IT-Regime bei Siemens

Sparen mit Macht

07.04.2003 von Heinrich Seeger
Die einst auf die Konzernbereiche verteilte Siemens-IT hat sich in Richtung Zentralismus bewegt. CIO Friedrich Fröschl braucht eine starke Position, um Einsparungen durchzusetzen. Erste Erfolge kann er vorweisen; ob sie ausreichen, ist offen.

Als Friedrich Fröschl Ende 2001 die neu geschaffene Zentralstelle Corporate Information and Operations bei Siemens übernahm, hatte er zuvor als Bereichsvorstand von Siemens Business Services (SBS) einen dreistelligen Millionenverlust melden müssen. Mit dem Turn-around der IT-Servicesparte betraute Vorstandschef Heinrich von Pierer den früheren Fujitsu-Siemens-Chef Paul Stodden; Fröschl wurde erster offizieller CIO von Siemens.

In dieser Funktion hat er es nicht leicht. Der Umsatz des Konzerns sank im Geschäftsjahr 2001/2002 um drei Prozent auf 84 Milliarden Euro. Hieß es im Jahresbericht noch, der "leichte Rückgang (sei) auf Währungs- und Konsolidierungseffekte zurückzuführen", lassen sich die Einnahmen für das erste Quartal des laufenden Geschäftsjahres, abgeschlossen am 31. Dezember 2002, kaum noch schönreden: nur noch knapp 18,9 Milliarden Euro, gut zehn Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zudem stammte der Gewinn im vergangenen Geschäftsjahr allein aus den Sparten Kraftwerks- und Medizintechnik, sodass in den übrigen zwölf Bereichen - zuvorderst in der Netzwerksparte - jetzt ein rigides Kostenmanagement gefordert ist, um weiteren Verlusten entgegenzuwirken.

Fröschls Budget umfasst mit 4,1 Milliarden Euro, knapp fünf Prozent des Umsatzes, ein hinreichend großes Volumen, um der CIO-Organisation die Aufmerksamkeit des Zentralvorstands, aber auch der Anleger zu sichern. Zwar gibt es keinen Rating-Algorithmus, der IT-Kennzahlen unmittelbar in Kauf- oder Verkaufsempfehlungen übersetzt, aber indirekt wirken sich die Entscheidungen Fröschls sehr wohl aus. "Wir beobachten die IT genau" , bekräftigt Analyst Roland Pitz von der Hypo-Vereinsbank.

Die CIO-Organisation steuert mit 200 IT-Experten und 8500 IT-Mitarbeiter in den Konzernbereichen und Regionen die gesamten Aktivitäten, beginnend bei der Prozesstransformation über alle Anwendungen und Verfahren bis hin zur Infrastruktur. Die Gremienstruktur baut auf vier Foren auf: eines für die CIOs der 14 Konzernbereiche und insgesamt drei für die Regionen Europa/ Mittlerer Osten/Afrika (EMEA), Nord- und Südamerika sowie Asien/Australien. Die europäischen CIOs treffen sich viermal, die Vertreter aus Amerika dreimal und die aus Asien/Australien zweimal pro Jahr; das CIO-Forum der Bereiche tagt jährlich sieben- bis achtmal. Es ist der harte Kern von Fröschls Team. Hier wird die Agenda für alle CIO-Aktivitäten entwickelt, die Implementierung von Technologien und Projekten vorangetrieben; Quartalsberichte gehen an das oberste Gremium, das Business Transformation Board (BTB).

Das BTB ist der Dreh- und Angelpunkt aller CIOrelevanten Entscheidungen. Es ist besetzt mit Bereichsvorständen, die alle Geschäftsarten - Produkte, Lösungen, Anlagen und Services - repräsentieren. Die Regionen sind vertreten durch die Geschäftsverantwortlichen einiger Schlüsselländer ("Hub Countries") aus Europa, Nordamerika, dem südamerikanischen Mercosur-Raum sowie aus Asien und Australien. Den Vorsitz des Business Transformation Board hat die Zentralstelle CIO.

