Nach dem Datenbank-Kauf von Oracle

SkySQL statt MySQL

04.11.2011 von Riem Sarsam
Sun übernimmt den Datenbankanbieter MySQL, ein Jahr später übernimmt Oracle Sun. Für eine Gruppe ehemaliger MySQL-Protagonisten ist das ein Kulturschock. Sie steigen aus und beginnen mit einem neuen Unternehmen von vorne.

Das finnische Unternehmen SkySQL erhebt den Anspruch, die bessere Alternative zu Oracle sein. Nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch, weil die Manager an den Geist von Open Source glauben. Teil des achtköpfigen Managements ist Kaj Arnö, ehemals Vice President und Miteigentümer von MySQL. Er übernimmt bei SkySQL die Position des Executive Vice President Products.

Kaj Arnö, Vice President Products, SkySQL: "Die Kunden scheinen wegen mangelnder Wahlmöglichkeiten bei Oracle zu bleiben, nicht in erster Linie aus Zufriedenheit."
Foto: SkySQL

CIO.de: Herr Arnö, was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal davon hörten, dass Oracle Eigentümer von MySQL wird?

Kaj Arnö: "Oracle hat also doch MySQL gekauft", teilte mir frühmorgens kalifornischer Zeit ein ehemaliger Kollege aus Dänemark über Skype mit. Im Jetlag war meine erste Reaktion komischerweise Erleichterung: Zumindest hatte ich dazu nicht beigetragen.

Gab es nur Bedenken, oder haben Sie auch Hoffnungen mit der Übernahme durch Oracle verknüpft?

Es gab schon Hoffnungen. Oracle konnte mit zusätzlichen Ressourcen für MySQL aufwarten. Gleichzeitig bereitete uns diese Hoffnung aber auch Sorgen. Würden wir uns umpolen können? Wir, die wir uns gerne als Kreuzritter für Open Source betrachteten und gegen überhöhte Preise von Großlieferanten kämpften. Sollten wir zu Knechten der Kämpfe zwischen ebendiesen Großlieferanten werden?

Dabei war MySQL erst kurz zuvor, im Jahr 2008, unter das Dach von Sun Microsystems geschlüpft.

Dazu habe ich sogar aktiv beigetragen. Denn natürlich waren wir nicht nur ehrenamtliche Kreuzritter, sondern hatten auch finanzielle Ziele: einen Börsengang oder eine freundliche Übernahme. Und die Kulturen von Sun und MySQL passten gut zueinander. Wir wurden von unseren Sun-Kollegen königlich aufgenommen und unterstützt.

Worin sehen Sie prinzipiell die wesentlichen Unterschiede zwischen einem Open-Source-Konzern wie Sun und einem rein kommerziellen Anbieter wie Oracle?

Im Erfolg. In der Konzentration. In der schnellen und gezielten Ausführung. Und hier punktet Oracle. Die Amerikaner sind effektiv, rational, zielgerichtet. Oracle weiß, was Oracle will. Zudem: In der Raubtiermentalität beziehungsweise in dessen Abwesenheit. Und hier punktet Sun. Bei Sun war ein Leitgedanke: Man dient der Gesellschaft und gewinnt, indem man forscht, entwickelt, ein guter Bürger ist. Ich meine nicht einen Haufen unbelehrbarer Weltverbesserer, sondern ich denke an eine sinnstiftende Atmosphäre. Sie hilft, über den Gewinn hinaus auch den Zweck zu erkennen.

Aber Oracle überlebt und Sun nicht.

Ja. Und das heißt, der ehemalige Sun-Kunde muss sich jetzt mit Oracle befassen. Das ist in vielen Fällen ein ständiger Kampf beziehungsweise bedeutet höhere Preise für Wartungsverträge bei Hardware und Software.

Oracle hat Technik im Griff

Wenn das so ist, wie erklären Sie sich dann, dass die Kunden das mitmachen?

