EADS, MAN und die Lehren der Zentralisierung

Shared Services

03.11.2006 von Horst Ellermann
IT lässt sich gut in zentralen Einheiten erledigen. Allerdings eignen sich solche Shared Service Center nicht für alle Aufgaben. Und sie entwickeln sich stets in eine Richtung, in die der CIO vielleicht gar nicht will.

Dieter Schmidbaur grätscht über vier Bereiche. Der CIO von EADS-Defense verantwortet die IT in der Verteidigungssparte des europäischen Konzerns, die bis vor anderthalb Jahren noch in vier eigenständige Bereiche aufgeteilt war. „Verteidigungselektronik“ oder „Militärflugzeuge“ heißen diese zum Beispiel. Aufgestellt waren sie klassisch militärisch nach Stabsmodell. Jeder kümmert sich um seine Aufgabe. Jeder weiß, was wann zu tun ist. Jeder erwirtschaftet seinen Profit. Und ebenso klassisch: Jeder schwört, dass seine Prozesse sich natürlich nicht in divisionsweiter Standard-IT abbilden lassen.

So weit wird das allen CIOs bekannt vorkommen, bei denen die IT-Hoheit in die Profit-Center fällt. Schmidbaur kann dem Stabsmodell durchaus etwas abgewinnen. Der ehemalige CIO des Bereichs „Militärflugzeuge“ hat die letzten drei Jahre zwar alles dafür getan, damit das Silo-Denken in den Bereichen aufhört. 310 Mitarbeiter hat der heutige Divisions-CIO aus den einzelnen IT-Abteilungen in einem Shared Service Center zusammengefasst. Trotzdem warnt Schmidbaur: „Bei allem Anspruch an Integration und Standardisierung: Bei den produkt- und prozessnahen Bereichen – etwa beim Engineering oder bei Embedded-Software – muss man ganz genau überlegen, was die Fachbereiche besser in Eigenregie betreiben.“

SSC nichts für Beteiligungs-Holdings

Shared Service Center (SSC) sind eben keine Allzweckwaffen, die Einspareffekte garantieren. IT ist eben nicht nur Massenware. Und Unternehmen sind auch nicht immer so aufgestellt, dass SSC ins Firmenkonzept passen. „Als reine Beteiligungs-Holding würde ich nie ein SSC einführen. Das wäre Schwachsinn“, sagt ein weiterer CIO, der in den letzten zwei Jahren seine IT gebündelt hat: Wolfgang Brunn von MAN hat dafür sogar eine neue Firma gegründet, die MAN IT Service GmbH, kurz MIT. Jeder zweite der rund 800 IT-Mitarbeiter bei MAN gehört seit Anfang dieses Jahres der neuen Tochtergesellschaft mit Sitz in München an.

Schmidbaur und Brunn führen zusammen drei Argumente auf, die für SSC sprechen, wobei sie diese unterschiedlich gewichten:

1. SSC können Geld sparen. Beispiel EADS: Um 15 Prozent will Schmidbaur sein IT-Budget bis Ende 2006 reduziert haben. Rund zehn Prozent hat er bereits in den ersten 18 Monaten der Projektlaufzeit realisiert. Damit ist ihm eines der wenigen IT-Projekte in der Welt gelungen, das sich selbst finanziert. Schmidbaur hat mit nur drei Beratern einen 310 Mann starken Bereich reorganisiert, die IT für 24 000 Mitarbeiter liefert. „Die größten Einsparungen entstehen dabei natürlich durch Skaleneffekte im Standard-IT-Servicebereich“, sagt Schmidbaur. Aber nicht nur: Beim Restrukturieren sind auch zwei alte ERP-Systeme auf der Strecke geblieben, die das Wort Standard nur noch zur Zierde trugen. Weitere ERP-Systeme hat der CIO in echte Standards überführen lassen und eine konsequente SAP-Integrationsstrategie mit dem Management vereinbart. Außerdem hat er parallele Projekte in allen Infrastruktur-und Anwendungssystemen gestoppt.

