CRM war gestern - jetzt geht's ans Internet of Things

Salesforce greift an

26.10.2015 von René Büst
Salesforce setzt nicht nur im CRM-Markt neue Meilensteine. Das Unternehmen baut sein Portfolio ständig über Akquisitionen aus und dürfte so auch im Zukunftsmarkt Internet of Things (IoT) eine tragende Rolle spielen.

Im Jahr 1999 mit dem Ziel gegründet, den Softwaremarkt zu verändern, hat sich Salesforce im Laufe der vergangenen 16 Jahre zu einem der führenden Anbieter im Cloud-Computing-Markt entwickelt. Ursprünglich als reine Software-as-a-Service-(SaaS-)Lösung für das Kundenbeziehungsmanagement (aktuell: Sales Cloud, Salesforce IQ, Data.com) gedacht, wurde das Portfolio im Jahr 2007 mit einer eigenen proprietären Platform-as-a-Service- (PaaS-)Lösung, Force.com, erweitert.

Salesforce - die Geschichte

Auf Basis der Salesforce eigenen Programmiersprache Apex ermöglicht Force.com Unternehmen die Entwicklung eigener Applikationen, die sich nahtlos mit der Salesforce.com-Umgebung verknüpfen lassen, um beispielsweise Kunden- oder Vertriebsdaten direkt zu speichern oder darauf zuzugreifen. Ein deutsches Unternehmen, das frühzeitig davon Gebrauch gemacht und sein Geschäftsmodell quasi auf die Säulen Salesforce und Force.com aufgesetzt hat, ist Propertybase, eine SaaS-Lösung für das Real Estate Marketing.

Über den AppStore "AppExchange" - im Jahr 2006 ursprünglich als Marktplatz für Hosted Business Applications vorgestellt - lassen sich die auf Force.com entwickelten Applikationen anderen Unternehmen zur Nutzung bereitstellen. Im Jahr 2010 wurde das PaaS-Portfolio mit der Akquisition des Polyglot-PaaS Heroku erweitert, wodurch Salesforce seine proprietäre Haltung etwas aufgelockert hat.

Im Laufe der Jahre wurde das Portfolio weiter in Richtung kundenserviceorientierte Anwendungen ausgebaut:

Ein weiterer Fokus wurde auf das Thema Social Collaboration gelegt:

Mit der Übernahme von ExactTarget (und dessen Akquisition Pardot, einer Lösung für Marketingautomatisierung) entstand im Jahr 2014 dann die Salesforce Marketing Cloud, mit der sich kundenorientierte Marketingmaßnahmen steuern lassen.

Das Salesforce-Portfolio im Detail
Foto: Crisp Research AG

Das aktuelle Salesforce-Portfolio

Neben Lösungen für das Kundenbeziehungs-Management, Marketing und Collaboration innerhalb und außerhalb des Unternehmens hat Salesforce sein Portfolio um weitere Services gezielt erweitert und strategisch ergänzt.

Mit dem Start von Wave Analytics, auch bekannt als Salesforce Analytics Cloud, im Jahr 2014 steht Salesforce-Kunden eine Business-Intelligence-Lösung zur Verfügung, mit der sich zum einen die Daten aus dem Salesforce-Ökosystem selbst als auch aus anderen externen Quellen auswerten und visuell darstellen lassen. Wave Analytics greift hierfür auf die Informationen aus der Sales Cloud (Sales Wave) und der Service Cloud (Service Wave) zu. Als Teil von Wave Analytics lassen sich eigene Wave-Applikationen (Wave Apps) entwickeln, und damit auf die eigenen Bedürfnisse hinsichtlich Umfang und Visualisierung abstimmen.

Um Kunden einen besseren Überblick zu verschaffen - vielleicht auch nur, um einfach für Verwirrung zu sorgen - wurden mittlerweile alle PaaS-relevanten Services (Force.com, Heroku Enterprise und AppExchange) unter dem Namen "AppCloud" zusammengefasst und mit den Services Shield (Verschlüsselung, Compliance, Audit), Thunder, Salesforce Sandboxes (im Prinzip eine "isolierte Spielwiese" für Entwickler und Administratoren) und Lightning Connect (Integration mit Anbietern wie SAP, Oracle oder Microsoft) erweitert.