Die Kunden scheinen mir hauptsächlich wegen mangelnder Wahlmöglichkeiten bei Oracle zu bleiben, nicht in erster Linie aus Zufriedenheit. Das meine ich ganz wertfrei. Der Macht und dem Erfolg von Oracle gebührt ja auch Ehrfurcht - auch vonseiten der Kunden. Der Konzern hat zudem seine Technik im Griff. Oracle wäre ja weder mächtig noch erfolgreich, wenn es nur um schonungslose Geschäftspraktiken ginge.

Oracle hat doch recht, den Kunden die professionelle MySQL-Version zu empfehlen. Nur wer Geld für Software bekommt, kann Support anbieten.

Oberflächlich betrachtet stimmt das Argument: Nur für Geld kann man effektiven Support verlangen. Kein Einwand. So hat es auch MySQL AB selbst gehalten. Daraus folgt aber doch noch lange nicht, dass es im
Interesse des Kunden wäre, auch die sogenannte professionelle Softwareversion zu benutzen. Diese wird als Gegensatz zur Open-Source-Variante verkauft. Wenn sich ein Kunde dafür entscheidet, würde das ja heißen: Lieber hole ich mir kommerzielle Begrenzungen ins Haus als eine Software ohne Einschränkungen.

Aber es gibt doch Unterschiede zwischen der Enterprise- und der Open-Source-Version.

Bis zu Oracles Ankündigungen im September dieses Jahres waren die quelloffenen und die kommerziellen MySQL-Versionen identisch. Der entscheidende Unterschied und, wie ich meine, Vorteil für den Kunden war die Freiheit, den Support für die Open-Source-Software bei Vertragsende zu kündigen. So einfach geht das bei der kommerziellen Lizenz nicht. Hier muss der Kunde bei Vertragsende erst glaubhaft nachweisen, dass diese Software komplett deinstalliert wurde. Wer MySQL als Open Source weiternutzen möchte, muss migrieren. Dabei entstehen übrigens nicht unerhebliche Kosten.

Novell, Sun Microsystems, MySQL haben ihre Selbstständigkeit verloren. Passen quelloffene Software und unabhängiges Geschäft einfach nicht zusammen?

Zumindest ist es ein Zeichen dafür, dass sich auch kommerzielle Anbieter für quelloffene Software interessieren. Für die Kunden lautet die Schlussfolgerung, dass sie auch im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs die Leistungen unabhängiger Lieferanten wählen sollten. Denn mangels guter Alternativen wird nur der Preis höher.

Herr Arnö, herzlichen Dank für das Gespräch.

Wäre ich Oracle ...

Ein Kommentar von Kaj Arnö:

Wäre ich Oracle, würde ich MySQL langsam zum Tode lieben. Mein Plan A wäre, mit MySQL viel Geld zu verdienen. Wenn dies nicht gelingt, würde MySQL gravierende Schäden erleiden. Und das wäre dann mein Plan B.

Wäre ich Oracle, würde ich MySQL genauso behandeln, wie alle meine anderen Produkte. Gerade dies ist ja der Grund, wieso ich bisher so erfolgreich Unternehmen erworben habe. Keine kostspieligen Ausnahmen, kein Wenn und Aber. Sonderfälle sind teuer, weil sie Sonderstrukturen erfordern, weil sie extra Aufmerksamkeit der Geschäftsleitung brauchen.

Wäre ich Oracle, würde ich mich um den Shareholder Value kümmern, sonst nichts. Ich würde daran denken, wie ich für meine Eigentümer den besten Wert daraus schöpfen könnte, dass ich MySQL besitze. Ich sähe darin einen offensiven und einen defensiven Wert. Offensiv könnte ich meinen MySQL-Besitz für meinen Wettkampf gegen Microsoft nutzen. Defensiv wäre ich, indem ich Kollateralschäden und Kannibalisierung bei meinen anderen Datenbanken vermeiden würde. Ich würde den defensiven Wert wesentlich höher einschätzen.