Segnet das BTB ein Projekt ab, bedeutet das jedoch nicht, dass damit auch die Finanzierung gesichert wäre. Vielmehr unterliegen CIO, Konzernbereiche und Regionen dem Zwang, neue Services, etwa eine neue Anwendung, vorzufinanzieren. Projekte aus dem Wolkenkuckucksheim haben theoretisch keine Chance, denn die Projekterlöse werden für Weiter- und Neuentwicklungen benötigt.

Fröschl hat die Signale des Zentralvorstands und der Börse verinnerlicht: sparen mit allen Kräften! Siemens-Vorstandschef von Pierer kleidete die Order in die Worte: "Wir bei Siemens setzen den Ausbau unseres Unternehmens zu einer E-Company konsequent fort. Wir werden dadurch noch schneller und können unsere Kosten weiter senken."

Kritik am Kostensenkungsplan

Das sieht Gümbel anders. Ein wesentlicher Teil der bisher erreichten Kostenreduzierungen ergibt sich für ihn praktisch von allein, und zwar aus früherer Verschwendung. Mit rund vier Prozent des Umsatzes seien die IT-Ausgaben von Siemens im Branchenvergleich immer mit am höchsten gewesen - angesichts der "riesigen Abstimmungsmaschinerie" nicht erstaunlich. "Es ist relativ simpel, anfängliche Sparerfolge zu erzielen", sagt Gümbel. Der Preisverfall in der IT-Servicebranche habe Sparschritte zusätzlich vereinfacht; seit 2000 seien zum Beispiel die Preise für das SAP-Outsourcing jährlich um 16 Prozent gefallen.

Es wird nicht einfach für Fröschl, auch in Zukunft Erfolge vorzuweisen. Aber er hat Unterstützung: "Die wirtschaftliche Situation erzeugt einen Rückenwind, den es vor drei Jahren nicht gegeben hat."

Krise als Rückenwind

Beim Versuch, sich von der Krisenbrise treiben zu lassen, sollte Fröschl nach Einschätzung von Insidern jedoch besser nicht auf zusätzlichen Rückenwind durch Chittur Ramakrishnan zählen. Der Chef der Stabsstelle Information and Knowledge Management, seit mehr als 30 Jahren im Konzern, hatte ab 1997 de facto als CIO agiert, bis sein Beritt in die neue Zentralstelle integriert und Fröschl ihm vor die Nase gesetzt wurde. Am Flughafen München, wo beide im Glaspalast des mittlerweile aufgelösten und in die CIO-Organisation inkorporierten Center of E-Excellence Büronachbarn sind, dürfte daraus - so wie Fröschl die von Ramakrishnan hinterlassene Lage beschreibt - keine Männerfreundschaft entstehen.

Chittur Ramakrishnan, Leiter Information and Knowledge Management Der ehemalige De-facto-CIO setzte, anders als Fröschl, bei IT-Vorhaben stark auf die Initiative der Bereiche.

Da ist vor allem der SAP-Einsatz. Zeitweise wurden in der Verantwortung der Regionen und Bereiche mehr als 200 separate Installationen betrieben. "In Nachhinein betrachtet, war das sicher ein Managementfehler, das so individuell laufen zu lassen", sagt Fröschl, der mit dieser Feststellung nicht allein dasteht. Ramakrishnan galt von jeher als wenig machtbewusst, was gelegentlich in dem Vorwurf gipfelte, er habe sich zu sehr aus den Entscheidungen der Unternehmensbereiche herausgehalten, vor allem beim Thema Standardisierung. Er machte kein Hehl daraus, dass die 1997 begonnene Zentralisierung für ihn auch mit Risiken behaftet war. Nicht alle Entscheidungen könne man von oben nach unten durchsetzen, sagte er im Herbst 2001. Gab es Widerstand aus den Bereichen, versuchte Ramakrishnan deshalb, ihn möglichst durch Appelle auszuräumen. Seine Devise: "Wir treffen keine Entscheidungen im luftleeren Raum." Viele IT-Initiativen seien aus den Bereichen hervorgegangen, erklärte er seinerzeit.

Zwar legt auch Fröschl Wert auf eine funktionierende Community der Bereichs-CIOs. "Sonst kann ich meinen Job nicht machen." Aber Ramakrishnans Politik erscheint ihm als ein zu liberaler Ansatz - ohne dass er explizit darauf Bezug nähme. "Best of Breed ist im gesamten Konzern nicht exekutierbar", konstatiert der CIO bündig. Der Aufwand durch Release-Wechsel steige mit der Zahl der Lieferanten; man müsse deren Produktstrategien ständig beobachten. "Deshalb haben wir die Anzahl der strategischen Partner verringert", erklärt Fröschl.