Was ist was bei Salesforce.com?
Analytics Cloud
Die Analytics-Cloud-Funktionen von Salesforce sollen Business-Anwender in die Lage versetzen, Kundendaten zu analysieren, und Analysten, ihren Kunden zu neuen Erkenntnissen zu verhelfen. Expertise in Sachen Business Intelligence und Data Mining, einst für aussagekräftige Erkenntnisse unabdingbar, ist dazu nicht erforderlich.
App Exchange
App Exchange ist ein Online-Marktplatz für Business-Anwendungen, die von Dritten für den Betrieb (im PaaS-Modell) auf Force.com angeboten werden, teils kostenpflichtig, teils gratis, teils im Freemium-Modell. Die Apps sind nicht auf den angestammten Salesforce-Funktionsbereich CRM beschränkt; das Portfolio erstreckt sich von Kundendienst, Marketing und IT/Administration über Personalverwaltung, Finanzen und ERP bis hin zu Collaboration und Business Analytics.
Chatter
Mit Chatter lassen sich soziale Netzwerke einrichten, die aber auf ein Unternehmen beschränkt sind und unter der Kontrolle dieser Unternehmen stehen. Ihr Zweck ist nicht privater Austausch zwischen Menschen beziehungsweise Social-Media-Marketing von Unternehmen gegenüber ihren Zielgruppen, sondern der Austausch zwischen Mitarbeitern, um auf diese Weise die Sales-, Marketing- und Service-Prozesse effizienter zu gestalten und die Ergebnisse zu verbessern.
Community Cloud
Salesforce positioniert die Community Cloud als Plattform zur Geschäftsprozessabwicklung und Online-Kollaboration zwischen Mitarbeitern, Kunden, Partnern, Lieferanten und Distributoren. Sie ermöglicht es Unternehmen, öffentliche oder geschlossene Netzgemeinschaften unter der eigenen Marke zu erstellen.
Data.com
Der Salesforce-Dienst Data.com bietet zwei zentrale Funktionen, die wesentliche Aspekte der Sales Cloud abdecken: Zum einen dient das System der automatischen Übertragung und Verwaltung von Kundendatensätzen innerhalb eines Salesforce-Accounts. Zum anderen ermöglicht es Data.com seinen gut einer Million Abonnenten, sich gegenseitig ihre Kontaktdaten zur Verfügung zu stellen.
Force.com
Bei Force.com handelt es sich um ein PaaS-Angebot (Platform as a Service), mit dessen Hilfe Entwickler mandantenfähige Anwendungen erstellen können, die sich in die zentrale Salesforce-Applikationslandschaft integrieren lassen. Mit Force.com entwickelte Apps laufen auf der Salesforce-eigenen Infrastruktur. Auch die Kernanwendungen von Salesforce laufen auf Force.com.
Heroku
Die Entwicklungsplattform Heroku ermöglicht es Entwicklern, speziell für Soziale Medien wie Facebook und für mobile Endgeräte Apps zu entwickeln oder existierende Anwendungen hierfür bereitzustellen. Die Anwendungsentwicklung wird wesentlich beschleunigt, weil die Architekturen der Sozialen Medien genutzt werden können, anstatt eigene Anwendungsarchitekturen zu erstellen.
Lightning
Bei Lightning, angekündigt auf der Dreamforce-Konferenz im Herbst 2014, handelt es sich um ein proprietäres Javascript-Framework, das Entwickler in die Lage versetzen soll, besonders schnell mobile Anwendungen zu erstellen. Folgt man Salesforce-Blogger Mike Rosenbaum, ist Lightning sogar die "nächste Generation der Salesforce-1-Plattform".
Marketing Cloud
Die Marketing Cloud dient – im Salesforce-Jargon – der Gestaltung von "Customer Journeys", was mithilfe des "Journey Builder" geschieht: Echtzeit-Bereitstellung individueller, möglichst relevanter Informationen je Kunde mittels kanal- und geräteübergreifender Interaktion. Beispielsweise sind E-Mail-Kampagnen möglich.
Sales Cloud
Unter dem Begriff Sales Cloud fasst Salesforce alle Funktionen und Dienste auf der Salesforce-1-Plattform zusammen, die der Vertriebsautomatisierung dienen. Im Vordergrund stehen hier die klassischen CRM-Funktionen Kontakt-, Opportunity- und Lead-Management, in Verbindung mit Berichts-, Monitoring- und Prognosefunktionen.
Salesforce 1
Die Salesforce-1-Plattform ist die Drehscheibe des Cloud-Angebots von Salesforce. Hier finden sowohl die App-Entwicklung für alle mobilen und stationären Geräte statt als auch der Betrieb der Apps zur Vernetzung von Kunden, Mitarbeitern, Partner und Produkten. Über die Plattform werden 1,5 Milliarden Transaktionen abgewickelt, davon mehr als die Hälfte über APIs.
Service Cloud
Die Service Cloud umfasst alle Kundendienstfunktionen sowie unterstützende Funktionen, die Salesforce im SaaS-Modell (Software as a Service) anbietet. Dazu zählen Realtime-Dienste wie ein SOS-Button in mobilen Anwendungen, Service-Communities, Multichannel-Support, die Integration sozialer Medien als Service-Kanäle und Chatter, um bei dringenden Problemen schnell kompetente Kollegenunterstützung rufen zu können.
Work.com
Work.com ist ein Dienst, der es Sales-Verantwortlichen ermöglichen soll, ihre Teams effizienter zu steuern; „Sales Performance Management“ lautet der Oberbegriff. Teams lassen sich on the Fly zusammenstellen, vereinbarte individuelle Verkaufsziele mit tatsächlich erzielten Ergebnissen verbinden (und vergleichen), Übersichts-Reports über die Leistung von Teams oder einzelnen Mitarbeitern per Drag and Drop erstellen.

