Analysten-Kolumne

Software-Firmen entdecken Beratungsgeschäft

29.06.2005 von Thomas Lünendonk
Der IT-Dienstleistungsgeschäft steht vor einem Strukturwandel. Immer mehr Standard-Software-Unternehmen drängen in das klassische Beratungssegment. CIOs profitieren durch neue Angebotsformen von dieser Entwicklung.

Der CIO steht heute im Zentrum des "Orkans“. Einerseits soll er die informationstechnischen Voraussetzungen für das reibungslose Funktionieren des Unternehmen und seiner Prozesse schaffen, technologisch aktuell und zukunftsfähig sein sowie Impulse geben. Andererseits steht er unter zunehmendem Kosten- und Leistungsdruck seitens des Top-Managements und der Fachabteilungen. Hinzu kommt die immer stärkere Rolle des Einkaufs, die bisweilen Züge einer Entmündigung annimmt. Psychologisch würde man von einer klassischen "Sandwich-Position“ sprechen.

Will der CIO die vielfältigen Herausforderungen bestehen, so muss er sich Dienstleister auf dem Markt suchen, die ihn sowohl bei der inhaltlichen und technologischen als auch bei der ökonomischen Perspektive der Themen kompetent unterstützen können. Hier bieten sich Managementberatungen, IT-Beratungen, Systemintegratoren, IT-Service-Unternehmen und Komplettanbieter, die alle Teildisziplinen integriert offerieren, an. Insbesondere in Zeiten hoher Individualisierung der jeweiligen Systemlandschaften konnte auf Partner aus diesem Leistungsspektrum gar nicht verzichtet werden.

Nun treten aber weitere Player am Markt an. Als Unternehmen sind sie durchaus bekannt, doch ihr Angebot ist neu und in raschem Wandel. Im Zuge der zunehmenden Standardisierung der Software und damit einer hohen Verbreitung und Verzahnung in den Unternehmen und den Geschäftsprozessen strecken auch die großen Standard-Software-Anbieter ihre Fühler in Richtung eines deutlich erweiterten Dienstleistungsspektrums aus.

Betrachtet man die Entwicklung bei den Top-25-Anbietern der Lünendonk-Liste "Führende Anbieter von Standard-Software in Deutschland“ im Verlauf von 2001 bis 2004, so zeigt sich auf den ersten Blick keine nachhaltige Veränderung. Zu etwa zwei Drittel generieren diese Anbieter ihre Umsätze mit dem klassischen Business von "Standard-Software-Vertrieb und -Wartung“, etwa ein Drittel entfällt auf die übrigen Dienstleistungen wie Software-Einführung, Training, IT-Beratung, Systemintegration, Outsourcing etc..

Doch dieses Verhältnis wird sich ändern. So sorgen Faktoren wie Sättigung in Regionen und Marktsegmenten, Preisdruck auf Lizenzen und Interesse an neuen Umsatzfeldern dafür, dass Standard-Software-Anbieter sich zunehmend als Berater und Dienstleister aufstellen wollen. Deutlich wird das bereits im internationalen Markt, wo Software als Teil eines gesamten Service-Pakets angeboten wird - inklusive Beratung, Einführung und anderer Dienstleistungen bis hin zum Betrieb; ein Stichwort lautet hier "Software als Service“. Es gibt dafür bereits einige Geschäfts- und Angebotsmodelle. Deutlich wird das aber auch durch die Übernahme von ehemals selbständig agierenden Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen und deren Integration in Software-Konzerne.

Die bisher unabhängig im Markt agierenden Berater und Dienstleister betrachten diese Tendenz verständlicherweise mit hohem Interesse und nicht ganz sorgenfrei, denn aus ehemaligen Technologiepartnern werden sukzessive Wettbewerber, die dann auch noch den großen Vorteil der durchgängigen Kalkulation der Produkt- und Leistungskette bieten können. Um ein schlichtes Bild zu benutzen: Es wird zunehmend Dienstleister mit hoher Dienstleistungs- und Software-Kompetenz geben und große Software-Anbieter mit hoher Software- und Dienstleistungs-Kompetenz. Der Wettbewerb um den CIO tritt damit in eine neue Phase.

Es stellt sich die Frage, welche Vorteile und Risiken sich aus dieser Entwicklung für den CIO ergeben können. Natürlich ist die Verlockung groß, "direkt von der Quelle“ Komplettlösungen zu beziehen. Es reduzieren sich Kommunikationsaufwendungen und -schnittstellen, Verantwortlichkeiten und Service-Agreements sind einfacher zu gestalten und zuzuordnen. Die Wege zwischen Software-Quelle und -Nutzer werden kürzer, technologischer Wandel kann schneller und direkter "geliefert“ werden.

Andererseits zieht eine solche Entwicklung auch eine Konzentration der Anbieterstrukturen nach sich. Hier ist von den Unternehmen zu prüfen, inwieweit sie sich heute und künftig unabhängiger Berater und Dienstleister bedienen, welchen Mehrwert diese für sie darstellen und ob sie diesen Mehrwert auch entsprechend vergüten können und wollen. Insbesondere in Fragen der individuellen Branchen- und Lösungsanpassungen wird es auch kurzfristig wohl wenig Alternativen zu den "Unabhängigen“ geben. Und auch bei zunehmender "Tiefe“ der Standard-Software, zum Beispiel beim Thema Business Intelligence, wird auf neutrale Experten und Integratoren vorläufig nicht zu verzichten sein.

Tatsache ist, dass sich Produkt- und Service-Preise aufeinander zu bewegen. Sowohl die Software als auch die Services stehen unter Preis- und Margendruck - und das wird sich absehbar auch nicht ändern. Für Anbieter jeglicher Provenienz kann das bedeuten, durch Kombinationsangebote Umsatz- und Ertragspotentiale zu sichern. Für die Kundenseite bedeutet es, dass sich zusätzlich zu den tradierten Dienstleisterstrukturen neue Anbieter- und Angebotsformen ergeben, die interessante Alternativen bieten.

Für den CIO ergeben sich daraus in erster Linie Chancen: Ihm steht bei einer mittelfristig reduzierten Zahl von Anbietern zunehmend eine größere Vielfalt von Möglichkeiten zur Auswahl.

Thomas Lünendonk ist Geschäftsführer der Beratungs- und Marktforschungsfirma Lünendonk.