Wolfgang Brunn von MAN bestätigt das Einsparpotenzial von SSC, relativiert aber die Erwartungen an das Volumen. Wenn der Einkauf bereits zentralisiert sei, ließen sich Skaleneffekte natürlich nicht mehr der neu strukturierten IT gutschreiben. Und außerdem: „Wenn Sie die SAP-Systeme schon standardisiert haben, dann können Sie mit dem Rest der IT kaum mehr ’rausstrampeln“, sagt Brunn.

2. SSC rütteln die Organisation wach. Beispiel MAN: Das Traditionsunternehmen hatte sich in der IT eine lange Phase der Dezentralität gegönnt. Strukturen verkrusten dabei automatisch. Anwendungsentwickler rücken enger an die Fachbereiche, liefern spezialisierte Lösungen und machen sich schließlich unabkömmlich. Softwarestandards und selbst Infrastruktur lassen sich durch „Customizing“ so kundenfreundlich gestalten, dass am Ende nur noch ein Anwender und ein Anbieter damit glücklich sind. Ein SSC kann hier Vergleichbarkeit schaffen, wenn die Reorganisation mit dem Erstellen eines Standardservicekatalogs verknüpft wird – was eigentlich immer das Ziel sein sollte. „Ich habe lange Jahre gewartet, bis ein neuer Vorstand kam, der die Organisation so strukturieren wollte“, erzählt Brunn. Jahre zu lang, wie er findet: „Man sollte generell alle sieben Jahre reorganisieren, das verhindert Erstarrung und bringt immer mehr, als es kostet“, meint der CIO. Die nächste Reorganisation wird er dann aber nicht mehr mitmachen. Der MAN-CIO will bis dahin schon mindestens sechs Jahre in Rente sein.

3. SSC können Unternehmen zusammenschweißen. Beispiel EADS: Das im Jahr 2000 aus einem Merger von drei eigenständigen Firmen hervorgegangene „hochfragmentierte Unternehmen“, so Schmidbaur, besteht aus fünf Divisionen, die ihrerseits wieder in zahlreiche Produktbereiche zerfallen. Für die zweitgrößte Division nach Airbus birgt das ein besonderes Problem, meint Defense-CIO Schmidbaur: „Der Anspruch der Defense Divisions besteht darin, sich für künftige neue Aufgaben zu rüsten. Unter den Schlagwörtern Netcentric Warfare und Global Security gilt es, Systemführungskompetenzen aufzubauen und damit neue Märkte zu erschließen.“ IT ist für EADS Defense somit nicht nur Mittel zum Zweck beim Bau von Rüstungsgütern, sondern soll sich in der Zukunft zum Teil des Produktportfolios entwickeln. Dieses zu erstellen ist jedoch besonders schwierig, wenn es an 15 Standorten in vier Ländern entwickelt und gebaut wird. Der frühere Defense-Vorstand Tom Enders, heute der CEO von EADS-Gesamt, habe deshalb nach einem Weg gesucht, die einzelnen Bereiche zusammenzuschweißen, erklärt Schmidbaur. SSC schienen ihm eine gute Idee, dieses Konzept zu unterstützen, IT als der beste Einstieg, da dafür die Akzeptanz in einem von Ingenieuren getriebenen Geschäft groß ist.

Wolfgang Brunn von MAN sieht das etwas anders. „Mit IT können Sie die Dinge natürlich in Bewegung bringen, aber das ist immer nur der zweitbeste Weg“, sagt der CIO. „Viel besser ist es, wenn die Anwendungsbereiche beziehungsweise die dafür Verantwortlichen selber Common Processes und SSC gestalten.“ Bei MAN waren denn auch Finanzen, Altersversorgung und ITNetzbetrieb bereits als Shared Service Center aufgestellt, als der CIO seine IT Service GmbH ins Firmenregister eintragen ließ. MAN hat somit einen gängigen Weg gewählt. Wie die größte europäische Fachtagung zum Thema, die „Shared Service Week“ des Veranstalters IQPC, dieses Jahr in Amsterdam gezeigt hat, diskutieren dort vor allem Finanzfachleute und Personaler darüber, wie Landesgesellschaften und Fachbereiche zu domestizieren
seien.

