Wie Firmen sich an den Lebenswandel der Mitarbeiter anpassen müssen

Statische Karriereplanung funktioniert nicht mehr

04.11.2008 von Christiane Pütter
Die Arbeitsstrukturen der meisten Unternehmen ähneln heute noch denen von 1950. Fachkräfte können sie damit in Zukunft nicht mehr halten. Ein Konzept von Deloitte verbindet in jeder Phase des Arbeitslebens das Tempo der Karriere mit Arbeitspensum, Arbeitszeit und -Ort sowie der Position des Mitarbeiters.
Cathy Benko, Deloitte

Angefangen hat es in den Siebziger Jahren mit Blumen im Haar, heute ist es der Blackberry in der Hosentasche: Die Werte in den westlichen Industrienationen wandeln sich. Männer wie Frauen verändern ihre Ansprüche an Lebensqualität, Freunde, Familie - und Arbeit. Doch Unternehmen kommen da nicht mit: Mindestens 90 Prozent des Arbeitsmarktes sind "noch immer auf das Familienleben und den Lebensrhythmus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugeschnitten", so Cathleen Benko und Anne Weisberg.

Anne Weisberg, Deloitte

Dem wollen die beiden US-Beraterinnen von Deloitte ein System der individualisierten Karriereplanung entgegensetzen. "Mass Career Customization" (MCC) nennt sich das Konzept, mit dem Unternehmen das Potenzial ihrer Mitarbeiter besser nutzen sollen. Grundgedanke von Benko und Weisberg: Das Modell einer Karriereleiter, auf der es nur auf- oder abwärts geht, weicht dem Bild eines Gitters mit seiner Vielfalt an möglichen Bewegungen.

In einer wissensorientierten Wirtschaft ähnele die Karriereentwicklung einer Sinuskurve, einer Wellenbewegung von steigenden und fallenden Phasen, so die Consulterinnen. Die Ursache dafür ist in sechs gesellschaftlichen Trends zu finden. Das sind die sinkende Zahl qualifizierter Mitarbeiter und die veränderten Familienstrukturen. Außerdem die steigende Zahl weiblicher Arbeitnehmer und die gewandelten Erwartungen männlicher Mitarbeiter. Und schließlich spielen auch die neuen Erwartungen der Generationen X und Y sowie die wachsende Bedeutung moderner Technologie eine Rolle.

Stichwort Generationen X und Y: Darunter verstehen die Deloitte-Consulterinnen Arbeitnehmer im Alter von 23 bis 37 Jahren (Generation X) beziehungsweise unter 23 Jahren (Y). Bezeichnend für sie ist zum einen ein höheres Technik-Verständnis als bei den Generationen vor ihnen.

Zum anderen macht sich bei ihnen auch der Wandel des Arbeitslebens deutlich: Von zu Hause aus zu arbeiten, während der Woche blauzumachen und dafür mal Samstags ins Büro zu gehen, in der Arbeitszeit privat zu mailen - für sie sind das Selbstverständlichkeiten. Hierarchie- und Statusdenken verliert an Wert. Sind Kinder geplant, ist es auch für die jungen Männer wichtig, sie nicht nur am Sonntag zu sehen.

Cathleen Benko und Anne Weisberg weisen noch auf einen anderen Aspekt des neuen Familienlebens hin: Mit Blick auf den demografischen Wandel müssen sich Unternehmen darauf einstellen, dass Mitarbeiter Zeit für pflegebedürftige Angehörige haben wollen.

Die Unternehmen müssen sich den Menschen anpassen

Als Fazit dieser Entwicklung zitieren die Beraterinnen den ehemaligen Dekan der Harvard Business School Kim B. Clark. Er fordert Unternehmen auf, sich so zu verändern, dass sie diese begabten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv und loyal verbunden halten.

Das ist der Punkt, an dem Benko und Weisberg ansetzen. Den Namen ihres Konzeptes Mass Career Customization erklären sie wie folgt: Mass, da es das ganze Unternehmen betrifft, Career, weil es um die Karriere geht und Customization, weil es die Individualisierung von Karrierewegen ermöglichen soll. Dabei haben sie den Begriff Customization aus der Konsumgüter-Industrie und deren Vertriebstrend zu individualisierten Produkten übernommen.

Dem System MCC liegen vier Dimensionen zugrunde: Die Wahl der Geschwindigkeit des Karrierefortschritts, die Wahl des Arbeitspensums, die Wahl von Arbeitsort und -zeit sowie die Wahl der Position/Verantwortlichkeit.

Dazu ein Beispiel: Gary ist 27, ledig und hat einen MBA-Abschluss, als er seinen ersten Job als Assistenzproduktmanager antritt. In den ersten drei Jahren drückt der junge Mann auf die Tube: Bei Geschwindigkeit, Pensum und Arbeitszeit zieht er alle Register, während seine Position beziehungsweise Verantwortlichkeit nicht stark ausgeprägt ist. Wenige Jahre später wird Gary Vater und schraubt Geschwindigkeit und Pensum zurück. Noch später, als die Kinder alt genug sind für die Uni, fährt er seine Karriere wieder hoch. Jetzt zeigt auch der Pegel im Feld Position/Verantwortung nach oben.

Das heißt, dass sich das "MCC-Profil" eines Mitarbeiters seinem Leben entsprechend ändert. Gelingt es dem Unternehmen, gemeinsam mit dem Mitarbeiter flexible Lösungen zu finden, bleiben dessen Kompetenz und Erfahrung im Haus, so die Deloitte-Beraterinnen Benko und Weisberg. Der materielle und immaterielle Verlust durch Fluktuationen sinkt.

System statt Bauchgefühl

Ansätze für MCC sehen die Consulterinnen schon jetzt, beispielsweise in flexibleren Arbeitszeiten oder Heimarbeitsplätzen. Während es sich dabei jedoch meist um "oft nur aus dem Bauch heraus improvisierte Entwicklungen" handelt, wollen Benko und Weisberg mit ihrem Konzept eine tragfähige Grundlage für jedes Unternehmen bieten.

Cathleen Benko, Beraterin bei Deloitte, und Anne Weisberg, Consulterin bei der Deloitte’s Womens’ Initiative, haben ihre Gedanken in dem Buch "Mass Career Customization" ausgeführt (deutscher Titel: "Individualisierte Karriereplanung. Nur so können Unternehmen gewinnen!") Das Buch ist im Frankfurter Campus Verlag erschienen.