Wäre ich Oracle, würde ich MySQL und meine anderen Datenbanken als komplementär beschreiben. Jeder MySQL-Benutzer weiß, dass Oracle unvergleichbar viel mehr Eigenschaften hat, nicht wahr? Dass MySQL- und Oracle-Datenbanken manchmal auch in Wettbewerb zueinander stehen, würde ich runterspielen. MySQL hat schon im Jahr 2000 im Web damit geworben, dass die NASA in einer Anwendung von Oracle auf MySQL umgestiegen war - das würde ich einfach vergessen. Dass MySQL in den Jahren danach oft Aufmerksamkeit bekommen hat und Oracle und MySQL nicht nur als Komplemente beschrieben wurden, das lässt sich verdrängen. Würde ich darauf angesprochen, gäbe ich keine Kommentare. Oder ich würde schmunzeln und meinen Kopf schütteln, als Zeichen davon, wie unverständlich diese Andeutungen wären.

Wäre ich Oracle, hätte ich natürlich weitere Firmenübernahmen vor, nach Sun Microsystems. Ich wüsste, dass auch diese die Genehmigung der europäischen Kommission bräuchten. Nun ja, ich würde mich leider in die Weltpolitik einmischen müssen. Einerseits würde ich meine Lobbyisten direkt in Brüssel einsetzen, andererseits würde ich versuchen, die von mir unterstützten einheimischen Politiker dazu zu bewegen, Druck auf Europa ausüben. Wenn Wikileaks darüber später berichten würde - wieder keine Kommentare. Wozu auch?

... hätte ich Pflichten gegenüber den Aktionären

Wäre ich Oracle und müsste den Politikern entgegenkommen, würde ich meine Zugeständnisse allerdings einhalten. Besonders die Zusagen, die sich überprüfen ließen. Als Profi hätte ich ja nicht nur eine wohl funktionierende Organisation, auf Gewinn bestens getrimmt, sondern ich wäre auch stolz darauf, dass alle meine Entscheidungen schlüssig sind.

Mich so zu benehmen wäre ja schließlich meine Pflicht den Aktionären gegenüber. Zum Glück lebte ich in einer Atmosphäre, wo diese Pflicht eine allerseits geschätzte Tugend ist. Ich brauchte mich dafür nicht zu schämen. Die meisten meiner Landsleute teilten meine Werte und wären bereit, mein gutes Recht zu verteidigen. Dass meine Interessen nicht unbedingt mit denen der Gesellschaft übereinstimmten, bräuchte ich ja nicht hervorzuheben. Wenn ich oft genug wiederholte, dass freier Wettbewerb gut ist, vergäßen meine Kunden und sonstige lästige externe Entscheidungsträger langsam, dass weniger und nicht mehr Konkurrenz aus meinem Besitz an MySQL folgt. Dieses Vergessen erleichterte ich, indem ich betonte, dass es innerhalb des MySQL-Marktes jetzt mehr Wettbewerb gebe. Dass die Datenbankindustrie insgesamt in einer Konsolidierungsphase ist, überließe ich anderen zu erwähnen.

Wäre ich Oracle, würde ich nochmals unterstreichen, wie sehr ich mit Microsoft zu kämpfen hätte. Ich würde hervorheben, welche Art Verbesserungen ich MySQL-Benutzern unter Windows habe zugute kommen lassen. Ich würde sagen, dass die großen Ressourcen, die ich besitze, ebendiese verschärfte Konkurrenz ermöglicht hätten. Dies hatte Sun Microsystems nicht hingekriegt, geschweige denn seinerzeit MySQL AB. Sieh an, mehr Wettbewerb, mehr Innovation! Dass die meisten betriebskritischen MySQL-Anwendungen unter Linux laufen, und dass viele Kunden viel lieber in jenem Gebiet Fortschritte sehen würden, wäre mir keinen Kommentar wert.