Die drei Argumente für ein SSC eignen sich als Stoff für eine Vorstandssitzung, jedoch nicht für eine breite Debatte im Unternehmen, darin sind sich Schmidbaur und Brunn wieder einig. Die grundsätzliche Entscheidung für ein SSC muss top-down fallen. „Wenn Sie das mit den Bereichen oder mit der IT besprechen, reden Sie mit Fröschen über die Trockenlegung ihres Teiches“, vergleicht Schmidbaur, der bis Juni 2005 direkt an Tom Enders, den damaligen CEO Defense, berichtet hat. „Er hat uns die Hebel gegeben, um die notwendigen Entscheidungen auch tatsächlich umzusetzen“, resümiert Schmidbaur. Amtskollege Brunn baut auf ein ähnlich breites Kreuz: Seine Position als Vorstand im Konzern schätzt er dabei geringwertiger ein als die Tatsache, dass er seit 25 Jahren bei MAN ist: „Ich habe viel mit den Verantwortlichen in den Bereichen geredet, und viel läuft über persönliches Vertrauen“, meint der CIO.

Die leichtesten Aufgaben

Vor diesem Hintergrund fällt es einfacher, Bereichsfürsten auf die eigene Seite zu ziehen. Bei einigen Services ist ohnehin nur begrenzt Widerstand zu erwarten. Einkaufsvorteile nutzen alle gerne. Und als relativ reibungsarm bezeichnet Schmidbaur den integrierten Betrieb von:
– Netzwerk-Infrastruktur und Kommunikationsdiensten,
– Rechenzentrums- und Anwendungssystembetrieb,
– Kommunikationsmedien (Portale und Intranet/Websites)
– End-User-Services und User Help Desk

Eigentlich legt niemand im Management besonderen Wert darauf, diese Standarddienste selbst zu betreiben. Widerstand kommt von den Betreibern selbst. Um sie ins Boot zu holen rät Bernd Schäfer vom Consulting-Haus TPI: „Fragen Sie die IT-ler in den Bereichen, ob sie sich vorstellen können, ihre Leistung auch als Competence Center zur Verfügung zu stellen. Wenn sie dann „ja“ sagen, wissen Sie, dass ihre Arbeit auch nur generisch ist.“ TPI, sonst eher aus der Outsourcing-Beratung bekannt, partizipiert am aufsteigenden Markt des SSCEinrichten mit Analysen, wie sie beim Auslagern von IT-Aufgaben auch gebraucht werden.

Mindestens einen Monat sollte sich ein CIO dafür Zeit nehmen, raten die Experten von TPI. Eine Woche Fragebogen versenden, zwei Wochen Antworten einsammeln, eine Woche analysieren, lautet eine Faustformel. Brunn schätzt, dass er rund ein halbes Jahr in die persönliche Vorbereitung für das SSC gesteckt hat. In dieser Zeit habe sich jedoch noch alles in seinem Kopf und in vertraulichen Diskussionen mit Führungskollegen abgespielt. Erst die Voranalyse in den Bereichen zur Erstellung einer Entscheidungsvorlage sei für Mitarbeiter wahrnehmbar geworden. „Circa drei Monate haben wir uns dafür mit Externen Zeit genommen“, sagt Brunn. Zwei weitere Monate habe der Gang durch die Gremien gedauert. Schmidbaur hat ebenfalls drei Monate lang analysiert und zwei Monate für die Entscheidung im Vorstand gebraucht. „Drei Monate sind die Obergrenze, sonst geht der Spannungsbogen verloren“, meint Schmidbaur.

Die eigentliche Transformation dauert natürlich länger. Schmidbaur hat die 18 Monate des Umbaus von einem außergewöhnlich kleinen Team von drei Beratern begleiten lassen. Die Münchener Management-Beratung Dewey, Plegge, Raff und Partner hat aus ihren Erfahrungen auch gleich ein kleines Kochbuch für SSC geschrieben (siehe www.cio.de). Darin beschreibt sie die drei Phasen des Mobilisierens, Durchhaltens und Verankerns. Besonders auffallend an der mittleren Phase: Die Motivation der Mitarbeiter kippt in den Keller. „Wenn Sie dann nicht gegensteuern, machen Sie mit einem SSC mehr kaputt, als Sie durch Skaleneffekte oder bessere Organisation je wieder reinholen können“, warnt der Berater Jörg Plegge.

