Empfehlungen für Industrie 4.0

Roboter werden keine Jobkiller sein

30.08.2016 von Werner Kurzlechner
Eine Studie vom Fraunhofer Institut und der Hochschule Karlsruhe zeigt Potenziale und Hindernisse von Robotics auf. KMU muss wegen der hohen Kosten geholfen werden. Accenture beklagt zu geringe Investitionen auch bei Großunternehmen.
  • Direkte Effekte auf die Beschäftigung soll der Einsatz von weder im positiven noch im negativen Sinne haben
  • KMU brauchen modulare und skalierbare Lösungen, die individuell konfiguriert und angepasst werden können
  • Anbieter müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln, um die Investitionskosten für kleine und mittelgroße Anwender zu senken
  • Unternehmen investieren vor allem in Autonomous Guided Vehicles, Collaborative Robots (Cobots) und Augmented Reality Devices
In der smarten Fabrik arbeiten Menschen und Roboter einträglich zusammen.
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Die Vision ist revolutionär und könnte bis 2020 bei einem Automobilhersteller mit einem Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro rund 500 Millionen Euro an Profitabilität wert sein: Connected Industrial Workforce. Die Prognose stammt aus einer Studie von Accenture, die die mit Industrie 4.0 verbundene Revolution der Arbeitskraft blumig ausmalt: "Man stelle es sich einmal vor: Anstatt Werkzeuge schwingender Menschen bevölkern Roboter unter menschlicher Aufsicht die Fabrikhallen. Diese Roboter führen nicht nur einfache Basisarbeiten aus, sondern nehmen auch Schlüsselfunktionen wahr. Dank digitaler Technologie arbeiten die Roboter in Echtzeit mit Menschen zusammen - und das in einem wechselseitigen Austauschprozess." Die Analysten ergänzen: "Science Fiction? Weit davon entfernt."

Fachkräftemangel, Seytemanfälligkeit und Security

Es stecken mithin beträchtliche Potenziale für die Industrie in der von innovativer Software ermöglichten Automatisierung. Accenture befragte dazu 512 Führungskräfte aus Nordamerika, Westeuropa und Asien. Die Autoren wollten aber auch wissen, was Unternehmen aktuell an der Umsetzung der Vision hindert. 36 Prozent nennen hier den Mangel an benötigten Fachkräften. 32 Prozent führen die Verletzlichkeit von Daten an - also die Bedrohung der Datensicherheit, zumal in der Cloud. 30 Prozent sorgen sich ob der Systemanfälligkeit, konkret etwa wegen komplexitätsbedingter Systemzusammenbrüche. Etwa geringer werden demgegenüber die Risiken bewertet, die im Arbeitsrecht, in Gewerkschaftsbedenken oder im möglichen Arbeitsplatzabbau lauern.

Politisch erscheint aber gerade die Sorge vor möglichen Auswirkungen der Automatisierung auf den Arbeitsmarkt als brisant. Im Auftrag der Europäischen Kommission haben Karlsruher Wissenschaftler jetzt eine Studie vorgelegt, die verbreiteten Ängsten zum Trotz sogar insgesamt positive Folgen für die Arbeitslage innerhalb der EU durch Robotersysteme erwartet. Erstellt wurde die EU-Studie vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (Fraunhofer ISI) und der Hochschule Karlsruhe.

Zur Einordnung der Untersuchung ist zum einen daran zu denken, dass sich die EU seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise das Pflegen einer eigenen Industrielandschaft auf die Fahne geschrieben hat - kurzum vom Konzept der Deindustrialisierung dezidiert abgekehrt ist. Zum anderen wird bekanntlich an einer EU-weiten Digitalisierungsstrategie gearbeitet.

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Laut Studie sind Industrieroboter und Robotics-Anwendungen eine Schlüsselaktivierungstechnologie, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Fertigungsindustrie und die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt zu verbessern. Man habe neue empirische Beweise dafür erbracht, dass die weitere Entwicklung und Verbreitung von Robotersystemen die Wachstumspotenziale der europäischen Industrie zu heben hilft, so die Studienautoren.

Beschäftigungseffekt wird neutral sein

Direkte Effekte auf die Beschäftigung in den einzelnen Unternehmen habe der Einsatz von Robotern nicht - weder im positiven noch im negativen Sinne. "Deshalb kann das oft benutzte Bild von Robotern als 'Jobkiller' im Lichte dieser Studie nicht aufrechterhalten werden", heißt es in der Untersuchung. Stattdessen erreichten Unternehmen, die Roboter einsetzen, ein signifikante höheres Produktivitätsniveau bei ihren Prozessen. Nach Analyse der badischen Forscher gilt auch: Je größer der vertikale Umfang an Fertigung, die auch automatisiert erledigt werden kann, umso besser die mögliche Produktivitätsleistung.

Hauptproblem hohe Investitionskosten für Robotics

Die erste - vor allem politisch wichtige - Botschaft der EU-Studie lautet also: Zu erwarten sind neutrale Beschäftigungseffekte, in jedem Fall sind Roboter keine Jobkiller. Die zweite Botschaft klingt sogar höchst verheißungsvoll: Roboter haben das Potenzial, industrielle Produktion innerhalb der EU zu halten. Ein Studienergebnis lautet, dass Roboter nutzende Firmen mit geringerer Wahrscheinlichkeit als andere ihre Produktion aus Europa abziehen.

