Dezentral statt zentral

Sind BI Competence Center noch zeitgemäß?

Kommentar  von Daniel Eiduzzis
Geänderte Anforderungen, der Einsatz neuer Technologien und die Anwendung agiler Vorgehensmodelle lassen Zweifel an den bestehenden BI-Strukturen aufkommen.
Gerade erst eingeführt, scheinen BICC nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist zu entsprechen. Doch was kommt danach?
Foto: Bas Nastassia - shutterstock.com

Gefühlt haben viele Anwenderunternehmen ihre sogenannten Business Intelligence Competence Center (BICC) erst gestern etabliert - doch neue Anforderungen sowie Technologien und Kompetenzen im BI- und Analytics-Umfeld zeigen heute, dass die Betriebe das Organisationsmodell ihres BI-Einsatzes überdenken und womöglich neu aufstellen sollten.

Dabei spielt insbesondere der Einsatz von künstlicher Intelligence (KI) im Zusammenspiel mit Data Science eine gewichtige Rolle. Zudem unterstreichen agile Projektmethodiken immer mehr die Notwendigkeit, dieser Vorgehensweise auch in anderen Bereichen Rechnung zu tragen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob das BICC in seiner bisherigen Form noch zeitgemäß ist.

BI ist mehr als nur Reporting

Vor etwa zehn Jahren kamen erste Diskussionen und in der Folge Initiativen auf, das Thema BI grundsätzlich neu zu organisieren. Viele Anwendungsunternehmen hatten über vorangegangene Projekte eine umfassende Reporting-Architektur aufgebaut. So wurden auch erste Erfahrungen gesammelt, welche Maßnahmen sich erfolgreich umsetzen ließen und welche weniger. Um die Schnittstelle zwischen IT und Fachbereich dauerhaft zu verankern und die Synergien aus dem Konglomerat von Fach- und IT-Kompetenz zu nutzen, wurden neue Competence Center ins Leben gerufen. BI war fortan nicht mehr nur ein Oberbegriff für Reporting.

In der Umsetzung dieser neuen Abteilungen gab es unterschiedliche Ausprägungsformen - von komplett virtuellen, hybriden bis zu physischen Competence Centern, die BI- und Prozessexperten aus IT und Fachbereich umfassten. Zudem gab es auch in der Berichtslinie verschiedene Herangehensweisen, ob das BICC als eigenständige Abteilung im Finanzbereich, in der hauseigenen IT oder als eigene separate Stabstelle aufgehängt wurde.

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Gerade in der Anfangszeit dieser neuen Organisationsmodelle und allen voran bei virtuellen Zusammenschlüssen zeichneten sich allerdings immer wieder Probleme im laufenden Betrieb der BI Competence Center ab. Waren insbesondere Delegierte der Fachfunktionen nur virtuell oder in Teilzeit dem BICC abgestellt, kam es nicht selten zu Konflikten im Zeitmanagement, da die involvierten Mitarbeiter der Arbeit im BICC zumindest zu Beginn meist nur eine untergeordnete Priorität einräumten.

Mit der Zeit fanden indes viele Unternehmen das für sie passende BICC-Konstrukt finden und etablierten die entsprechenden Organisationsstrukturen. Die zahlreichen Vorteile, die mit der Einführung eines BI Competence Center einhergingen, galten in der Folge oft als Vorbild für andere Geschäftsprozesse. So wurden in Anlehnung an diese Konglomerate auch Competence Center für Customer Relationship Management (CRM) oder beispielsweise Data Management beziehungsweise Data Governance aufgebaut.

Agilität wirkt nicht nur auf Projektarbeit

Nicht nur BI-Projekte wurden lange Zeit nach klassischer Wasserfallmethodik geplant und durchgeführt. Die Vorteile waren aus Sicht der Anwenderunternehmen dabei die mehr oder weniger verlässlichen Prognosen hinsichtlich Projektkosten sowie Projektdauer. Mit der Zeit haben sich aber mehr und mehr agile Vorgehensweisen durchgesetzt.

Teilweise setzen technische wie fachliche Bedingungen eine agile Projektierung voraus. Data-Science-Projekte skizzieren oftmals nur einen rudimentären betriebswirtschaftlichen Rahmen und beanspruchen Raum für Erkenntnisse, die sich erst im Laufe des Projektes herausschälen. Außerdem gibt es mittlerweile eine Fülle an neuen Werkzeugen im BI- und Analytics-Markt, deren Anwendung durch eine agile Herangehensweise erprobt werden müssen. Spezielle Anforderungen an Analytics und Visualisierungen bedingen zum Teil dedizierte Tools.