Eine GmbH fürs Bewusstsein

Mitarbeiter, die aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden, wollen wissen, wohin die Reise geht. „Was die Menschen hassen, ist scheibchenweise Veränderungen“, meint MAN-CIO Brunn, der seinen Mitarbeitern denn auch gleich eine GmbH als neuen Arbeitgeber zugemutet hat. „Ich bin kategorisch für eine eigenständige Betriebsform, selbst wenn sie ein bisschen mehr Aufwand bedeutet“, sagt der CIO und Geschäftsführer der MIT GmbH. „Für das Bewusstsein der SSC-Mitarbeitern ist das wichtig.“ Kundenorientierung kann nicht schaden, auch wenn Brunn überhaupt nicht intendiert, sich mit seiner neuen Firma auf den Drittmarkt zu stürzen. In den 90er-Jahren haben zahlreiche IT-Töchter dies erfolglos versucht. „Ich hoffe nicht, dass Unternehmen diesen Fehler jetzt noch wiederholen und in die gleiche Sackgasse laufen“, kommentiert TPI-Berater Bernd Schäfer.

Irgendwie passiert es dann aber doch. „Wir sind angetreten, um die IT nur für MAN zu machen, und wir sind jetzt doch schon Dienstleister für Dritte“, sagt Brunn. Der Druckmaschinenhersteller Roland nutzt auch nach seiner Ausgliederung aus dem MAN-Konzern noch ITServices der alten Mutter. Durch die neue Leistungsverrechnung stellt dies auch kein wirkliches Problem dar. Eigentlich brauche die MIT aber noch drei Jahre, um Drittmarkt-fähig zu sein, meint Brunn: „Die Bereiche schleppen nur jetzt schon Kunden an, die Prozessnähe suchen.“ Verprellen möchte man die natürlich nicht. Acht Monate nach Gründung hat die MIT GmbH somit bereits einige mit dem Konzern verbundene, externe Kunden, ohne je akquiriert zu haben. Mehr als 30 Prozent externen Umsatz dürfen es nach Meinung Brunns aber nicht werden, sonst mache das Geschäft mit den Drittkunden der Tochter vielleicht mehr Spaß als die MAN-Kernaufgaben. Und auf gar keinen Fall werde man die Fehler anderer wiederholen und sich einbilden, als kleiner Anbieter lohnende Geschäfte mit Diensten im Commodity-Bereich machen zu können, meint Brunn. EADS-CIO Schmidbaur bestätigt: „Mehr als 30 Prozent sollten es nicht sein, sonst wird die Service-Delivery nach innen vernachlässigt.“

Die Zukunft von EADS

Freilich ist Schmidbaur noch weit von dieser Zahl entfernt. Eine GmbH hat er bis jetzt nicht gegründet, und er lehnt für EADS Defense eine solche Ausgründung auch ab: „Auf Divisionsebene macht eine eigene Betriebsform für IT-Shared-Services keinen Sinn – auf Ebene der EADS-Gruppe ist dies sicherlich langfristig anzustreben und sinnvoll“, sagt Schmidbaur. Die Untersuchung einer nächsten Konsolidierungswelle für IT-Shared-Services im Konzern sei noch für 2006 geplant. Ob sich eine EADS-IT-Tochter dann nach drei bis fünf Jahren tatsächlich verkneifen kann, auch Commodity auf dem Drittmarkt anzubieten, bleibt abzuwarten. Sollten sich Airbus, Defense und die anderen Divisionen einig werden, könnte die Größe dazu verleiten. Schmidbaur wiegelt jedoch ab: „Wir sind mit dem Shared Service Center bei Defense jetzt seit 18 Monaten unterwegs. Das dauert noch 18 Monate, bis wir so harmonisiert sind, dass wir Marktreife haben.“ Ein konkurrenzfähiges SSC auf EADS-Ebene würde dementsprechend länger dauern.