Trotz dieser positiven Befunde erkennen die Studienautoren Handlungsbedarf und geben der EU-Kommission mehrere Empfehlungen an die Hand, wie sich der Einsatz von Robotern stimulieren ließe. Als Hauptproblem identifizieren die Wissenschaftler die hohen Investitionskosten im Robotics-Bereich. Damit hängt als Folgeproblem zusammen, dass kleine und mittlere Unternehmen nur selten zu den Anwendern zählen: zum einen wegen der Kostenschranke, zum anderen, weil echter Nutzen durch Roboter-Nutzung erst bei einer mindestens mittleren Komplexität der Produktionsprozesse entsteht.

Kostengünstigere Robotics-Lösungen entwickeln

Die Experten empfehlen vor diesem Hintergrund die Unterstützung der Entwicklung kostengünstiger Robotics-Lösungen. Konkret zielen sie ab auf Nachfrage-orientierte, modulare und skalierbare Lösungen, die individuell konfiguriert und angepasst werden können sowie auf neue Geschäftsmodelle der Gerätehersteller, die die Kostenschranke für kleine und mittelgroße Anwender senken.

Agiert werden muss laut Studie auch auf der Skill-Seite. Größere Firmen verfügen demnach eher als kleinere über sehr gut ausgebildete Mitarbeiter, die Roboter-Lösungen auf die zum Unternehmen passende Weise implementieren, konfigurieren und modifizieren können. Wichtig sind deshalb nach Ansicht der Wissenschaftler unterstützende Maßnahmen, die kleinen und mittleren Firmen sowohl den Einsatz technologischer Lösungen erleichtern als auch für eine Schulung der Mitarbeiter in den benötigten Skills sorgen.

Roboter bremsen womöglich Offshoring aus

Die Studienautoren gehen sogar davon aus, dass durch kluge Anreize die verstärkte Roboter-Nutzung zu einer Rückkehr oder dem Entstehen einer größeren Breite in der europäischen Fertigung führen könnte. Nach Jahren der Konzentration aufs Kerngeschäft und der Trennung von kostenintensiven Produktionsschritten könne die Automatisierungstechnologie einen Strategiewechsel hin zur vertikalen Integration wieder attraktiv machen.

Selbst die Rückkehr von ausgelagerten Offshore-Fabriken nach Europa halten die Experten für möglich. Dafür hilfreich könnten leicht zu bedienende Kalkulationstools sein, die mögliche Offshoring-Entscheidungen mit dem wirtschaftlichen Potenzial eines Roboter-Einsatzes in Europa kontrastieren - idealerweise im Lichte verschiedener Zukunftsszenarien für die Entwicklung dieser Technologie.

Unternehmen tun zu wenig für Connected Industrial Workforce

Die Accenture-Studie spiegelt ebenfalls eine derzeit noch vorhandene Investitionszurückhaltung wider. Im Durchschnitt wenden die Befragten derzeit 18 Prozent ihres Budgets für Forschung und Entwicklung für Connected Industrial Workforce auf. Binnen fünf Jahren soll der Anteil auf 24 Prozent steigen. Konkret gemeint sind damit Investitionen in Mobile- und Tracking-Technologien, Analytics und Robotics.

"Unsere Studie zeigt klar, dass nur wenige Firmen genug dafür tun, Connected Industrial Workforce Wirklichkeit werden zu lassen", kommentiert Accenture. Nur 22 Prozent haben momentan bereits Maßnahmen implementiert, um das Potenzial zu heben - und das, obwohl eine große Mehrheit signifikante Produktivitätsverbesserung erwartet und die vernetzte Belegschaft aus Mensch und Maschine als Kernelement der eigenen Geschäftsstrategie betrachtet.

62 Prozent der Befragten sagen, dass sie eine Spitzenposition in diesem Bereich anstreben. Aber auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Aktuell stufen sich laut Studie 85 Prozent eher als digitale Nachzügler oder Verfolger ein denn als Führer.

3 Technologien besonders im Fokus

Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie liefert der Blick darauf, was die wenigen digitalen Leader anders machen als der Rest. Accenture nennt hier als wichtigsten Punkt, dass diese Vorreiter über eine klare Implementierungsstrategie verfügen. Zwar wollen viele Unternehmen in den kommenden Jahren ihre Ausgaben signifikant erhöhen. Das Gros tut das aber lediglich, um erst einmal eine Strategie zu definieren. Die führenden Firmen erhöhen demgegenüber ihre Investitionen in Implementierungen.

Drei Technologien stehen dabei besonders im Fokus.

  1. Schon jetzt investiert die Hälfte der Leader in Autonomous Guided Vehicles, also mobile Roboter zum Materialtransport. In diesem Segment bleibt die Investitionsfreude gemäß Accenture-Prognose in etwa konstant.

  2. Von 30 auf 39 Prozent steigt hingegen in den kommenden fünf Jahren die Zahl der Firmen, die Geld für Collaborative Robots (Cobots) ausgeben, also für auf das Zusammenspiel mit Menschen geeichte Roboter.

  3. Jeder fünfte Leader investiert aktuell in Augmented Reality Devices, vor allem in mitdenkende Brillen und Helme. In fünf Jahren sind es nach eigenen Angaben 28 Prozent.

Es bleibt in jedem Fall noch viel aufzuholen, die eingangs skizzierte Vision tatsächlich gelebte Wirklichkeit ist.