Agile Projektteams sind ein Stück weit vergleichbar mit den zuvor beschriebenen BI Competence Centern. Für einen zuvor abgesteckten Zeitraum verfolgen Vertreter aus IT und Fachbereich das gleiche Projektziel und arbeiten in einem temporären Team eng zusammen. Auch hier bringt jedes Projektmitglied seine jeweiligen Kompetenzen und Fertigkeiten aus seiner Spezialdisziplin ein und gewährleistet so ein hochgradig leistungsstarkes Team. Somit hat der Ansatz nach Scrum oder anderen agilen Projektmethodiken mehr und mehr Einfluss auf die Aufbauorganisation.

Um insbesondere eine enge Verknüpfung zwischen den fachlichen Anforderungen und der Machbarkeit einer technischen Umsetzung herzustellen, können gerade in frühen Projektphasen agile Projektvorgehensweisen hilfreich sein. Agile Vorgehensmodelle bieten sich in mehrfacher Hinsicht an, um beispielsweis technisches und konzeptionelles Neuland zu beschreiten.

Somit trägt dieser methodische Ansatz dem Wunsch nach einem höheren Tempo in der Umsetzung und Ergebniserzeugung Rechnung. Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Lösungen aus agilen Projekten sehr viel häufiger als gemeinsamer Projekterfolg aus IT und Fachbereich verstanden werden und somit eine ungleich höhere Akzeptanz bei allen Projektbeteiligten schaffen.

Warum agile Organisationen und Methoden effizienter sind
9 Gründe, weshalb agile Unternehmen ihr Business und Krisen besser meistern
Agile Methoden haben in vielen Unternehmen zwar schon Einzug gehalten, meist aber nur in Einzelbereichen wie zum Beispiel der IT. Eine Studie der Technologieberatung BearingPoint zeigt jedoch, dass Unternehmen mit einer durchgängig agilen Organisation sowie in der Unternehmenskultur verankertem agilen Mindset den Alltag und Krisen schneller und besser meistern. Gute Gründe für mehr Agilität.
Vereinfachte Prozesse
Agile Organisationen zeichnen sich durch hohe End-to-End-Prozessverantwortung, schlanke Prozesse, hohe Prozessautomatisierung und -standardisierung aus. Je leichtgewichtiger und standardisierter Prozesse sind, umso kosteneffizienter können Organisationen agieren.
Vereinfachte Steuerungslogik
Organisationen, die in Abhängigkeit von Prioritätsänderungen flexibler steuern können, sind in Krisenzeiten besser in der Lage, schnell auf geänderte Parameter zu reagieren.
Vereinfachte Organisationsstruktur
Agile Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass anhand der Wertschöpfungskette durchgängig verantwortliche, autonome und cross-funktionale Teams aufgebaut und Abteilungsgrenzen aufgelöst werden. In Krisenzeiten profitieren agile Organisationen durch bessere Zusammenarbeit über Teams, Abteilungen oder Business Units hinweg.
Höherer Innovationsgrad
Interdisziplinäre Teams wirken als Brutkasten für innovative Ideen und Ansätze. Außerdem verfügen agile Organisationen öfter über offene Ökosysteme und profitieren in Krisenzeiten von diesem Netzwerk.
Schnelle Reaktionsfähigkeit
Es gilt, die Krise als Chance zu sehen und Änderungen willkommen zu heißen. Strukturen und Prozesse wie agiles Portfolio Management oder Objektive and Key Results helfen kontinuierlich neu zu bewerten. Agile Organisationen arbeiten iterativ mit vielen Feedback-Schleifen und das ständige Hinterfragen und Reagieren auf Änderung ist Teil ihrer DNA.
Kundennähe und Kundenzentriertheit
Gerade in Krisenzeiten muss den Kundenbedürfnissen entsprechend noch zielgerichteter agiert werden. Schnelles Feedback ist hier extrem wertvoll. Als Organisation muss bewusst auch mit Teilprodukten auf den Markt zu gegangen werden, um etwaige Kundenwünsche oder Adaptionen früh genug berücksichtigen zu können.
Hohe Selbstorganisation und Teamwork
Teams, die es gewohnt sind, auch selbst Entscheidungen zu treffen, sind in Krisenzeiten flexibler und besser vorbereitet. Organisationen, deren Management sehr stark auf Selbstorganisation setzt und Entscheidungsbefugnisse weitgehend an die agilen Teams delegiert haben, sind schneller, was auch in Krisenzeiten ein immenser Vorteil ist.
Neuer Leadership-Stil
Führungskräfte sind in Krisenzeiten besonders gefordert und profitieren von Skills, die für agile Organisationen typisch sind. Eine starke und offene Kommunikation kann Sorgen und Unsicherheiten ausräumen und psychologische Sicherheit vermitteln. Führungskräfte, denen es gelingt, eine nachhaltige Fehlerkultur zu etablieren, fördern nicht nur das kontinuierliche Lernen, sondern sorgen auch dafür, dass Mitarbeiter bereit sind, Entscheidungen und Risiken zu treffen.
Technologie-Führerschaft
Agile Organisationen zeichnen sich durch eine Technologieführerschaft und den Einsatz moderner State-of-the-Art-Technologien aus. Organisationen, die bereits vor der Krise begonnen haben, ihre Kernsysteme auf eine Micro-Service-Architektur mit losen gekoppelten Services umzubauen und den Einsatz von Continuous-Integration-Systemen forciert haben, sind in der Lage, schneller und unabhängiger zu produzieren und kontinuierlich Releases zu veröffentlichen.