Event Processing Engine Thunder

Hierbei sollte ein besonderer Blick auf Thunder (IoT Cloud) gerichtet werden, eine Event Processing Engine, mit der Salesforce sich nun aktiv dem Thema des Internet of Things widmet. Thunder ermöglicht das Sammeln und Orchestrieren von Events auf Basis von Daten auf Webseiten, von Sensoren oder anderweitigen Interaktionen, auf die sich dann je nach Situation reagieren lässt.

Salesforce ist kein Neuling im Internet of Things. Bereits im Jahr 2013 auf der Customer Company Tour, wurde ein Use Case vorgestellt, bei dem General Electric (GE) Salesforce Chatter einsetzt, um seine Support-Teams über den aktuellen Status von Flugzeugtriebwerken zu informieren (M2M Kommunikation). Trotz allem hat dieser Anwendungsfall zu dieser Zeit für wenig Aufmerksamkeit gesorgt. Allerdings wurde damit bereits damals schon das mögliche Potenztial der Salesforce-Plattform präsentiert und angedeutet, in welche Richtung Salesforce steuern wird.

Salesforce: Die strategische Perspektive

Der Funktionsumfang des Salesforce IoT-Service-Portfolios fällt im Vergleich zu denen der Amazon Web Services (AWS) oder Microsoft Azure noch verhältnismäßig dünn aus. Das erklärt wohl die ungewohnt zurückhaltende Art von CEO Marc Benioff und seiner Marketing-Armee. Dennoch steckt Potenzial in der Plattform, die mit den dafür notwendigen Entwickler-Tools (PaaS), Analytics Services (Wave) und Event Handler (Thunder) für das Internet of Things vorbereitet wurde.

Zudem muss man Salesforce zu Gute halten, dass darauf geachtet wird, alle Services der Plattform miteinander zu integrieren, um innerhalb von IoT Use Cases in Zukunft ebenfalls auf die CRM-, Sales-, Marketing- und Collaboration-Daten zugreifen zu können, wie es für eine "Digitale Fabrik" erforderlich ist. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Salesforce wird im IoT-Markt zukaufen

Der Ausbau des Portfolios ist zwingend notwendig, um den insgesamt positiven Aufwärtstrend nicht zu gefährden und um im Wachstumsmarkt des Internet of Things nicht den Anschluss an AWS und Microsoft Azure zu verlieren. Hierfür ist es erforderlich, für eigene technische Innovationen zu sorgen. 34 Akquisitionen in den letzten neun Jahren (u.a. Jigsaw jetzt Data.com, ExactTarged / Pardot jetzt Marketing Cloud, Assistly jetzt Desk.com, Rypple jetzt Work.com) haben zu einem überwiegenden Zukauf von innovativen Technologien geführt. Das zeigt zwar unternehmerische und strategische Weitsicht, spiegelt aber nicht die DNA eines technologischen Leaders beziehunsgweise Innovators wider. Es bleibt daher abzuwarten, wie Salesforce sein IoT-Portfolio weiter ausbauen wird - vermutlich durch den Zukauf von bestehenden Lösungen.

Ein weiteres Problem mit dem Salesforce zu kämpfen hat, sind die ständigen Änderungen der Produktnamen und die Neusortierung des Produktportfolios. Dies kommt auf der Kundenseite nicht gut an. Zum Beispiel wurde Radian6 mittlerweile in die Untiefen der Marketing Cloud unter die Kategorie Social verbannt. Thematisch macht das natürlich Sinn. Allerdings sollte Benioff nicht den Fehler begehen und seinem Oracle-Großmeister Larry Ellison zu stark nacheifern. Nebelkerzenaktionen sorgen auf Veranstaltungen für das gewisse Etwas - Kunden behalten jedoch lieber den Durchblick.

