IT-Industrialisierung

Schlagartig wird das Unmögliche zur Pflicht

24.03.2010 von Peter  Lempp
Trotz aller Beteuerungen zu mehr IT-Industrialisierung und Outsourcing stieg bisher die Fertigungstiefe jedes Jahr. Doch 2009 änderte sich das abrupt. Vielleicht brauchen Unternehmen immer erst eine Krise, um über neue Arten der IT-Bereitstellung nachzudenken, meint Geschäftsführer Peter Lempp, Geschäftsführer von Capgemini Deutschland.
Peter Lempp ist Geschäftsführer der Capgemini Deutschland GmbH.

Manchmal bewirken Krisen Erstaunliches: Unmögliches wird nicht nur möglich, sondern plötzlich zur Pflicht. So geschehen mit der Industrialisierung der IT, die bis Anfang des vergangenen Jahres eher als frommer Wunsch gelten konnte. Bis dahin wurden bei der Reduktion der Fertigungstiefe weit weniger Fortschritte gemacht, als vorhergesagt. Fakt war, dass die durchschnittliche Eigenleistung der IT-Abteilungen nicht sank, sondern sogar jedes Jahr stieg.

Im Krisenjahr 2009 änderte sich das schlagartig: Die Prognosen wurden nicht nur gehalten, sondern übertroffen, wie die jährlichen IT-Studien von Capgemini zeigen. Sie vergleichen die Ist- und Sollwerte zur Industrialisierung seit nunmehr vier Jahren. Die diesjährige Umfrage brachte das Ergebnis, was bereits seit langem erwartet wurde.

Unternehmen lagerten 2009 kräftig aus und senkten ihre Eigenleistung im Bereich IT-Services um bis zu 16 Prozent. Im Infrastrukturmanagement und der Softwareentwicklung waren es 11 Prozent, das Anwendungsmanagement schlug mit besagten 16 Prozent zu Buche. Insgesamt gesehen also erdrutschartige Veränderungen.

Plötzlicher Sinneswandel

Woher der plötzliche Sinneswandel? Es ist unwahrscheinlich, dass das Krisenjahr und die knappen Budgets allein dazu geführt haben, dass viele IT-Leiter so schnell "einen Gang hochschalten konnten". Der Druck auf die Fixkosten war in 2009 mit Sicherheit extrem, allerdings lassen sich solche tiefgreifenden Veränderungen nicht von heute auf morgen umsetzen. Auslagerungen und Fremdvergaben von Projekten müssen geplant und organisiert werden.

Outsourcing-Pläne lagen schon lange in der Schublade

Es sieht eher so aus, als ob viele IT-Leiter Pläne für die massive Absenkung der Eigenleistung bereits seit längerem in der Schublade hatten, sonst hätten sie nicht Jahr für Jahr angegeben, in Zukunft stärker auszulagern zu wollen. Dazu kam es in der Vergangenheit jedoch nicht.

Dann stand die Krise vor der Tür und damit war der passende Zeitpunkt da, um die Pläne wieder auf den Tisch zu legen; in dem Wissen, dass die Situation für die notwendige Rückendeckung bei Geschäftsleitung und Fachabteilung sorgen würde, um ehrgeizige Ziele umzusetzen.

Insbesondere die Finanzdienstleistungsbranche hat umgedacht, wie die Ergebnisse der Studie zeigen. Hatten Banken und Versicherungen vorher vor allem darauf geachtet, die IT-Systeme selbst zu betreiben und Expertise im eigenen Haus aufzubauen, hat die Krise viele Überzeugungen in Frage gestellt: Muss man Server zwingend selbst besitzen, um sie zu kontrollieren? Verliert man in jedem Fall Know-how, wenn man den IT-Partner wechselt? Sind Daten nur im eigenen Haus sicher? Kann man Großprojekte nicht mit einem Partner durchführen, der alles verantwortet, und ohne dass der Fachbereich die Kontrolle verliert?

Vielleicht brauchten wir erst eine Krise, um ernsthaft über neue Arten der IT-Bereitstellung nachzudenken. Auch in der Automobilbranche hatten erst der massive Konkurrenzkampf und der daraus resultierende Druck auf die Kosten dazu geführt, die Produktion zu industrialisieren. Heute sehen die Hersteller nicht mehr die Entwicklung und Produktion der Fahrzeuge als ihre Kernkompetenz an, sondern die Design- und Markenführung. Alles andere überlassen sie Spezialisten.

Es sieht so aus, als ob sich dieses Konzept jetzt auch in der IT durchsetzt. Wie weit die Veränderungen gehen und wie "erwachsen" die IT innerhalb von weiteren zwölf Monaten werden kann, werden die Ergebnisse der nächsten Umfrage zeigen.

Peter Lempp ist Geschäftsführer der Capgemini Deutschland GmbH.