Hierarchisch rangiert der CIO als Zentralstellenleiter auf derselben Ebene wie früher Ramakrishnan und E-Excellence-Chef Albert Goller. Aber es ist offensichtlich, dass seine Position mit deutlich mehr Macht ausgestattet ist. "Der Zentralvorstand hat beschlossen, dass die Zentralstelle CIO weltweit für alle IT-Investitionen zuständig ist. Das hätte es zwischen 1989 und 2000 nie gegeben", stellt Fröschl fest. Geeignete Voraussetzungen habe er indes nicht vorgefunden: "Prozesse, wie man IT-Investitionen über eine Fachfunktion zusätzlich genehmigt, waren überhaupt nicht etabliert, weil das alles dezentral entschieden wurde." Er habe die Aufgabe nur unter der Bedingung angenommen, auch operativ führen zu können. "Wir wollen durch Kooperation bei Forschung und Entwicklung, IT, Einkauf, Personalwesen und Finanzen verstärkt Synergien - wir nenen das ,Shared Services‘ - zwischen den Bereichen schaffen."

Dazu braucht der CIO Positionen, die es ihm erlauben, über den IT-Tellerrand hinauszublicken. Diese Positionen hat er sich zusichern lassen: Aufsichtsratsmandate bei Siemens-Gesellschaften, darunter in den USA, in China und Polen, wo er dem Aufsichtsrat präsidiert; darüber hinaus sitzt er im Lenkungsausschuss des Konzerns für das Europageschäft. Fröschl: "So kann ich meine Themen auch von oben statt nur über die Technologieseite einbringen."

Konsolidieren bis 2004

Solange Fröschls Aufgabe vorrangig darin besteht, die Luft aus der IT-Struktur des Konzerns herauszulassen, dürfte ihm der Nachweis, dass sich seine Projekte rechnen, meist gelingen. Die CIO-Organisation von Siemens holt gerade zu einem großen Wurf aus: Bis 2004 soll die Zahl der Rechenzentren von 46 auf 7 reduziert werden; den größten Schnitt macht dabei Europa, wo es von 22 auf 2 heruntergehen soll. Dasselbe gilt für die Anwendungsbetreuung: 3 statt 19 ApplicationManagement-Zentren soll es künftig geben; weltweit sinkt die Zahl von 40 auf 6. "Für diese Vorhaben existieren Business-Cases", sagt Fröschl, "die sich auf weltweiter Basis rechnen." Das ist noch nicht der Fall bei der Anwendungsentwicklung, der Fröschl aber ebenfalls die regionalen Standbeine entziehen will, um sie in wenigen Zentren zusammenzufassen.

Die nahe Zukunft gehört der Arbeit an einem ITArchitekturmodell, das im April vorgestellt werden soll. Ziel ist ein Rahmen für die Standardisierung von Desktops, Netzwerken, Sprachkommunikationstechnik und Infrastruktur. "Anfangs konnte ich feststellen, dass die SAP-Gesamtkosten (22 Prozent des Budgets, Anm. d. Red.) nicht fielen, obwohl die Zahl der Installationen nach unten ging", so Fröschl. Das sei der Anlass für eine "Tiefenbohrung" gewesen. Ergebnis: "Wir brauchen insgesamt eine höhere Standardisierung, um zu verhindern, dass Applikationen auf unterschiedlichen Software-Paketen entstehen."

Fröschl präsentiert seine Zwischenergebnisse mit Selbstbewusstsein - mit Grund, meint Pitz von der Hypo-Vereinsbank; gut 250 Millionen Euro Sparvolumen seien eine "realistische Zielsetzung. Fröschl kann nicht mehr sparen, als er angekündigt hat."

Was jedoch passiert, wenn der CIO den Sparkurs weiter verschärfen muss, ist offen. Gümbels Befürchtung: Oberhalb einer gewissen Schmerzgrenze könnten die Bereichsfürsten dem CIO die Gefolgschaft versagen.