Wäre ich Oracle, sähe ich zu, dass ich ausreichend Beweismaterial dafür hätte, dass ich sehr wohl in das Produkt MySQL investiere. Es wäre schädlich, wenn man mir allzu leicht vorwerfen könnte, ich ließe MySQL links liegen. Denn das brauche ich auch nicht. Das Geld, das ich für MySQL-Entwicklungsarbeit aufwenden würde, wäre ein Klacks verglichen mit dem Schutz gegen die Kannibalisierung, den ich durch meine Kontrolle über MySQL gewinnen würde.

... würde ich Open-Source entschärfen

Wäre ich Oracle, ich würde MySQL langsam als Open Source-Produkt entschärfen. Dass MySQL unter GPL noch gut drei Jahre vertrieben werden soll, hätte ich ja in einer Pressemitteilung in Zusammenhang mit den EU-Diskussionen schon zugesagt. Ich würde darauf bauen, dass die Zeit schnell vergeht. Es wäre gut, die Benutzergemeinde in kleinen Schritten an die Zukunft zu gewöhnen.

Wäre ich Oracle würde ich bei Bedarf härtere Bandagen anlegen, gegen unrechtmäßige Nutzung meines Warenzeichens. Ich hätte eine effektive Rechtsabteilung, die sich gut in Sachen Copyright und Warenzeichen auskennt. Meine genauen Absichten würde ich meinen Open-Source-Wettbewerbern gegenüber nicht preisgeben, denn ein bisschen Ungewissheit hätte eine bessere Wirkung. Von überzogenen Drohungen würde ich jedoch Abstand nehmen. Schließlich wäre es ärgerlich, wenn ich die Community gegen mich aufbrächte.

Wäre ich Oracle, würde ich den Kunden abgewöhnen, Open-Source-Versionen von MySQL zu verlangen. Ich würde bezahlenden Kunden anstelle der freien GPL-Version eine kommerzielle Lizenz andrehen, ja dies geradezu verlangen. Damit könnte ich ihnen schließlich bei Support-Leistungen effektiver helfen - würde ich zumindest behaupten. Es wäre ja aufwendig für mich, viele MySQL-Versionen zu unterstützen, das verstünde der Kunde sicher; dass die freie GPL-Version bis 2011 identisch mit der kostenpflichtigen Version gewesen ist, bräuchte ich nicht zu erwähnen. Und es klingt ja auch einleuchtend und irgendwie wertvoller, für eine kommerzielle Version zu bezahlen, als für eine Gratis-GPL-Version, nicht wahr? Dass später hohe Migrationskosten anstünden, wenn die Subscription zu Ende gelaufen ist, wüsste ich sehr wohl, aber ich wäre guter Dinge, dass der Kunde nicht daran denkt. Zumindest nicht gleich. Derweilen könnte ich alle neuen sexy Eigenschaften nur für bezahlende Kunden entwickeln und nur unter einer kommerziellen Lizenz veröffentlichen. Bei Vendor-lock-in hätte ich schließlich auch anderswo gute Erfahrungen gesammelt!

Ich bin nicht Oracle. Ich habe für Oracle gearbeitet, aber das ist über ein Jahr her. Zwischen meinem Chef und Larry Ellison gab es zwar nur eine Hierarchieebene, und die Einblicke, die ich von München aus Richtung Redwood Shores gewinnen konnte, waren begrenzt.

... aber ich bin nicht Oracle

So begrenzt, dass ich daraus nur schließen konnte, dass mein damaliger VP-Titel nicht ausreichen würde, um Entscheidungen so zu beeinflussen, dass ich meine Glaubwürdigkeit als ehemaliger MySQL-Sprecher behalten könnte. Und so begrenzt, dass meine Gedankenspiele "wäre ich Oracle…" nicht auf Insiderwissen basieren, sondern pure Spekulationen sind. Geprägt von einer Hochachtung gegenüber den Fähigkeiten von Oracle, sowie einem heimlichen Wunsch, doch irgendwie mit Oracle zusammenarbeiten zu können.

Aber um es noch mal klarzustellen: Ich bin nicht Oracle.