Dezentral ist das neue zentral

In der Vergangenheit verfolgten viele Anwenderunternehmen den Aufbau eines zentralen Data Warehouses, um dem "Single-Point-of-Truth" Anspruch gerecht zu werden. Mittlerweile haben sich solche Initiativen überholt. Stattdessen lässt sich ein verstärkter Trend hin zur Dezentralisierung feststellen.

Sinnvollerweise steht zu Beginn von Big-Data-Initiativen der konkrete Anwendungsfall im Mittelpunkt. Data Scientists werden in diesem Zusammenhang direkt dem entsprechenden Fachbereich zugeordnet. In der Umsetzung kommen dabei von Fall zu Fall unterschiedliche Modellierungs- und Analytics-Werkzeuge zum Einsatz. Immer seltener besteht der zwingende Bedarf, temporär oder dauerhaft generierte Datenbestände zentral bereitzustellen und vorzuhalten. Dezentral ist das neue zentral. Dabei gilt es, Schnittstellen für den fachbereichsübergreifenden Datenaustausch im Bedarfsfall zu berücksichtigen.

Der "Single-Point-of-Truth" wird sozusagen durch das "Single-Net-of-Truth" ersetzt. Die Daten verbleiben dort, wo sie benötigt beziehungsweise generiert werden. Eine Data Governance schafft den Rahmen für ein unternehmensweit durchlässiges Netz an Informationen.

Ein solcher dezentraler Ansatz einer neuen Datenarchitektur kann sich schlussendlich auch in der Aufbauorganisation widerspiegeln. Der Netzwerkgedanke löst den zentralistischen Ansatz mehr und mehr ab.

Wie zuvor beschrieben werden Data-Science-Kompetenzen in der Regel direkt in der Prozessorganisation angesiedelt. Da diese Funktionen auch fachliche und technische Unterstützung von orginären BI-Disziplinen benötigen, ist eine Ansiedlung weiterer BI-Rollen im Fachbereich die logische Folge. Somit finden sich in den Linienorganisationen komplette Teams wieder, die von der fachlichen bis zur technischen Expertise den kompletten BI- und Analytics-Stack abdecken - ähnlich, wie es in agilen Projektteams für einen temporären Zeitraum der Fall ist.

Auf die Data Governance kommt es an

Somit tritt an die Stelle des vormals zentralistisch angelegten BICC zukünftig ein unternehmensweites Netz an BI-Experten, die sich über entsprechende Governance-Strukturen vor allem virtuell organisieren und abstimmen. Dabei gibt es Funktionen, wie Infrastruktur und Cloud-Architektur, die zunehmend an Bedeutung gewinnen und auch weiterhin in zentralen Competence Centern beziehungsweise der IT organisiert werden sollten.

Mit Blick auf eine vermehrte Anzahl von BI- und Analytics-Werkzeugen sowie unterschiedlichen Datentöpfen ist eine funktionierende Data Governance wichtiger denn je. Hier können zentrale Instanzen Richtlinien vorgeben, die für alle Funktionen und Beteiligten im unternehmensweiten Netz maßgeblich sind.

Die Projekte werden agil und mit cross-funktionalen Teams besetzt. Fach- und IT-Experten arbeiten für eine abgesteckte Projektdauer eng zusammen. Die Praxis zeigt, dass diese Vorgehensweise immer häufiger von Erfolg gekrönt ist. Warum sollten also Anwenderunternehmen nicht folgerichtig den nächsten Schritt gehen und zentrale Strukturen aufbrechen und an deren Stelle ein Netzwerk aus BI- und Analytics-Experten aufsetzen? Business Intelligence wäre damit nach der Einführung der BI Competence Centern einmal mehr der Taktgeber hinsichtlich neuer Organisationsmodelle. (ba)