationen?

Sahra Wagenknecht: Den Widerspruch, auf den Frank Rieger aufmerksam macht, hat Karl Marx schon beschrieben. In der Konsequenz werden die Eigentümer von modernen Maschinen, Patenten und Software immer reicher, während sich die Lebensbedingungen der einfachen Arbeiter verschlechtern - vor allem jener, die nicht über gefragte Qualifikationen verfügen. Aber das kann nicht endlos so weitergehen. "Autos kaufen keine Autos", hat Henry Ford einmal gesagt.

Wenn wir wachsende Ungleichheit und Armut bekämpfen wollen, müssen wir letztlich dafür sorgen, dass nicht mehr nur einige Aktionäre und superreiche Familien aus dem Einsatz hochmoderner Maschinen sowie aus geistigen Eigentumsrechten wie Software und Patenten ihren Profit ziehen könnten. Die Früchte des technologischen Fortschritts sollten von der gesamten Gesellschaft geerntet werden. Denn dass sie reifen konnten, dafür hat auch die gesamte Gesellschaft, dafür haben Bildungseinrichtungen, Generationen von Arbeitern, Wissenschaftlern und Steuerzahlern gesorgt.

Dem Verkauf von KUKA hätte Wagenknecht nicht zugestimmt

Der Chef der deutschen Post, Frank Appel, brachte im Zusammenhang mit den technischen Entwicklungen insbesondere in der Informationstechnologie das Thema Robotersteuer auf. Zitat: ""Man könnte zum Beispiel bei Arbeit, die von Menschen geleistet wurde, auf die Mehrwertsteuer verzichten - und nur die Arbeit von Robotern besteuern." Das Modell einer Maschinensteuer - also einer Wertschöpfungsabgabe - ist dabei so neu nicht. In Deutschland hatte sie etwa Arbeitsminister Herbert Ehrenberg bereits Ende der 1970er Jahre in der sozialliberalen Koalition zur Sprache gebracht. Heute scheint die Erhebung solch einer Wertschöpfungsabgabe aktueller denn je.

Sahra Wagenknecht hat auch eine dezidierte Meinung zu Robotern im Allgemeinen und dem Roboter-Hersteller Kuka im Besonderen: "Der Staat hat die Entwicklung von Robotern ja aus guten Gründen gefördert. Statt dem Verkauf der KUKA AG – eines weltweit führenden Anbieters von Robotik – an ein chinesisches Unternehmen tatenlos zuzusehen, hätte ich mir gewünscht, dass das Unternehmen in die öffentliche Hand überführt wird."
Foto: Kuka Aktiengesellschaft

Kann sich Die LINKE solch eine Besteuerung auch vorstellen?

Sahra Wagenknecht: Man kann das machen, aber man sollte davon nicht zu viel erwarten. Maschinen zahlen keine Steuern, sondern es sind immer ihre Besitzer, die auf der Basis der Wertschöpfung besteuert würden. Eine Roboter- oder eine Maschinensteuer hätte zur Folge, dass Unternehmen, die mit hohem Kapitaleinsatz und relativ wenig Mitarbeitern wirtschaften, höher belastet werden als Unternehmen, die mit wenig Kapital und vielen Mitarbeitern arbeiten. Das mag den Abbau von Arbeitsplätzen verlangsamen. Industriepolitisch ist es allerdings wenig sinnvoll, den Einsatz moderner Technik zu bremsen.

Der Staat hat die Entwicklung von Robotern ja aus guten Gründen gefördert. Statt dem Verkauf der KUKA AG - eines weltweit führenden Anbieters von Robotik - an ein chinesisches Unternehmen tatenlos zuzusehen, hätte ich mir gewünscht, dass das Unternehmen in die öffentliche Hand überführt wird. Je mehr unser gesellschaftlicher Reichtum von Robotern und Maschinen, von großen gesellschaftlichen Infrastrukturen und Netzen abhängt, desto dringender wird es, diese in gesellschaftliches Eigentum zu überführen. Eine Robotersteuer allein springt also zu kurz.