Auf dem deutschen Markt kämpft Salesforce in weiten Teilen immer noch mit dem nachhaltigen Aufbau eines starken Partnerökosystems von Systemintegratoren und anderen technischen Partnern. Und das ist zwingend notwendig. Als SaaS-Lösung scheint Salesforce auf dem ersten Blick wie eine der typischen "Low Hanging Fruits" - einfacher Zugriff, schnelles Erfolgserlebnis. Allerdings ist das Gegenteil der Fall. Salesforce ist mit einer hohen Komplexität behaftet, die es zu beherrschen gilt. Von einer simplen Konfiguration ist keine Rede, was sich durch das wachsende Portfolio und neue Anwendungsfälle, die aus dem Internet of Things entstehen werden, noch weiter verstärken wird.

Wie bei den Public-Cloud-Anbietern auf IaaS-Ebene gilt auch für Salesforce: Ohne ein kompetentes Partnernetzwerk wird es schwierig,in Deutschland die Marktanteile und Umsätze zu erzielen, die das US-Headquarter wünscht. Eine strategisch wichtige und vor allem pragmatische Entscheidung ist die Partnerschaft mit T-Systems, die dabei helfen kann, deutsche Kunden auf die Salesforce-Plattform zu ziehen. T-Systems betreibt das deutsche Rechenzentrum von Salesforce in Frankfurt - nach deutschem Recht. Deutsche Salesforce-Kunden nutzen hierbei eine autarke Salesforce-Instanz, die getrennt von der eigentlichen Salesforce Public Cloud existiert. Ob T-Systems die Voraussetzungen hat als alleiniger starker Partner die Herkulesaufgabe "deutscher Markt" zu bewältigen, das bleibt allerdings abzuwarten.

Die Übernahmen von Salesforce
ExactTarget
Anfang Juli 2013 für 2,5 Milliarden Dollar. <br/><br/> ExactTarget betreibt eine SaaS-Plattform für das digitale Marketing etwa via SMS, Internet und Social Media.
GoInstant
Im Juli 2012 für 70 Millionen Dollar. <br/><br/> GoInstant bietet eine Lösung für das "Co-Browsing", mit der Anwender ihren Bildschirm vom Mobilgerät mit anderen Nutzern sharen können, um etwa Beratungsgespräche zu führen.
Buddy Media
Im Mai 2012 für knapp 700 Millionen Dollar. <br/><br/>Buddy Media ergänzt das CRM-Portfolio im Vermarktungslösungen in sozialen Netzen.
Rypple
Im Dezember 2011. Rypple formiert heute unter dem Namen work.com. <br/><br/> Die HR-Software bietet Social-Media-Elemente, um Mitarbeiter zu befragen und Meinungen einzuholen.
Model Metrics
Im November 2011. <br/><br/> Mit Model Metrics hat Salesforce die Beratungsleistungen im Mobile- und Social-Media-Geschäft ausgebaut.
Assistly
Im September 2011 für rund 80 Millionen Dollar <br/><br/> Assistly verknüpft die klassische CRM-Welt mit dem Social-Media-Geschäft. Der gleichnamige Dienst sammelt und konsolidiert Einträge in sozialen Netzen.
Navajo Systems
August 2011 für 30 Millionen Dollar <br/><br/> Der israelische Securuity-Spezialist hat eine patentierte Verschlüsselungstechnik für die Sicherheit von SaaS-basierenden Anwendungen und Daten entwickelt.
Radian6
Im März 2011 für 276 Millionen Dollar <br/><br/> Radian6 ist ein Werkzeug zur Analyse von Inhalten in sozialen Netzen.
Dimdim
Im January 2011. <br/><br/> Der Spezialist für Echtzeitkommunikation bietet Funktionen zur Präsenzanzeige sowie für das Messaging und Screen-Sharing an.
Heroku
Im Dezember 2010 für 212 Millionen Dollar. <br/><br/> Heroku betreibt eine Ruby-Anwendungsplattform in der Cloud.
Jigsaw Data Corp
Im April 2010 für 142 Millionen Dollar. <br/><br/> Jigsaw bietet ein Wikipedia-ähnliches Verzeichnis von Unternehmensinformationen und Geschäftskontakten an. Der Dienst firmiert heute unter der Bezeichnung data.com.